Podcast „We are TUM“ – Transkript zur vierten Folge
„Man muss Menschen als Menschen ansprechen und das ist etwas, was in Videospielen schon sehr gut umgesetzt wird. Aber auch in der Werbung und in vielen anderen Bereichen, etwa in der Pädagogik. Und das sollten wir in Computeranwendungen hineinbringen. Das nennt sich dann auch Gamification.“
[Moderator Matthias Kirsch:] Die Frau, die wir hier gerade gehört haben, heißt Gudrun Klinker. Und dass sie in diesem Podcast über Videospiele und Gamification spricht, das hat einen guten Grund. Sie ist nämlich Professorin für Erweiterte Realität an der TU München und hat außerdem den Studiengang Games Engineering ins Leben gerufen. In dieser Folge werden wir von Gudrun Klinker hören, warum Universitäten spielerischer werden müssen und weshalb es Sinn macht, Videospiele auch an einer Uni zu entwickeln. Herzlich willkommen zu: „We are TUM“ – dem Podcast von und für die Technische Universität München. Mein Name ist Matthias Kirsch und ich begleite Sie durch diesen Podcast. Wie immer stellt Ihnen ganz zu Beginn der Präsident der Universität Thomas Hofmann die Themen der heutigen Episode vor.
[Thomas Hofmann:] Liebe Zuhörende, lassen Sie mich diese Folge von „We are TUM“ mit einer Frage beginnen. Was haben Videospiele an einer Universität verloren? Nicht viel, mögen Sie denken, doch damit liegen Sie falsch. Im Spitzengespräch dieser Folge mit Professorin Gudrun Klinker geht es um Erweiterte Realität, die Notwendigkeit von Videospiel-Studiengängen und um die Frage, warum auch eine Spitzenuniversität spielerisch sein muss. Anschließend geht es um unsere Mitarbeitende. Anja Bräunig ist der Hidden-Champion dieser Folge. Sie unterstützt mit ihrem Team die Berufung von circa 50 Professorinnen und Professoren pro Jahr. Sie und ihr Team helfen uns also, die besten Wissenschaftstalente aus der Welt an die TUM zu bringen, aber auch zunehmend Abwerbeversuche von außen abzuwehren.
Anschließend präsentieren wir wie immer ein Start-up, das von TUM-Studierenden gegründet wurde. In dieser Folge besuchen wir Florian Grigoleit. Er hat das Unternehmen „modelwise“ gegründet, eine Art Rechtschreibprüfung für Ingenieursmodelle. Im Gespräch erklärt er uns, was er damit alles machen kann. Zum Abschluss folgt unsere Rubrik: Der Blick von außen. Diesmal mit Peter Rösler von der Deutschen Gesellschaft fürs Schnell-Lesen. Er hat fünf Tipps mitgebracht, wie man schneller und effizienter lesen kann. Viel Spaß also bei dieser Folge von „We are TUM“!
Spitzenforschung
[Kirsch:] Augmented Reality. Extended Reality. Virtual Reality. Das sind alles Begriffe, die wir in den letzten Jahren immer öfter gehört haben, besonders im Kontext von Unterhaltung oder Videospielen. Dabei hat die Erweiterte Realität noch viele weitere Zwecke und nur wenige Menschen kennen sich damit so gut aus wie Gudrun Klinker. Sie ist seit mittlerweile 21 Jahren Professorin für Erweiterte Realität an der TU München und hat den Studiengang Games Engineering, also Spieleentwicklung, ins Leben gerufen. Mein Kollege Marcel Laskus hat mit Gudrun Klinker gesprochen.
[Marcel Laskus:] Hallo Frau Klinker.
[Gudrun Klinker:] Hallo, grüße Sie.
[Laskus:] Zunächst eine persönliche Frage: Welches Videospiel haben Sie zuletzt gespielt?
[Klinker:] Haha, das fragen mich meine Studenten auch immer. Sie sehen hier eine ältere Dame vor sich und dementsprechend spiele ich auch Spiele. Ich bin mehr an Quiz und Brettspielen und so was interessiert, aber durchaus online, Sudoku-Puzzles, nicht so sehr die Spiele der jüngeren Generation. Stört mich aber gar nicht und hindert mich auch nicht daran, entsprechende Kenntnisse den Studierenden mitzuteilen, wie man gute 3D-Spiele generiert. Da ich ja mit meinem Hintergrund Kenntnisse aus Augmented Reality, Computergrafik und Computervision habe.
[Laskus:] Games Engineering, das klingt für Leute, die nicht allzu viel damit zu tun haben, nach Spielereien, also im eigentlichen Sinne. Warum braucht man so was an einer Universität wie der TUM?
[Klinker:] Wir haben diesen Studiengang gestartet, weil einerseits die Computerspielindustrie sehr stark von den modernsten Computern profitiert und die auch mitgestaltet. Da ist also eine sehr enge Symbiose, das wissen alle jungen Gamer oder auch alten Gamer, dass dort immer die Grafikkarten sehr gut sein müssen. Das heißt, da ist ein Zusammenhang, dass wir die neuesten Technologien kennen und andersherum aber auch die Anforderungen aus dieser sehr interessanten Community, aus dieser Industrie sehr gerne mit berücksichtigen. Das ist so die eine Seite, die man sehen kann. Andersherum, für mich persönlich und auch für andere Personen, die im Bereich 3D-Computergrafik, Computervision und auch -anwendung arbeiten, insbesondere auch Virtuelle Realität und Erweiterte Realität: Wir müssen nutzerzentriert arbeiten, wir müssen wissen, wie die Menschen, die unsere Anwendung benutzen, wie die ticken quasi, wie sie Informationen verstehen.
[Laskus:] Haben Videospiele in unserer Gesellschaft einen viel zu schlechten Ruf?
[Klinker:] Ja und Nein. Es gibt sicherlich einige Aspekte dort, die ausufern und die man vielleicht auch nicht so begrüßen würde, die zumindest manche Leute nicht begrüßen würden. Andersherum ist es aber auch einfach eine Frage, sagen wir mal der Psychologie. Mit Psychologie kann man Menschen manipulieren. Man will sie vielleicht auch manipulieren und das hat gute und schlechte Konsequenzen. Wenn ich jemanden motiviere als Lehrer, dann kann man auch sagen als Schüler: der hat mich ja wieder an der Nase herumgeführt, jetzt habe ich wieder drei Handstände gemacht und wollte eigentlich gar nicht. Aber andersherum, wenn man sich da bewusst zurückhält und nur nüchtern Tatsachen vermittelt, ist das auch nicht richtig. Man muss Menschen als Menschen ansprechen und das ist etwas, was in Videospielen schon sehr gut umgesetzt wird, aber auch in der Werbung und in vielen anderen Bereichen, etwa in der Pädagogik. Und das sollten wir in Computeranwendungen hineinbringen. Das nennt sich dann auch Gamification, also aus den Spielen heraus etwas übernehmen in andere Bereiche, die dann vielleicht gar nicht mehr als Spiel zu erkennen sind.
[Laskus:] An Universitäten geht es ja oft sehr ambitioniert, auch ernst zu. Bräuchte es denn auch ein bisschen Gamification an der Universität?
[Klinker:] Ja, sicherlich. Genau wie in jeder anderen Institution, wo Wissen vermittelt wird. Wie eben auch in der Schule und ich habe schon gesagt, gute Lehrer wissen, wie sie Menschen auch für eine Sache interessieren. Wie sie das machen im Einzelnen, kann ganz unterschiedlich sein. Aber das ist sicherlich an der Hochschule genauso und auch Professoren sollten wissen, wie sie Lernstoff so vermitteln können, dass die Studierenden gerne mitmachen. Das wird heutzutage auch schon mehr und mehr gemacht, dass man projektorientiert arbeitet, in Teams arbeitet, um alle diese Aspekte mit hineinzubringen und nicht nur irgendwelche Formeln „einzubimsen“ und abzufragen. Somit, ja, wir sollten alle gamifizieren.
[Laskus:] Sie sind, wie auch schon angesprochen, Professorin für Augmented Reality an der TU München. Ist das eigentlich auch nur eine Spielerei?
[Klinker:] Nein, würde ich nicht so sagen. War ursprünglich, wenn Sie mal zurück gehen in die 90er oder 80er Jahre oder noch früher zu Ivan Sutherland, dort war die Vision von erweiterter und auch von virtueller Realität eigentlich eine andere. Es war die Möglichkeit, Menschen mit abstraktem Wissen, also im Gegensatz zu Sachen, die wir in den Händen halten können, diese Atome sozusagen, zu setzen. Man kann anderes Wissen visualisieren, Menschen zur Verfügung stellen. Und das kann man machen, indem man Bilder malt oder Filme zeigt. Man kann es aber auch versuchen, in die Realität des Menschen, die physikalische Realität, die einen umgibt, einzublenden. Also Industrie 4.0 zum Beispiel benötigt einiges an Erweiterter Realität, um Menschen vor Ort bei der Ausführung von Arbeiten zu unterstützen.
[Laskus:] Wenn ich mir jetzt mal anschaue, als interessierter Laie, was es alles so gibt bei Virtueller Realität, bei Augmented Reality, dann gibt es, wie Sie schon angesprochen haben zum Beispiel die IKEA-Aufbauanleitung, wo man sich mit dem Handy dann helfen kann, es gibt Videospiele. Aber wann wird es denn wirklich so sein, dass ich eine komplett andere Welt betrete und in diese Welt schlüpfen kann, mit all meinen Sinnen, nicht nur mit den Augen, sondern auch körperlich, mit dem Geruchssinn – alles gleichzeitig?
[Klinker:] Die Zukunft voraussagen ist eher schwierig für mich. Ich sehe, dass wir Schritte machen in diese Richtung. Wie Sie auch schon gerade sagten, wir haben viele Sinne und der optische ist eigentlich der am besten verstandene, zumindest aus der Informatiksicht. Akustisch kann man auch schon sehr viel machen. Haptisch gehen wir, denke ich, natürlich hin zu Robotern, die uns haptisches Feedback geben könnten. Aber wenn es dann zum Geruch geht oder auch zum Geschmackssinn, da sind wir noch sehr weit weg davon, künstlich die Welt so zu erweitern, dass es nicht in riesigen Apparaturen endet, die dann sehr verwirrend und schwierig sind. Ich bin mir nicht sicher. Ich habe das Gefühl, wir machen jetzt gerade im Optischen und Akustischen enorme Fortschritte, sodass Augmented Reality jetzt an einer Schwelle steht zu der Situation, dass wirklich Produkte auf den Markt kommen können und auch von der Gesellschaft als solche wahrgenommen werden. Vielleicht insbesondere auch im Computerspielbereich, aber man sollte auch auf die industriellen Anwendungen schauen, die vielleicht nicht immer so spektakulär in der Presse zu sehen sind, die aber ganz gewaltig Einzug halten in dieses Konzept, insbesondere Industrie 4.0, wie man Menschen, die nicht am Schreibtisch sitzen, wie man die unterstützen kann.
[Laskus:] Frau Klinker, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
[Klinker:] Ja, Dankeschön, Ihnen auch.
Hidden Champion
[Kirsch:] Mehr als 11.000 Mitarbeitende hat die TU München. Klar, dass es da hin und wieder Posten gibt, die neu besetzt werden müssen, zum Beispiel Lehrstühle. Jedes Jahr beruft die TUM etwa 50 neue Professorinnen und Professoren. Und natürlich geht es anderen Universitäten nicht anders, auch die brauchen neue Leute und versuchen dann gerne mal, Talente bei der TU abzuwerben. Anja Bräunig ist die Frau, die genau das verhindern will. Mit ihrem Berufungsteam sorgt sie dafür, dass die Technische Universität München ihre besten Leute behält und gleichzeitig renommierte Kolleginnen und Kollegen von anderen Unis anlockt. Sie ist unsere Hidden Champion der heutigen Folge und Clarissa Ruge hat sich mit ihr unterhalten.
[Clarissa Ruge:] Frau Bräunig, Sie sind ja im Berufungsteam mit dafür verantwortlich, die besten Köpfe an die TUM zu holen. Wer sucht eigentlich die passenden Köpfe aus?
[Anja Bräunig:] Das machen die Wissenschaftler selber. Immer gibt es eine Kommission aus Wissenschaftlern und auch weiteren Mitgliedern, Frauenbeauftragte, Studierendenvertreter, die dann die Auswahl der besten Kandidatinnen und Kandidaten machen.
[Ruge:] Was muss man investieren, um diese Person zu überzeugen nach München an die TUM zu kommen?
[Bräunig:] Es ist nicht allein Geld, aber das spielt natürlich eine wichtige Rolle. Zum einen die persönlichen Aspekte, Gehalt, aber auch, dass die Familie, die meistens dabei ist oder Partner und Partnerinnen, die dabei sind, auch gut in München ankommen. Das wird immer wichtiger. Und als zweites natürlich, dass die Ausstattung sehr gut ist, dass hinreichend wissenschaftliches Personal da ist, dass eine gute Geräteausstattung da ist. Und was natürlich auch wichtig ist, dass die Leute hier ein sehr gutes wissenschaftliches Umfeld haben, also sehr gute, interessante Professoren-Kolleginnen und -Kollegen, mit denen sie gemeinsam forschen können.
[Ruge:] Wie reagieren die Kandidaten, wenn die TUM anklopft?
[Bräunig:] Also, zum Glück sehr erfreut, in den allermeisten Fällen, eigentlich in allen Fällen, in denen wir anrufen. Ich glaube, dass die TU eine sehr gute Adresse ist. national auf alle Fälle, aber auch international. Und wir machen es ja meistens so, dass der Präsident persönlich zunächst anruft und mitteilt, dass wir den oder die Betreffende gern berufen würden und das ist auch etwas, was gut ankommt bei den Kandidatinnen und Kandidaten, weil es zum Teil nicht üblich ist, auch international.
[Ruge:] Wie passt eigentlich so ein zeitaufwendiges Verfahren zu einer Uni wie der TUM, wo es nicht schnell genug gehen kann?
[Bräunig:] Na, jetzt könnte man sagen, gar nicht. Trotz alledem, wir wollen natürlich sorgfältig auswählen. Das dauert eine gewisse Zeit. Manchmal ist es auch ganz gut, dass man sich ein bisschen mehr Zeit nimmt, aber man könnte es hier und da auch schneller machen, gerade vielleicht im Bereich der Tenure-Track-Professoren und Professorinnen, wo man ja noch mal eine Tenure-Evaluierung hat später, in der man noch mal eine Qualitätsauswahl machen kann, da könnte man die Verfahren zeitlich knapper halten. Da sind uns aber oftmals auf Grund von Gesetzesvorgaben die Hände gebunden.
[Ruge:] Und gab es schon mal, sagen wir mal, fast skurrile Ausstattungswünsche oder Forderungen?
[Bräunig:] Ja, es gab mal jemanden, der hatte sich eine Schiefertafel gewünscht in seinem Büro. Wir waren durchaus auch bereit, das zu machen, es hat dann allerdings ganz praktische Gründe gehabt, warum es nicht möglich war. Derjenige war nämlich in einer Anmietung untergebracht und man hätte da die Schiefertafel, die, wie ich dann gelernt habe, ziemlich schwer ist, an eine Wand anbringen müssen, die dafür nicht geeignet war.
[Ruge:] Was macht Ihnen jetzt persönlich am meisten Spaß an Ihrer Arbeit?
[Bräunig:] Die Berufung ist eine sehr schöne Arbeit, weil man immer wieder Erfolgserlebnisse hat, nämlich dann, wenn einem ein Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin zusagt. Aber auch, wenn mal jemand absagt, dann weiß man auch immer gleich das Ergebnis, also man hat nicht irgendwelche Projekte, die sich ewig hinziehen, sondern man hat sehr schnell ein Ergebnis und das sorgt immer für viel Zufriedenheit, vor allen Dingen dann, wenn die guten Leute annehmen, an die TUM kommen, was in den allermeisten Fällen der Fall ist.
[Ruge:] Was wäre Ihrer Meinung nach das Effektivste, wo Sie noch besser im Team, mit Ihrem Team arbeiten könnten?
[Bräunig:] Was glaube ich wichtig wäre, ist, dass man den Universitäten die Autonomie einräumt, im Wesentlichen selber zu entscheiden, wie sie das Berufungsverfahren gestalten. Das einem bestimmte Grundsätze, die können gerne natürlich im Gesetz geregelt sein, das macht auch Sinn, das ist auch richtig, aber, dass man im Detail selber das Verfahren bestimmen kann, das wäre schon hier und da eine Verbesserung.
[Ruge:] Als Sie 2007 als Juristin an die TUM gekommen sind, hätten Sie sich glaube ich nicht vorgestellt, dass Sie 2021 noch hier sind oder immer noch. Warum so lange?
[Bräunig:] Ja, das stimmt, das hätte ich mir am Anfang nicht vorgestellt, aber es sind dann doch inzwischen 14 Jahre geworden. Es war immer spannend an der TUM, man konnte sich immer persönlich weiterentwickeln, aber auch die Themen, die man zu bearbeiten hat, haben sich immer weiterentwickelt und die TU macht immer mal was Neues. Sie entwickelt sich weiter und das sind schöne Herausforderungen, an denen man verantwortlich mitarbeiten kann. Man ist wirksam an der TU und man hat zumindest in meinem Bereich durchaus viele Freiheiten, in denen man sich verwirklichen kann.
[Ruge:] Danke.
Der junge Blick
[Kirsch:] Stellen Sie sich vor, Sie schreiben an Ihrem Computer einen Text. Vielleicht für eine Bewerbung, vielleicht für einen Kurs an der Universität. Und dann kurz bevor Sie fertig sind, merken Sie, Mist, die Rechtschreibprüfung funktioniert nicht. Das ist mittlerweile unvorstellbar geworden. Wir alle sind daran gewöhnt, vom Computer korrigiert zu werden, wenn wir uns verschreiben. In der Welt der Ingenieure, wo Modelle und Planungen geschrieben werden, gab es diese automatisierte Korrektur lange Zeit nicht. Ein ehemaliger TU Student hat das aber geändert. Florian Grigoleit. Mit seinem Start-up „modelwise“ will er genau diese Lücke schließen. Wie funktioniert das? Darüber hat er mit meinem Kollegen Marcel Laskus gesprochen.
[Laskus:] Hallo Florian.
[Florian Grigoleit:] Hallo Marcel.
[Laskus:] In einem Interview hast du erklärt, „modelwise“ biete eine Art Rechtschreibprüfung an, nur eben nicht für Text, sondern für Ingenieursmodelle. Was kann man sich darunter vorstellen?
[Grigoleit:] Man kann sich darunter vorstellen, dass im Ingenieurwesen natürlich auch Qualitätsmerkmale geprüft werden müssen. So wie beim Text ist die Rechtschreibung die Frage, bei Ingenieurprodukten geht es um Qualität, Zuverlässigkeit und oft auch um Sicherheit. Und für technische Produkte wie Flugzeuge oder Autos gilt grundsätzlich: Es dürfen keine Menschen gefährdet werden, das prüfen Ingenieure heute händisch und mit „modelwise“ in Zukunft eben automatisch computergestützt.
[Laskus:] Kannst du vielleicht ein Beispiel nennen, wie das dann ganz konkret mal aussieht?
[Grigoleit:] Wenn man sich vorstellt, man hat ein Steuergerät im Auto, das beispielsweise den Airbag kontrolliert, da gibt es gewisse Sensoren, die prüfen, wie beschleunigt das Auto? Und wenn ein paar Grenzwerte überschritten werden, löst der Airbag aus. Und wenn ein technischer Fehler vorliegt, beispielsweise kann es einfach nur sein, der Sensor schickt ein falsches Signal, weil möglicherweise Kurzschluss, dann löst der Sender den Airbag falsch aus und es wäre natürlich ein Sicherheitsrisiko. Und der Ingenieur prüft für jedes Bauteil des ganzen Airbagsystems, was kann schiefgehen und wenn es schiefgeht, sagen wir einfach mal, der Sensor schickt ein falsches Signal, was passiert dann? Das ist natürlich eine riesige Menge an kleinen Prüfaufgaben, die unsere Software automatisiert in Sekunden oder Minuten erledigen kann.
[Laskus:] Und fühlen Sie sich da nicht so ein bisschen in ihrer Kompetenz vielleicht auch angegriffen, weil eigentlich kriegen sie das ja selbst hin, sollte man meinen.
[Grigoleit:] Ja, diese Bedenken kommen teilweise, dass dann auch so die Angst ist, Leute werden wegrationalisiert oder ihre Arbeit ist unnötig – und natürlich auch ein bisschen angegriffener Stolz. Allerdings ersetzt unsere Software, wir sagen zwar Rechtschreibprüfung, aber sie ersetzt ja nicht das Schreiben. Es ist nur das Drüberlesen, das unterstützt wird, und somit die langweiligen Prüfaufgaben, die sowieso die meisten Ingenieure nicht machen wollen, die übernimmt der Computer.
[Laskus:] Was ist passiert, dass du nach deinem Studium an der TUM nicht in eine sicherlich ganz gut bezahlte Festanstellung gegangen bist, sondern dass du neben deiner Promotion auch noch gegründet hast?
[Grigoleit:] Das hat sich aus der Promotion heraus entwickelt. Ich hatte ja eigentlich schon die Vorstellung, ich mache mein Studium fertig, ich promoviere und entweder ich gehe in die Wissenschaft oder beispielsweise in die Industrieforschung. Aber während der Promotion hat mir mein Doktorvater dankenswerterweise wahnsinnige Autonomie gelassen. Ich durfte meine Arbeit einteilen, meine Projekte selbst heraussuchen und überlegen, wohin ich mich entwickeln möchte. Und diese Autonomie habe ich nach relativ kurzer Zeit angefangen zu genießen und wollte auch nicht mehr in so einem Korsett eingeschnürt arbeiten und da war Selbständigkeit dann relativ schnell eine Option. Und aufgrund unserer Technologien, die wir in der Forschungsgruppe hatten, war die Möglichkeit, nicht nur Selbständigkeit, Beratung, sondern eben eine Technologiefirma gründen naheliegend.
[Laskus:] Auf diesem langen Weg, den du jetzt ja hier schon gegangen bist an der TU München und auch mit deinem Start-up „modelwise“, gab es da auch mal ein Tal oder ein Tief? Hast du vielleicht auch einen Rat für andere Gründerinnen und Gründer, wie man so ein Tal überwindet?
[Grigoleit:] Ein Tal ist eine leichte Untertreibung, es gab sehr viele. Natürlich im Studium weniger, aber eine Promotion ist in weiten Teilen ein langes Tal. Auf „modelwise“ fokussierend, ja, ein Start-up besteht zu 99 Prozent aus harter Arbeit und sehr, sehr vielen Rückschlägen. Man kriegt Absagen von Fördergebern, Absagen von Kunden, Absagen von Investoren und wenn nichts vorwärtsgeht, kommt es sehr schnell zu Streit im Team. Wir hatten diverse Diskussionen mit der Uni über IP-Rechte, da ist schon sehr viel zusammengekommen und ich glaube, was wichtig ist, sind zwei Sachen. Das eine: sich bewusstmachen, das geht vorbei. Also man hat den furchtbarsten Tag im Start-up und denkt sich man möchte hinschmeißen. Und ich hatte auch Tage, wo ich einfach mal online nach Jobs geschaut habe. Aber das geht vorbei und am nächsten Tag hat man wieder einen kleinen Erfolg und das ist das, was man sich wirklich auch bewusstmachen muss. Der zweite Tipp: diese kleinen Erfolge feiern. Selbst wenn man irgendwo vielleicht gerade eine Absage bekommen hat, es kommt auch irgendwo eine Zusage. Wir sind gerade in ein Start-up-Programm reingekommen und waren am Überlegen, sollen wir es machen, es hat Vor- und Nachteile. Und dann haben wir gesehen, es hat eine Annahmequote von einem Prozent und dann hat sich die Frage „Sollen wir es machen?“ irgendwie erübrigt, dann waren wir sofort dabei. Einfach dieser Erfolg, obwohl es vielleicht gar nicht die beste Lösung sein muss.
[Laskus:] An welcher Stelle oder nach welchem Kriterium kann man sagen, das ist ein gutes Start-Up?
[Grigoleit:] Also ein Investor würde sagen, ein gutes Start-Up ist eins, das Geld abwirft. Ich würde sagen, vor allem am Anfang, wenn das Geld noch sehr weit weg ist, ist es das Team. Wenn das Team nicht zusammenpasst und das Team nicht wirklich gut, effektiv zusammenarbeiten kann, dann kann auch die beste Technologie oder das beste Produkt nicht zum Erfolg führen.
[Laskus:] Und wie bekommt man das hin, ein gutes Team zu haben in einem Start-up?
[Grigoleit:] Ich glaube, da gibt es kein Patentrezept, aber das Wichtigste ist nach meiner Erfahrung, wirklich zu versuchen, einen Schritt zurück zu gehen, nicht nur die eigenen Interessen zu sehen, sondern zu schauen, wie kann das zusammengehen. Wir hatten vor allem in der Anfangsphase häufig das Problem, dass wir sehr unterschiedliche Vorstellungen hatten, wo soll die Reise hingehen, wer übernimmt welche Rolle und auch die Erwartungshaltung. Meine war durch Praktika bei Firmen wie Daimler vielleicht ein bisschen zu sehr geprägt von Corporate-Mentalität, während mein Mitgründer von einer sehr viel start-up-näheren, ich würde schon fast anarchischen Arbeitsweise geprägt war – und das zusammenzubringen war schwierig.
[Laskus:] Florian, vielen Dank für das Gespräch und alle Gute euch.
[Grigoleit:] Herzlichen Dank, Marcel!
Fünf Tipps
[Kirsch:] Zum Abschluss der heutigen Folge von „We are TUM“ verlassen wir wieder den TU-Kosmos und kommen zu unserer Rubrik „Fünf Tipps“. Unser Gast heute ist Peter Rösler von der Deutschen Gesellschaft fürs Schnell-Lesen. Ja, Sie haben richtig gehört, die gibt es. Die Gesellschaft hat das Ziel, Schnell-Lesen zu fördern, aber auch zu erforschen. Schnelles Lesen verbessert natürlich die Effektivität und Peter Rösler hat fünf Tipps mitgebracht, wie jeder sich in dieser Hinsicht verbessern kann. Mein Kollege Marcel Laskus hat ihn getroffen.
[Laskus:] Guten Tag Herr Rösler!
[Rösler:] Hallo Herr Laskus!
[Laskus:] Sie haben vor zehn Jahren die Deutsche Gesellschaft fürs Schnell-Lesen mitgegründet. Heute hat sie rund 100 Mitglieder und das Ziel ist es, logischerweise, möglichst schnell und effizient zu lesen. Warum wollten Sie schneller lesen können, Herr Rösler?
[Rösler:] Ich war eigentlich schon immer im Leben ein kleiner Effizienzfanatiker, habe zum Beispiel im Gymnasium das 10-Finger-System auf der Schreibmaschine gelernt, um schneller Tippen zu können. Und dann war es für mich logisch, als ich im Alter von ungefähr 40 Jahren einen Schnelllesekurs gesehen habe, bei einem Seminaranbieter, dass ich daran teilnehme.
[Laskus:] Heute wollen Sie uns ja fünf Tipps geben, wie wir alle, Studierende und auch Mitarbeitende an der Universität oder auch alle anderen, vielleicht ein bisschen schneller lesen können. Und ich freue mich sehr, dass Sie ihr Wissen mit uns teilen.
[Rösler:] Die ersten vier dieser fünf Tipps sind zusammengenommen eine Art Übung, mit denen wir den Leuten beibringen, vom durchschnittlichen Lesetempo, nämlich sagen wir mal, 250 Wörter pro Minute, sich hoch zu trainieren in einen Bereich bis zu 450 Wörter pro Minute.
#1
Der erste Tipp ist einfach: Lies einen leichten Text zehn Minuten lang, so schnell wie möglich. Streng dich an! Aber du musst noch alles verstehen.
[Laskus:] Und darf das denn jeder Text sein? Oder Sie sagen leichter Text, was könnte das denn zum Beispiel sein?
[Rösler:] Wir wollen natürlich keinen schweren Text nehmen, bei dem man als Leser oder Leserin verführt ist, nachdenken zu müssen, Hintergründe überlegen zu müssen. Daher sind leichte Texte gut oder zumindest Texte aus dem eigenen Fachgebiet, in dem man alle diese Begriffe auch kennt.
[Laskus:] Also kann ich zum Beispiel trainieren mit den Märchen von den Gebrüdern Grimm, um dann eben auch schneller Fachliteratur zu Quantenphysik zu verstehen?
[Rösler:] Sagen wir mal so, man lernt das Schnelllesen mit leichten Texten und kann natürlich danach auch schwierigere Texte schneller lesen, im Sinne von die Sprachareale im Gehirn können diese Texte schnell mitsprechen. Aber wenn dieser konkrete Text natürlich nachdenkintensiv ist, dann ist der limitierende Faktor halt leider das Nachdenken und nicht das schnell Lesen können.
#2
Der zweite Tipp: Du darfst dir gerne ein paar Sekunden Erholungspause nach jeder Seite gönnen. Das bedeutet zehn Minuten Übung muss man nicht am Stück machen, sondern zum Beispiel Seite für Seite.
[Laskus:] Warum sind Erholungspausen so wichtig?
[Rösler:] Nach unserem jetzigen Verständnis ist der Trick an diesem Trainingsformat, dass man die Sprachareale dazu bringt, das Tempo noch ein bisschen zu beschleunigen. Das heißt, man muss an der Grenze sein. Und es könnte sein, dass man nicht zehn Minuten am Stück diese volle Power schafft, sondern immer wieder mal, sagen wir mal, fünf bis zehn Sekunden Pause machen muss, um sich gedanklich zu erholen und dann wieder loszulegen.
#3
Der Tipp drei: Wiederhole diese Übung alle zwei bis drei Tage mit anderen leichten Texten. Wir vermuten, dass es nichts bringt, zu viele Übungen zu dicht zu drängen. Das Gehirn braucht natürlich die Nacht des Schlafens, um Erlerntes zu verfestigen. Also ich würde nicht empfehlen, am Tag mehr als eine Übung zu machen.
[Laskus:] Wenn ich nun besser werden will im Lesen, schneller werden will, dann wäre es ja eigentlich praktisch, wenn ich ganz einfach die Texte lese, die ich sowieso gerade lesen muss für meine Dissertation oder für mein Studium. Warum empfehlen Sie denn ganz andere Texte zu lesen, ganz leichte Texte und nicht die Texte, die ich sowieso lesen möchte.
[Rösler:] Es spricht erstmals nichts dagegen, wenn Sie die Texte nehmen, die sie sowieso lesen, aber wenn die schwierig sind, sodass Sie eigentlich nachdenken wollen, dann fällt es Ihnen vielleicht ein bisschen schwerer, diese Anweisung zu befolgen, so schnell wie möglich zu lesen.
#4
Der vierte Tipp gibt an, wann man mit diesen Übungen aufhören muss. Wenn nach ein paar Wochen keine weitere Tempoerhöhung erzielt wird, beende das Training. So einfach ist das. Aus Erfahrung wissen wir: der durchschnittliche Endwert liegt ungefähr bei 450 Wörtern pro Minute.
[Laskus:] Wie kann ich jetzt wirklich messen, wie nah ich dran bin an diesen 450 Wörtern pro Minute?
[Rösler:] Eine typische Buchseite hat vielleicht 300 Wörter pro Seite. Das zählt man aber üblicherweise aus. Das heißt, man nimmt einen Roman, misst an einer typischen Seite, wie viel Wörter das sind und dann weiß man, wenn man andere Seiten dieses Romans nimmt, dann sind es eben so und so viele Wörter.
#5
Wir kommen jetzt zum letzten Tipp: zum sogenannten Lesemanagement. Und der Tipp ist simpel. Nutze das Diagonallesen und andere Formen des Lesemanagements. Lesemanagement heißt einfach, man versucht gar nicht sein Lesetempo gerechnet in Wörtern pro Minute zu verbessern, sondern man wählt gezielt aus, was man liest. Und viele Bücher sind schon so aufgebaut, dass sie einen unterstützen. Man sieht das Inhaltsverzeichnis, man hat vielleicht am Anfang eines Kapitels eine Zusammenfassung und erkennt schon aus dieser Zusammenfassung, das Kapitel kann ich überspringen. Oder sagen wir mal, mit wenig Risiko überspringen. Lesemanagement ist immer ein Abwägen, tja, das Restrisiko bleibt, dass man was Wichtiges überlesen hat. Aber gezielt Lesemanagement einzusetzen ist immer noch die beste Form bei begrenzter Zeit und großem Lesestoff, dieses Risiko zu minimieren. Wer einfach drauf los liest und aufhört, wenn die Zeit abgelaufen ist, das ist eine viel schlechtere Strategie.
[Laskus:] Ich danke Ihnen sehr für dieses interessante Gespräch!
[Rösler:] Gerne.
[Kirsch:] Und das war es schon für diese Folge von „We are TUM“. Auch in der nächsten Folge sprechen wir wieder über Spitzenforschung, das Studienleben und all die Menschen, die die TU zu dem einzigartigen Ort machen, der sie ist. Das war „We are TUM“. Diese Folge wurde produziert von Marcel Laskus, Clarissa Ruge, der ProLehre-Medienproduktion und von mir, Matthias Kirsch. Das Sounddesign und die Postproduktion gestaltet Marco Meister von Edition Meister aus Berlin. Bis zur nächsten Folge, kommen Sie mit uns und entdecken Sie die großen und kleinen Geheimnisse der TU München.
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