• 28.8.2024
  • Lesezeit: 4 Min.

Asclepios IV - Programm

Studentische Weltraummission unter der Erde

Wie fühlt es sich an, Astronaut oder Astronautin zu sein? Einen Mondrover zu steuern, sich in einem sperrigen Raumanzug zu bewegen und wissenschaftliche Experimente durchzuführen? Ilyasse Taame hat es zusammen mit fünf Studierenden aus aller Welt ausprobiert: Zwei Wochen lang war die studentische Crew auf Mondmission. Allerdings nicht im Weltraum, sondern tief im Inneren des Gotthardmassivs in den Schweizer Alpen.

Studentischer Astronaut Ilyasse Taame mit Raumanzug Antonin Lecomte
Ilyasse Taame im Raumanzug: Der Einsatz auf dem Außengelände des Sasso San Gottardo ist eine der Aufgaben während der studentischen Raumfahrtsimulation Asclepios IV.

Es ist Tag sechs, fünf Uhr am nachmittag, als der Kontakt abbricht. Verzweifelt versucht Ilyasse Taame, das Außenteam per Funk zu erreichen. Die beiden Besatzungsmitglieder bauen außerhalb der Basisstation ein Radioteleskop auf und sollen sich eigentlich zurückmelden. „Do you copy?“, sagt Ilyasse immer wieder. Fünf Minuten vergehen, zehn – noch immer keine Antwort. „Das war der kritischste Moment der ganzen Mission, sehr stressig“, erzählt Ilyasse. Der Marokkaner studiert an der TUM im Master Energy and Process Engineering und engagiert sich in der studentischen Raumfahrtinitiative WARR. Bei Asclepios IV ist er als Communication Officer für die Verbindung zwischen Besatzung, Außenteam und Mission Control Center zuständig. Nach 15 Minuten die erlösende Nachricht: „Copy loud and clear“. Die Verbindung ist wiederhergestellt.

Die Weltraummission Asclepios IV, an der Ilyasse und fünf weitere Studierende aus verschiedenen Ländern im Juli 2024 teilnehmen, findet nicht wirklich auf dem Mond statt, sondern untertage, in den Schweizer Alpen. Die während des Zweiten Weltkrieg erbaute Festung Sasso San Gottardo verfügt über ein unterirdisches Netz von Tunneln und Kammern, die den beengten Verhältnissen in Raumschiffen oder Raumstationen ähneln. Deshalb eignet sich die Anlage besonders, um das menschliche Verhalten in isolierten Umgebungen zu untersuchen und Lebenserhaltungssysteme, Kommunikationsprotokolle und andere für Weltraummissionen wichtige Technologien zu testen.

Auch wenn die Studierenden bei ihrer simulierten Weltraummission die Erde nicht verlassen, müssen sie strenge Sicherheitsvorschriften einhalten: „Die Außencrew war wahrscheinlich in einer ‘black zone’, also außerhalb der Reichweite der Relais, die sich in regelmäßigen Abständen auf dem Außengelände des Sasso San Gottardo befinden“, vermutet Ilyasse. „Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, dass sie erst sehr spät bemerkt haben, dass der Funkkontakt abgebrochen ist.“ Fast zu spät: Nur ein paar Sekunden mehr Funkstille, und das Mission Control Center hätte einen „loss of crew“ melden und einen Rettungsversuch einleiten müssen. Damit wäre die Isolation aufgehoben – die Mission Asclepios IV stand deshalb kurz vor dem Abbruch, erzählt Ilyasse. 

Regeln wie in einer echten Raumstation

Auch der Alltag auf der unterirdischen Raumstation ist streng durchgetaktet und orientiert sich an dem echter Astronautinnen und Astronauten: Wecken um sieben Uhr morgens, Teambesprechung, eine halbe Stunde zum Frühstücken und Fertigmachen, Sport, dann beginnt die erste Arbeitsschicht: Wie auf der ISS führt auch die Asclepios-Crew verschiedene wissenschaftliche Experimente durch. Die Studierenden testen zum Beispiel, wie gut Kiefernpflänzchen Brauchwasser filtern, das mithilfe eines Zentrifugalsystems gewonnen wird. Und sie untersuchen, wie sich extreme Trockenheit auf die Fotosyntheseleistung von verschiedenen Weizensorten auswirkt, die in Substrat wachsen, das Mondgestein ähnelt.

„Am meisten Spaß haben mir die Experimente mit den Mondrovern gemacht“, sagt Ilyasse. Die Crew steuert fahrbare Roboter über das Außengelände des Sasso San Gottardo, um Aufgaben wie Bohrungen, die Probenentnahmen, den Transport von Geräten und die Navigation in schwierigem Gelände mithilfe von Kameras zu testen. „Mit den dicken Weltraumhandschuhen und dem Gewicht des Raumanzugs ist es schwierig, den teuren Roboter über die Felsen zu steuern“, sagt er.  

Zum Mittagessen gibt es gefriergetrocknetes Curry oder Nudeln mit Pilzen, danach eine Stunde Ruhezeit. Am Nachmittag folgt eine zweite Arbeitsschicht, danach Zeit für sozialen Austausch, Abendessen und ein Debriefing. Der anstrengende Tagesablauf und das Zusammenleben auf engstem Raum ohne Kontakt zur Außenwelt bedeuten für die jungen Leute eine hohe psychologische Belastung. Dennoch gibt es während der zweiwöchigen Mission auch immer wieder leichte und fröhliche Momente. „Wir haben auch mal die Musik laut aufgedreht und getanzt“, erzählt Ilyasse. „Der Einsatz hat uns auf jeden Fall nochmal mehr zusammengeschweißt.“

Zwischen Hörsaal und Überlebenstraining

Schon vor dem eigentlichen Start verbringen die studentischen Astronautinnen und Astronauten viel Zeit miteinander. Auf das anspruchsvolle sechsmonatige Auswahlverfahren folgt ein Jahr mit verschiedenen Trainings, die sich an NASA- und ESA-Protokollen orientieren und auf das Überleben in extremen Bedingungen vorbereiten: Sie absolvieren Parabelflüge und erleben Schwerelosigkeit, üben Feuerbekämpfung in Raumanzüge, tauchen im zugefrorenen See und übernachten im verschneiten Gebirge – und das alles neben dem Studium.

Für Ilyasse ist die Teilnahme an der Asclepios-Mission ein großer Schritt in Richtung seines Traums: „Astronaut zu werden.“ Weil Plätze sehr begrenzt und begehrt sind und Marokko kein eigenes bemanntes Raumfahrtprogramm hat, stehen seine Chancen auf eine echte Weltraummission schlecht, sagt er. Doch er bleibt hartnäckig: Nach dem Ende der Asclepios-Mission geht es direkt zurück an den Schreibtisch, die Semesterprüfungen stehen an. Danach will er sich um das Thema seiner Masterarbeit kümmern. Am liebsten würde er sie bei einem Unternehmen aus der Raumfahrtindustrie schreiben. “Ich bin entschlossener denn je, eine Karriere in der Weltraumforschung anzustreben. Und ich habe ein neues Maß an Selbstvertrauen und Bereitschaft für das gewonnen, was als nächstes kommt.”

Weitere Informationen und Links
  • Analoge Weltraummissionen dienen als wichtige Prüfstände für die wissenschaftliche und technologische Forschung im Weltraum und bieten ein hohes Maß an Realitätsnähe. Unter den wenigen Missionen dieser Art ist Asclepios die einzige, die von Studierenden für Studierende organisiert und von erfahrenen Astronautinnen und Astronauten sowie Fachleuten betreut. Asclepios IV simulierte eine 14-tägige Mission mit Besatzung zum Mond, wobei der Schwerpunkt auf der Erkundung und der Optimierung des Lebensraums lag.
  • Im Vorfeld der Mission besuchte Ilyasse Taame die Vorlesung „Bemannte Raumfahrt“ von Gisela Detrell, Professorin für Human Spaceflight Technology, zu Themen wie Wissenschaft im Weltraum, Missionsanalyse sowie Raumstationen und ihre Subsysteme. Diese erwies sich für Ilyasse als besonders hilfreich, sowohl in der Planungsphase als auch während der Mission selbst.
  • Die studentische Initiative WARR arbeitet an ambitionierten Projekten rund um das Thema Weltraum.

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