Prüfungen gestalten
Prüfungen beeinflussen maßgeblich, was und wie Studierende lernen, wie erfolgreich sie im Studium sind. Doch welches Prüfungsformat ist das Richtige? Wie kann sichergestellt werden, dass Studierende die vorab Lernziele erreichen? Und welche organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen gilt es zu beachten?
Prüfungsformate
Der Mehrwert von schriftlichen Prüfungen ist relativ klar: Die Rahmenbedingungen sind für alle gleich, ebenso die Fragen und der Notenschlüssel. Außerdem kann man in kurzer Zeit von vielen Studierenden einen Leistungsnachweis erhalten.
Schriftliche Prüfungsformen sind dabei viel vielfältiger, als man gemeinhin denkt: von der typischen schriftlichen Klausur mit offenen und geschlossenen oder Multiple-Choice-Fragen über schriftliche Seminararbeiten bis hin zu Lernportfolios, in denen die Studierenden den eigenen Lernprozess reflektieren sollen. Innerhalb der verschiedenen Prüfungsformate gibt es viele unterschiedliche Frageformate – von reinen Wissensfragen bis anwendungsorientierten Aufgabenstellungen –, die angelehnt an die Lernzieltaxonomie ein präzises Abprüfen der gewünschten Lernergebnisse ermöglichen.
Wichtig bei der Auswahl des Prüfungsformates ist zunächst immer der Abgleich mit der Prüfungsordnung. Denn dort ist festgehalten, welche Prüfungsformate zulässig sind und wie ihr Einsatz geregelt ist.
Um eine schriftliche Prüfung so fair und objektiv wie möglich zu gestalten, sollten die Anforderungen an die Prüflinge und die Rahmenbedingungen frühzeitig transparent gemacht werden. Dazu können alte Prüfungen oder Beispielaufgaben bereitgestellt werden. Eine Gefahr schriftlicher Prüfungen liegt darin, dass man nur ein vergleichsweise einseitiges Bild vom Prüfling erhält, nur ein kleiner Ausschnitt des Gelernten abgefragt werden kann und auf die Besonderheiten des Prüflings (Prüfungsangst o.ä.) schwer eingegangen werden kann. Zur Sicherung der Objektivität gehört, dass Sie als Prüfende(r) im Vorfeld klare Bewertungskriterien festlegen und sich darüber im Klaren sind, welche Antworten Sie als Musterlösung erwarten. Dabei sollten Sie sich auch Gedanken machen, ob und wie die Fragen voneinander abhängig sind und wie Sie mit Folgefehlern umgehen.
Tipps:
- Den Studierenden hilft es, wenn sie wissen, wie viele Punkte maximal bei einer Aufgabe erreicht werden können und in welcher Form die Frage beantwortet werden soll, z.B. in Stichpunkten, als Grafik oder fortlaufender Text.
- Behalten Sie beim Erstellen der Prüfung den Korrekturaufwand im Hinterkopf und suchen Sie geeignete Kompromisse. Viele spannende Aufgabenstellungen sind sehr aufwändig zu korrigieren.
- Um insbesondere bei Störungen eine reibungslose Prüfung zu gewährleisten, sollten mindestens zwei Personen bei einer Prüfung Aufsicht führen. Die genaue Anzahl ist natürlich abhängig von der Raumgröße und der Zahl der zu Prüfenden.
Mit Multiple-Choice-Tests lassen sich Prüfungen mit hoher Teilnehmerzahl rasch und zuverlässig abhalten und auswerten. Geeignete Software unterstützt neben der Erstellung der Fragen auch die Auswertung der Prüfung, die Rückmeldung an die Studierenden und die Überprüfung der Aufgabenqualität. Die Qualität von MC-Fragen lässt sich durch automatisierbare statistische Auswertungen gut prüfen und damit auch leichter sichern und verbessern; Testgütekriterien wie Objektivität und Zuverlässigkeit sind in der Regel hoch. Man kann auch einfach den Schwierigkeitsgrad und die Validität messen. Und wenn man davon absieht, dass nicht jeder Mensch jede Prüfungsform mag, ist diese Art von Test relativ fair.
Der größte Nachteil dieses Formats liegt darin, dass die positiven Eigenschaften dieser Testsorte nur bei sorgfältig formulierten Fragen und Antwortalternativen (“Distraktoren”) zu realisieren sind. Sonst besteht die Gefahr, durch Raten oder Kombinieren zu den richtigen Lösungen zu kommen. Zudem sind MC-Fragen nicht für alle Stufen von Lernergebnissen geeignet. Wobei MC-Tests durchaus mehr als nur Auswendiggelerntes abfragen können! Es gibt ausreichend Möglichkeiten neben einfachen Richtig-Falsch-Fragen und Wissensabfragen auch Zuordnungsfragen, Fragen nach Voraussetzungen und Konsequenzen, Analogien oder Fragen als kleine Fallstudien zu stellen.
Plausibel und gut formulierte Distraktoren sind neben interessanten Fragen das A und O guter MC-Prüfungen. So können Sie zwar das Problem des Ratens nicht lösen, aber Sie eliminieren die versteckten Hinweise durch inhaltliche oder sprachliche Schwächen. Keine MC-Frage sollte zu knacken sein, weil man das Prinzip ihrer Konstruktion verstanden hat.
Ein großes Thema sind immer auch wieder rechtliche Probleme und daraus abgeleitete Durchführungsrichtlinien. In der APSO (§ 12a) finden Sie detaillierte Vorgaben für MC-Prüfungen. Für die TU München allgemein gilt: Es darf – bei mindestens drei, aber empfohlenen vier oder mehr Antwortmöglichkeiten – nur eine richtige Antwort (single choice) geben. Für falsche Antworten gibt es 0 Punkte, es dürfen keine Punkt (“Maluspunkte”) abgezogen werden.
Tipps:
- Legen Sie ein Themenraster an. Listen Sie die zu prüfenden Inhalte vollständig auf und legen dann in den Spalten die gewünschte Verarbeitungstiefe der Aufgaben fest. Zusätzlich können Sie die Gewichtung der einzelnen Themenbereiche festlegen.
- Beginnen Sie die Formulierung der Antwortalternativen mit der richtigen Antwort und fahren dann mit den falschen fort. Ordnen Sie die Antwortalternativen logisch, nach Lösungsinhalten auf- oder absteigend, alphabetisch …
- Formulieren Sie einfach, klar und positiv; vergessen Sie nicht die zur Beantwortung nötigen Informationen! Die Antworten sollten grammatikalisch zur Frage passen und sich in der Länge und Differenzierung nicht unterscheiden.
- Die Wahrscheinlichkeit des reinen Ratens senken Sie durch die Verwendung von einer ausreichend großen Zahl von Fragen mit möglichst vielen (4 oder mehr) Alternativantworten.
- Machen Sie immer eine Pretest mit den Fragen und werten Sie nach Gütekriterien aus. Testen Sie die Fragen auch mit Fachfremden auf Verständlichkeit, versteckte Hinweise etc.
- Legen Sie am Lehrstuhl einen Pool an Fragen an und ergänzen ihn regelmäßig. Prüfen Sie die Fragen gelegentlich bzw. werten Sie die Prüfungsergebnisse nach Fragenqualität aus. Mischen sie die Testfragen, dass sie nicht in derselben Reihenfolge auftauchen.
Mündliche Prüfungen umfassen ein weites Spektrum: von der typischen mündlichen Einzelprüfung über Referate oder mündliche Präsentationen bis hin zu Gruppenprüfungen. Unabhängig von dem verwendeten Format der mündlichen Prüfung ist der Leistungsnachweis in Form einer schriftlichen Dokumentation wie einem Protokoll unverzichtbar. Bei Gruppenprüfungen ist es zudem wichtig, dass die Leistung des einzelnen erkennbar ist und sich in der Einzelnote widerspiegelt. Zusätzlich ist bei der Auswahl des Prüfungsformats der Abgleich mit den Vorgaben der Prüfungsordnung unumgänglich.
Um die Prüfung so fair wie möglich zu gestalten und den Faktor “Prüfungsangst” zu reduzieren, sollten die Anforderungen an den Prüfling und die Rahmenbedingungen frühzeitig transparent gemacht werden. Eine Möglichkeit hierzu ist das Bereitstellen von Beispielfragen oder die Bekanntmachung von Kriterien zur Notenfindung.
Um die Bewertung der Prüfungen so objektiv wie möglich zu gestalten, ist es wichtig, dass Sie als Prüfer im Vorfeld klare Bewertungskriterien definieren und sich darüber im Klaren sind, welche Antworten Sie in welchem Umfang als Musterlösung erwarten. Speziell bei mündlichen Prüfungen wie Referaten und Präsentationen ist der Studierende darüber zu informieren, welche Kriterien neben der korrekten Darstellung des Inhalts in die Bewertung einfließen, z.B. Eloquenz, Form der Darstellung, Umfang der Ausführungen ... Zudem ist es hilfreich vor und während der Prüfung die eigenen Erwartungen zu reflektieren und darauf zu achten, welche Kriterien tatsächlich die Leistung des Studierenden abbilden und welche eher persönliche Vorlieben des Prüfers spiegeln.
Der Mehrwert mündlicher Prüfungen gegenüber schriftlichen liegt zum einen in der Möglichkeit, ein umfassendes Bild vom Prüfling zu erhalten. Zum anderen kann flexibel auf Besonderheiten der Situation oder des Prüflings (wie z.B. Prüfungsangst oder Lampenfieber) eingegangen werden.
Tipps:
- Bieten Sie Visualisierungsmöglichkeiten wie z.B. ein Blatt Papier mit Stiften an.
- Achten Sie während der Prüfung auf eine angenehme Atmosphäre: Bieten Sie ein Glas Wasser an, geben Sie dem Studierenden Zeit, anzukommen, stellen Sie den Beisitzer vor.
- Gehen Sie bei der Aufgabenschwierigkeit vom Einfachen zum Komplexen. Dadurch ermöglichen Sie dem Prüfling, Nervosität abzubauen und “in die Prüfung zu kommen”. Zudem können Sie dann bei den schwierigen Fragen ausloten, wie fundiert das Wissen des Kandidaten ist.
- Bei Studierenden, die bislang noch keine mündliche Prüfung hatten und deshalb sehr nervös sind, können Sie in der Lehrveranstaltung kurz zusammen mit einem Kollegen eine Prüfung vorspielen, das schafft Transparenz und baut Ängste ab.
- Nehmen Sie “Lernen auf Lücke” nicht persönlich. Machen Sie dennoch deutlich, dass auch andere Bereiche gefordert sind und regen Sie den Studierenden dazu an, weiter zu denken, statt sich an das Gelernte zu klammern.
- Holen Sie sich nach Bekanntgabe der Noten Feedback von Ihren Studierenden ein (z.B. mittels eines kurzen Fragebogens). Dies hilft Ihnen Ihren eigenen Prüfstil stetig zu verbessern.
Denkt man Kompetenzorientierung konsequent weiter, landet man schnell bei praktischen Prüfungen. Denn vor allem dabei können Studierende beweisen, dass sie nicht nur träges Wissen erworben haben, sondern in der Lage sind, Wissen, Fertigkeiten und Haltungen in kompetentes Handeln umzusetzen. Erste Erfahrungen mit diesen kompetenzorientierten Prüfungen zeigen, dass sie sehr aufwändig sind – aber dafür zuverlässige Aussagen über die erworbenen Kompetenten erlauben, den Lernprozess wirksam steuern, lehrreich sind und oft sogar Spaß machen – sowohl den Studierenden als auch den Lehrenden.
Um Kompetenzen zu prüfen, muss man Studierenden Gelegenheit geben, mit ihrem Wissen und ihren Fertigkeiten eine möglichst lebensnahe Situation angemessen bewältigen zu können. Solche möglichst realistischen Situationen zu schaffen und in ein Prüfungsformat zu übersetzen, ist ungewohnt und aufwändig. Elemente einer praktischen Prüfung können sein:
- Rollenspiele
- Simulationen, Planspiele
- Bauen von Modellen, Programmieren
- Zirkelstationen, an denen Fertigkeiten demonstriert werden
In der Medizin beispielsweise gibt es das Prüfungsformat “Objective Structured Clinical Examination” (OSCE). Es besteht aus einem Parcours mit verschiedenen standardisierten Stationen, wo Studierende an Schauspielpatienten, Kommilitonen oder Simulationspuppen praktische Fertigkeiten demonstrieren (z.B. einen Gipsverband anlegen, einen Katheter legen, ein Aufklärungsgespräch führen) und dabei von den Prüfern beobachtet und anhand einfacher Rating-Skalen benotet werden. So eine Prüfung kann für 100 Studierende einen ganzen Tag dauern und um die 20 Prüfer und Hilfskräfte beschäftigen.
Tipps:
- Wenn viele Prüfer und Hilfskräfte eingesetzt werden, empfiehlt es sich, Handzettel mit klaren Anweisungen und Beobachtungskriterien zu verteilen sowie ein gemeinsames Prüfungsbriefing oder eine Prüfungsschulung zu abzuhalten.
- Bei diesem Prüfungsformat ist ein Testlauf mit allen Beteiligten dringend empfohlen.
- Um langfristig den Aufwand solcher Prüfungen zu reduzieren, sollten Sie von Anfang an die Wiederverwendung von Materialien im Auge behalten.
- Überlegen Sie, ob in Ihrem Format Folgefehler auftauchen können, wie Sie damit umgehen und sie in die Note einrechnen.
- Überlegen Sie sich, welche Faktoren die Objektivität der Prüfung gefährden können, und wie Sie diese Faktoren kontrollieren oder reduzieren können.
- Informieren Sie Ihre Studierenden frühzeitig über das ungewohnte Prüfungsformat, machen Sie die Anforderungen transparent und geben Sie ihnen Gelegenheiten, sich darauf vorzubereiten.