Die TUM in Singapur
Mikroalgen für die Megacity

Zwei Zentimeter für die Forschung: Die kleinen grünen Pflänzchen, die hinter Glas sprießen, sind Sojabohnen. Sie wachsen in Klimakammern im Erdgeschoss des CREATE Tower auf dem Campus der National University of Singapore. Gegessen oder verfüttert werden sie nicht, sie sind Teil eines Experiments. Sie sollen wachsen, und zwar unter wechselnden Bedingungen. Licht, Temperatur, Luftfeuchte, Bodenzusammensetzung, Abstand zwischen den Pflänzchen – all das wirkt sich auf das Wachstum aus, und es geht darum, die optimalen Bedingungen für einen möglichst hohen Ertrag zu finden.
Das Experiment mit den Sojabohnen ist ein Forschungsprojekt der TUM – und zugleich Teil eines großen Plans für das flächenmäßig kleine Land Singapur. Weil der Stadtstaat mit seinen fast sechs Millionen Menschen nur so viel Platz zur Verfügung hat wie Hamburg und nur ein Prozent der Fläche landwirtschaftlich bewirtschaftet werden kann, müssen Lebensmittel größtenteils importiert werden. Doch Singapur will sich stärker unabhängig machen und hat daher den Plan „30 - 30“ ausgerufen: Bis zum Jahr 2030 sollen 30 Prozent der Lebensmittel im Land produziert werden und zwar nachhaltig. Das geht nur mit neuen Methoden und Hightech. Zum Beispiel den schnell wachsenden Sojabohnen.
Forschungsplattform TUMCreate
Seit 2010 arbeiten Forscherinnen und Forscher der TUM in Singapur, im CREATE Tower. CREATE, das steht für die Forschungsplattform „Campus for Research Excellence and Technological Enterprise“. Im zugehörigen Turm haben sich neben der TUM unter anderen auch die ETH Zürich und das MIT angesiedelt. Zusammen mit Universitäten aus Singapur und regionalen Industriepartnern suchen sie nach Lösungen für Singapurs nachhaltige Zukunft. „Diese Zusammenarbeit ist einmalig“, sagt Prof. Ulf Schlichtmann, Direktor von TUMCreate. „Hier haben wir eine große Offenheit für unkonventionelle und kreative Ideen“.
„Controlled Environment Agriculture“, also Landwirtschaft unter kontrollierten Bedingungen, nennt sich der Forschungszweig, zu dem die Experimente mit den Sojabohnen gehören. Die Hoffnung ist, dass man auf kleinen Flächen, zum Beispiel auf Dächern von Hochhäusern, essbare Pflanzen anbauen und ernten kann. Die Sojabohne gehört zu den wichtigsten Nutzpflanzen, doch auf dem Feld kann sie nur einmal jährlich geerntet werden, und ein Feld liefert pro Hektar nur vier Tonnen. Die Versuche zeigen, dass man Sojapflanzen bis zu drei Mal dichter als auf dem Feld züchten und drei bis vier Mal im Jahr ernten kann. Optimal ist der Ertrag bei 40 Pflanzen pro Quadratmeter und vier Ernten. Dann kann theoretisch die Ernte 30 Prozent höher ausfallen als auf dem Feld. Und das mit weitaus weniger Dünger.
Die Sojabohnen sind Teil des Forschungsprogramms „Proteins4Singapore“, das zeigen soll, wie die Megacity in Zukunft ausreichend mit hochwertigen Lebensmitteln versorgt werden kann – durch neuartige Landwirtschaft oder auch den 3D-Druck von Proteinen aus Soja oder Mikroalgen: TUM-Professor Thomas Becker und das gesamte Konsortium versuchen, die Herstellung von veganen, fleischähnlichen Strukturen zu optimieren. Sie wollen besser verstehen, wie die Hauptzutaten Proteine, Wasser oder sogenannte Hydrokolloide variiert werden müssen, um Produkte mit der gewünschten Festigkeit herzustellen. „Mit diesem Projekt können wir Lebensmittel nicht nur gänzlich neu denken, es hat auch großen Impact auf die Forschung hier in Deutschland in Richtung einer zukunftsweisenden nachhaltigen Lebensmittelsicherheit“, sagt Thomas Becker.
Forschung und Lehre verbinden
Ein paar Kilometer Luftlinie vom CREATE Tower entfernt steht Prof. Corinna Dawid im Hörsaal von TUM Asia und unterrichtet die Blockveranstaltung Molekulare Sensorik. Mit dem Beginn des Studienjahres 2024/25 hat die TUM einen neuen Masterstudiengang geschaffen: den „Master Sustainable Food“. „Ich lehre das, was mein Team vor Ort erforscht“, sagt Corinna Dawid, Professorin für Funktionelle Phytometabolomik an der School of Life Sciences: Wie etwa müssen Rohstoffe ausgewählt werden, damit aus Sojabohnen oder Mikroalgen ein schmackhaftes Produkt entsteht? „Partiell hydrolysierte Mikroalgen etwa schmeckten nicht“, sagt Dawid. Generell brächten pflanzenbasierte Stoffe oft bittere, grasige Geschmacksnoten mit sich. Da ist noch viel Forschung nötig, bis Singapur sich von pflanzlichen Proteinen ernähren kann.
Im Masterangebot sieht Corinna Dawid großes Potenzial: „Die Studierenden kommen von den besten Universitäten und sind sehr gut ausgebildet“, schwärmt sie. Das Unterrichten sei anstrengend – zwei Wochen täglich acht Stunden Vorlesung und Tutorium – aber sie ist überzeugt, dass es sich lohnt: „Wir bauen hier ein exzellentes, internationales Netzwerk auf.“
Insgesamt sieben Masterprogramme bietet TUM Asia derzeit an und weitere sind in Planung: „Wir sind gerade in Gesprächen über einen weiteren Master mit der Nanyang Technological University im Bereich Elektronik“, sagt Dr. Markus Wächter, der Geschäftsführer von TUM Asia. Das Thema Halbleiter sei gerade sehr nachgefragt am Standort Singapur, so Wächter, denn durch die politisch schwierigen Beziehungen zwischen China und Taiwan sucht die ganze Welt nach neuen Standorten für die Chip-Herstellung. Da bietet sich Singapur an, das sich als Brücke zwischen dem Westen und China sieht.
Seit 2002 in Singapur
Eine Brücke, die die TUM seit langem nutzt: Seit 2002 ist sie mit TUM Asia vor Ort, ein einmaliges Engagement, keine andere deutsche Hochschule hat einen solchen Campus außerhalb von Europa. „German Engineering Excellence with Asian Relevance“, beschreibt TUM-Präsident Prof. Thomas F. Hofmann die Besonderheit von TUM Asia, also beste Ingenieurausbildung für den asiatischen Markt. Der Erfolg gibt der TUM Recht. Rund 3.000 Absolventinnen und Absolventen aus 45 Ländern zählt TUM Asia inzwischen. Die meisten kommen aus China und Indien. Viele von ihnen arbeiten in führenden Forschungseinrichtungen und Unternehmen in der Region, aber auch auf der ganzen Welt.
Zum Beispiel Madan Jhanvi, die im Juli 2024 bei der Abschlussfeier stolz ihre Urkunde für den Master in Industrial Chemistry entgegengenommen hat. Sie will jetzt in das Familienunternehmen für landwirtschaftliche Chemikalien, das ihr Großvater in Delhi gegründet hat. „Ich habe im Master die perfekte Kombination von Chemie und Ingenieurwesen gefunden, die ich für unsere Firma brauche“, sagt sie.
Singapur ist der ideale Ort, um skalierbare Lösungen zu entwickeln, die dann auch in anderen Ländern Anwendung finden können.
Singapurs „Net-Zero-Emission“, sieht vor, dass ab 2050 keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Forschende der TUM helfen dabei diese ehrgeizigen Ziele umzusetzen. Beispielsweise wollen sie Geothermie für Singapur nutzbar zu machen. Auch grüner Wasserstoff, der mittels geothermischer Energie erzeugt wird, ist eine vielversprechende Option: 170 Tonnen könnten jährlich so hergestellt werden.
Bereits in der ersten Förderphase von TUMCreate sind zahlreiche Projekte entstanden, die dem Stadtstaat jetzt helfen, den Verkehr zu elektrifizieren. So nutzt das „Singapore Integrated Transport Energy Model“ (SITEM), das die Grundlage für einen komplett emissionsfreien Verkehr in Singapur schaffen soll, zwei Simulationsmodelle von TUMCreate: den „City Mobility Simulator”, der alle Verkehrsströme auf der Insel detailliert abbildet, und das Software-Framework „Multi Energy System Modelling & Optimisation“, das die Auswirkungen dezentraler Energieressourcen wie Fotovoltaik auf das Netz berechnet. „Das ist ein sehr spannendes Projekt mit vielen Akteuren und wir freuen uns daran mitzuwirken“, sagt CEO Ulf Schlichtmann. „Unsere Simulationswerkzeuge können wertvolle Empfehlungen für Singapurs Verkehrsplanung geben.“
Auch TUM-Präsident Thomas F. Hofmann ist überzeugt: „Mit TUM Asia und TUMCreate tragen wir zur nachhaltigen Transformation von Großstädten bei. In Singapur, aber auch darüber hinaus. Denn durch die wortwörtlich kurzen Wege und die Möglichkeit der schnellen Umsetzung ist die Megacity der ideale Ort, um skalierbare Lösungen zu entwickeln, die dann auch in anderen Ländern Anwendung finden können.“
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 01/2025 des neuen TUM Magazins erschienen.
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