Vizepräsidentin Prof. Juliane Winkelmann im Gespräch
„Wissenschaft lebt von Verbindungen in die Welt“
Frau Professorin Winkelmann, Sie sind seit fünf Jahren Vizepräsidentin für Internationale Allianzen und Alumni. Was macht diese Arbeit für Sie aus?
Internationale Zusammenarbeit – das ist ein spannendes und manchmal auch spannungsvolles Aufeinandertreffen und Austarieren von unterschiedlichen Kulturen, Kontexten und Perspektiven mit dem Ziel, für alle Seiten einen Fortschritt zu erreichen. Mir macht es große Freude, solche Prozesse anzustoßen, zu begleiten, zu moderieren und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
Welche Partner sind das zum Beispiel?
Die TUM ist weltweit durch die Aktivitäten ihrer Schools oder Fakultäten und Lehrstühle mit hunderten Universitäten verbunden. Allein durch das Erasmus-Programm haben wir in Europa mehr als 300 Partnerinstitutionen. Wir haben aber darüber hinaus auch strategische Partner und Allianzen, mit denen wir zu bestimmten Themen besonders eng zusammenarbeiten. Allen voran eine der schlagkräftigsten Allianzen in Europa, EuroTech, deren Gründungsmitglied wir sind. Gemeinsam mit unserem EuroTech-Netzwerk verfolgen wir auch ein wichtiges Programm: EuroTeQ. Hier entwickeln wir die europäische Ingenieurausbildung der Zukunft.
Warum ist Europa so wichtig für uns?
Europa ist unser unmittelbares Ökosystem, das zum einen akademisch wirklich interessant für uns ist. Zum anderen haben wir sozusagen auch einen politischen Auftrag, zur besseren Kooperation auf europäischer Ebene beizutragen. Ein wichtiger Teil davon ist das Erasmus-Programm, das einen wichtigen Beitrag zu einem stabilen, friedlichen und wohlhabenden Europa leisten soll. Gerade der Krieg in der Ukraine zeigt uns, dass Frieden in Europa nicht selbstverständlich ist.
Die TUM hat ja auch viele Partnerschaften außerhalb Europas.
Wissenschaft lebt von Verbindungen in die Welt! Im globalen Wettbewerb fokussieren wir uns auf Partner, mit denen wir uns als Institution weiterentwickeln wollen – etwa durch unsere Flagship-Partnerschaften mit dem Imperial College London, der chinesischen Tsinghua Universität, insbesondere am Standort am Standort Shenzhen, und der University of Queensland im australischen Brisbane. Mit diesen dreien verbindet uns eine intensive institutionalisierte Partnerschaft, in die letztendlich alle Ebenen der Universität involviert sind: Forschung, Ausbildung und Entrepreneurship. Aber auch mit anderen internationalen Universitäten arbeiten wir eng in Bezug auf bestimmte Themen zusammen. Zum Beispiel im Bereich der Krebsforschung mit der Peking-Universität. Oder zum Thema Industrie 4.0 in der Deutsch-Französischen Akademie für die Industrie der Zukunft, die wir gemeinsam mit dem französischen Institut Mines-Télécom gegründet haben. Außerdem haben wir Partnerschaften mit der Staatlichen Universität São Paulo (UNESP), mit den Indian Institutes of Technology in Bombay und Kharagpur oder der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) in Ghana. Wir wollen starke Akzente setzen und gemeinsam mit unseren internationalen Partnern einen Impact schaffen – wissenschaftlich und gesamtgesellschaftlich.
Brasilien, Indien, Ghana – was macht den Globalen Süden so interessant für Kooperationen?
Ich glaube, ohne Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden kann sich eine Universität heutzutage nicht mehr behaupten. In der Zusammenarbeit mit Afrika steckt großes Potenzial für beide Seiten. Viele der größten globalen Herausforderungen können wir auch in Zukunft nur gemeinsam mit diesem riesigen Kontinent lösen. Die Zahlen sprechen hier eine ganz klare Sprache: Die Hälfte der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften liegt in Afrika, darunter auch Ghana, und bis 2030 wird voraussichtlich ein Viertel der Weltbevölkerung unter 25 Jahren in Afrika leben. Bis zum Ende unseres Jahrhunderts werden voraussichtlich die größten Städte der Welt ausschließlich in Afrika liegen. Deshalb haben wir die für uns sehr wichtige Partnerschaft mit der KNUST geschlossen, die sich seit 2018 intensiv entwickelt hat.
Gibt es da schon konkrete Projekte?
Wir haben inzwischen mehr als 15 gemeinsame Projekte. Auch mit unserem TUM SEED Center adressieren wir Herausforderungen des Globalen Südens. Dieses durch den DAAD geförderte Projekt bringt neue technische Möglichkeiten der Energiegewinnung mit Entrepreneurship-Aktivitäten zusammen. Hier wird untersucht, wie sich unternehmerische Aktivitäten und damit ganze Dörfer entwickeln, wenn dort durch Solarpanels erstmals Elektrizität verfügbar ist. Neben solchen Forschungsprojekten wollen wir aber auch Formate aufsetzen, in denen wir Studierende an unserer Universität und der KNUST gemeinsam ausbilden können.
Neben den Partnerschaften mit Universitäten hat die TUM eigene Büros rund um den Globus. Was steckt hinter diesen Liaison Offices?
Wir haben Standorte in wichtigen Regionen – nämlich in Brüssel, Singapur, Peking, Mumbai, San Francisco und São Paulo – um einen „two-way-process“ anzustoßen: Wir laden die weltbesten Talente von dort an die TUM ein und wir sind vor Ort präsent, um unser Netzwerk zu pflegen und zu vergrößern. Unsere Liaison Offices erhöhen die Sichtbarkeit der Marke TUM in der Welt – und sie unterstützen unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie deren Forschungsprojekte vor Ort. Die sogenannten Liaison Officers vermitteln zwischen den Kulturen und sie helfen uns, Hürden der internationalen Kooperation für Forschende zu beseitigen. Manchmal ist es wichtig, präsent zu sein. Etwa um Veranstaltungen zu organisieren. Und manche Dinge können wir von München aus einfach nicht erreichen. Unseren Weibo-Account zum Beispiel können wir nur von China aus bespielen – und der hat die meisten Follower aller Social-Media-Accounts deutscher Universitäten in China.
Neben den Liaison Offices hat die TUM vor 20 Jahren mit dem Campus in Singapur als erste Universität eine Niederlassung im Ausland eröffnet – mit welchem Ziel?
Der Aufbau von TUM Asia war 2002 ein starkes Signal, um mit asiatischen Universitäten zu kooperieren. Denn: Asien und vor allem China ist natürlich seit Jahren – bei allen Kontroversen – ein wichtiger geopolitischer Kooperationspartner, der auch in der akademischen Spitzengruppe mitmischt. Auch möchten wir unsere Forschenden in München in diplomatisch schwierigen Zeiten wetterfest machen und dabei unterstützen, weiter mit chinesischen Partnern zu kooperieren.
38 Prozent der Studierenden und 25 Prozent der Forschenden an der TUM kommen aus dem Ausland. Was macht die TUM so anziehend?
Zum einen unsere hervorragende Reputation, die sich auch in den internationalen Rankings niederschlägt, zum Beispiel im Global Employability Ranking, wo wir regelmäßig Spitzenplätze belegen. Außerdem haben wir ein umfangreiches englischsprachiges Kursangebot und wir bieten ausgezeichnete Karrieremöglichkeiten. Auch der Standort München ist äußerst attraktiv für Internationale: Die Stadt liegt auf Rang zwei weltweit der lebenswertesten Unistädte, die durch das QS Ranking Best University Cities 2022 bestimmt wurden, und sie bietet ein wirtschaftlich starkes Umfeld wie auch ein erstklassiges Ökosystem.
Sind Studierende der TUM auch so mobil, was Auslandserfahrungen betrifft?
Auf jeden Fall! Beim Erasmus+ Programm sind wir Top-Performer in Deutschland. Wir bieten unseren Studierenden aber auch eine Vielzahl anderer Mobilitätsprogramme, die sie gerne nutzen: etwa TUMexchange und das Kurzzeitprogramm ATHENS. Und wir unterstützen auch Freemover, also Studierende, die ihren Auslandsaufenthalt selbst organisieren. Auch für Studierende, die nicht mobil sein können oder möchten, gibt es ein breites Spektrum an Aktivitäten, mit denen sie sich vor Ort internationalisieren können und entsprechende Kompetenzen aufbauen können. Von Sprachkursen bis hin zu Tutorenprogrammen wie TUMi e.V.. Mit EuroTeQ haben wir ein virtuelles Format auf den Weg gebracht, in dem Studierende strukturiert an Online-Kursen der EuroTeQ-Partner teilnehmen können.
Und wer im Ausland forschen will?
Promovierende werden von der TUM Graduate School finanziell unterstützt, wenn sie Auslandsaufenthalte während ihrer Promotion planen. Auch bei EuroTech gibt es Abkommen mit anderen Universitäten, die einen gemeinsamen Rahmen für die Promotion abstecken. Auch mit unseren Flagship-Partnern haben wir Programme entwickelt, zum Beispiel mit dem Imperial College London die Joint Academy for Doctoral Studies, ein bilaterales Promotionsprogramm.
So viele neue Austausche, Formate und Kooperationen. Stellen diese die Verwaltung nicht vor enorme Herausforderungen?
Wir setzen ganz bewusst Akzente in der Fortbildung der Mitarbeitenden. Die Internationalisierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe und betrifft alle Mitglieder unserer Universität – für einen langfristigen Erfolg unserer Internationalisierung benötigen wir eine Verwaltung, die international tickt. Deshalb bieten wir für das wissenschaftsstützende Personal eine Vielzahl von Formaten an: Zum Beispiel Kurse bei TUM horizons oder beim Sprachenzentrum, aber auch Formate des Erasmus Staff Mobility Program. Mitarbeitende der Verwaltung können am sogenannten Maximilian Graf Montgelas-Programm teilnehmen, das wir mit Hilfe der Förderung der Exzellenzstrategie anbieten. Sie können bei unseren internationalen Partneruniversitäten lernen, wie die Verwaltung dort aufgebaut ist, wie die Partneruniversitäten strukturiert sind und wie die Forschung dort läuft.
Die TUM hat mehr als 82.000 Alumni, viele sind über die ganze Welt verstreut. Welche Bedeutung haben sie für die Universität?
Unsere Alumni sind ein ungeheures Netzwerk von Potenzial, das wir auch aus dem Blickwinkel der Internationalisierung pflegen und fördern. Die internationalen Alumni bringen sich auf vielfältige Weise aktiv für die TUM ein, zum Beispiel im Mentoring-Programm. Derzeit agieren 80 hochrangige Alumni als sogenannte TUM Ambassadors – sie sind Multiplikatoren in ihren Netzwerken für die TUM.
Welche waren Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Schritte auf dem Weg der TUM, so international zu werden, wie sie heute ist?
Die Internationalisierung der TUM wurde und wird maßgeblich durch die Exzellenzinitiative beziehungsweise die Exzellenzstrategie von Bund und Ländern bestimmt, in der die TUM bisher in allen drei Runden sehr erfolgreich war. Das Kernziel der Exzellenzinitiative war es, in Deutschland international wettbewerbsfähige Universitäten aufzubauen. Durch diese Förderung war es uns möglich, wichtige Maßnahmen wie das Tenure Track System und das TUM-IAS aufzubauen, durch die wir viele internationale Spitzenforscherinnen und -forscher anziehen. Auch unsere Verbindungsbüros und unser internationales Netzwerk, Programme für Gastprofessorinnen und Professoren sowie unsere mittlerweile große Zahl an internationalen Kooperationsprojekten konnten wir durch die Förderung der Exzellenzinitiative aufbauen. Stark zur internationalen Sichtbarkeit unserer Forschung haben auch unsere Exzellenzcluster beigetragen – sie sind wirklich profilbildend.
Und wohin soll die Reise gehen?
Perspektivisch werden wir immer internationaler werden. Deshalb denke ich, dass die Internationalisierung letztendlich eine völlig selbstverständliche Facette unserer Arbeit wird, die gar nicht mehr thematisiert werden muss. Auch heute ist der internationale Aspekt an vielen Stellen schon selbstverständlicher Teil unserer Institution. Viel tun wird sich aber in nächster Zeit bei der digitalisierten Internationalisierung in Form von virtueller Mobilität und Online-Kursen. Abgeschlossen wird die Internationalisierung der TUM aber niemals sein. Wir werden immer gefordert sein, uns an neue Möglichkeiten und neue Bedingungen anzupassen – und wir werden uns immer weiterentwickeln.
Prof. Juliane Winkelmann studierte Medizin an der Semmelweis Universität in Budapest und an der Ludwig- Maximilians-Universität München. Im Rahmen ihrer Promotion forschte sie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Seit Juni 2015 ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Neurogenetik an der TUM. Davor war sie Full Professor of Neurology and Neuroscience an der Stanford University in Kalifornien, USA. Seit 2017 ist sie Geschäftsführende Vizepräsidentin für Internationale Allianzen & Alumni.
Weitere internationale Geschichten im Universitätsmagazin TUMcampus 2/2022 lesen.
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