NewIn: Boris Paal
Mit Recht die Technologie-Entwicklung gestalten
Hundert Jahre alte Gesetzestexte, Tausende Seiten dicke Kommentare – nicht selten haben die Rechtswissenschaften die Arbeit von Generationen im Blick, entwickeln sich Normen und Auslegungen über Jahrzehnte hinweg. Der Arbeitsrhythmus von Boris Paal ist anders. Zum Beispiel nach dem „ChatGPT-Moment“. „Als die Large Language Models mit diesem Paukenschlag ins öffentliche Bewusstsein rückten, war ich selbst überrascht, dass wir als Juristen und Juristinnen noch so wenige Antworten hatten“, sagt Paal, Professor für Law and Regulation of the Digital Transformation. „Welche Daten geben wir rechtskonform in das KI-Training rein, was darf wie rauskommen und was spielt sich in diesen KI-Systemen überhaupt ab? Sind das noch personenbezogene Daten, womit das Datenschutzrecht anwendbar ist, oder sind das nur Wahrscheinlichkeitswerte?“
Ein Bündel neuer Forschungsfragen eröffnete sich für Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler, die sich wie Paal mit IT-, Daten-, KI- und Medienrecht beschäftigen. Fragen, auf die wegen der Rasanz der Technologieentwicklung schnelle Antworten gebraucht werden, bei denen sich die Forschenden aber vielfach weder an gefestigten Rechtsgrundlagen noch an Präzedenzfällen orientieren können. „Wir bewegen uns auf einem Boden, der etwas schwankender und veränderlicher ist als in anderen Rechtsbereichen“, sagt Paal. „Das Schöne ist: Wo alles neu ist, kann man viel gestalten und bewegen. In diesem Sinne ist es für die Studierenden hoch spannend, wenn sie einem Gesetz live beim Entstehen zuschauen können.“
Nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre ist Paals Stellung außergewöhnlich. Er unterrichtet überwiegend Studierende, die nicht sein eigenes Fach studieren. Neben einigen Juristinnen und Juristen der LMU sind es überwiegend Informatik-, Ingenieur- und Politik-Studierende, die seine Vorlesungen besuchen.
Richter am Hamburger Landgericht
Den Schritt an eine Universität, die keine juristische Fakultät und keinen Jura-Studiengang hat, hat Paal bewusst gewählt. „Ich bin an die TUM gekommen, um interdisziplinär und international zu arbeiten, viel und frühzeitig von Technologieentwicklungen zu erfahren und möglichst früh in dynamische Veränderungsprozesse eingebunden zu sein.“ So könne gelingen, was Paal als eine zentrale Aufgabe von Juristinnen und Juristen betrachtet. „Ich sehe mich als Ermöglicher und Gestalter, nicht als Problembär und Verhinderer, der sagt, was alles nicht geht, wenn die Technologie fertig auf dem Tisch liegt.“
Eine wichtige Säule seiner Arbeit sind deshalb interdisziplinäre Forschungsprojekte, in denen er die juristische Perspektive einbringt, sodass bei der Technologieentwicklung die maßgeblichen Rechtsfragen von Beginn an berücksichtigt werden. Daneben steht die klassisch-juristische Säule mit der Auslegung bestehenden Rechts und Vorschlägen für neue Regelungen – wo Paal bei aller notwendigen Geschwindigkeit manchmal auch für ein wenig Innehalten plädiert. „Es ist in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene eine Vielzahl neuer Rechtsakte zur digitalen Transformation erlassen worden, etwa der Data Act und der AI Act. Diese Rechtsakte müssen nun von den Mitgliedstaaten umgesetzt, von den Behörden angewendet und von den Gerichten ausgelegt werden. Gleichzeitig wird schon darüber diskutiert, ob wir weitere Gesetze brauchen. Ich denke, wir sollten jetzt erst einmal schauen, was funktioniert und was nicht – und dann gegebenenfalls nachsteuern.“
Dabei helfen Boris Paal seine Erfahrungen als nebenamtlicher Richter am Hamburger Landgericht, an einer der ersten Kammern für IT-Recht in Deutschland. „Als Wissenschaftler beschäftige ich mich vor allem mit dem materiellen Recht, also damit, was erlaubt, geboten oder verboten ist. Als Richter stellt sich dann auch die Frage, wie das prozessual umgesetzt wird. Das war eine sehr bereichernde Erfahrung.“
Arbeit mit Ministerien, Unternehmen und Gründungsteams
Nach München kam Paal mit einer Leuchtturmberufung nach Stationen unter anderem in Konstanz, Oxford, Heidelberg, Freiburg und Leipzig. An der TUM ist ihm auch die dritte Säule seiner Arbeit sehr wichtig, der Transfer seiner Forschungserkenntnisse in die Praxis, für den er sich in vielfältigen Formaten engagiert: in Reallaboren, in denen er mit Ministerien an der Ausgestaltung des Rechts arbeitet. Im TUM Think Tank, wo Wissenschaft, Justiz, Politik und Unternehmen in einen intensiven Austausch treten. Im TUM Institute for LifeLong Learning, wo er Kurse zu Rechtsfragen der KI-Anwendung und zu Strategic Legal Innovation hält. Und im Legal Tech Colab sowie in studentischen Projekten, wo er Start-ups bei den rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Geschäftsideen berät.
Dabei ist Paal ein Grundsatz wichtig: „Wir müssen sowohl die Grundrechte schützen als auch Innovationen ermöglichen. Ein Beispiel ist die medizinische Forschung, die mit der Auswertung großer Datenmengen zum gesamtgesellschaftlichem Nutzen beitragen kann, wobei gleichzeitig der individuelle Datenschutz gewährleistet sein muss. Bei solchen Abwägungen die richtige Balance zu finden, sehe ich als eine ebenso wichtige wie spannende Aufgabe meiner Arbeit.“
Technische Universität München
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