Neue Erkenntnisse über Quantenphänomene an Phasenübergängen
Quantenmaterialien: Verschränkung vieler Atome erstmals entdeckt
Phasenübergänge in dem für uns gewohnten Temperaturbereich sind anhand von Wasser gut zu sehen. Bei 100 Grad Celsius verdampft es, bei 0 Grad bildet sich Eis. Die Atome befinden sich in allen drei Aggregatzuständen in verschiedenen geordneten Zuständen, die sich an den Übergängen abrupt ändern. Materialeigenschaften wie Magnetismus, Supraleitung oder Ferroelektrizität sind ebenfalls Aggregatzustände, allerdings der Elektronen, – man nennt die geordneten Zustände auch Phasen.
Nahe dem absoluten Nullpunkt bei -273,15°C kann das Verhalten von Materialien nicht mehr durch klassische Theorien erklärt werden. Hier spielt die Quantenmechanik eine entscheidende Rolle, insbesondere das Phänomen der Verschränkung, bei der sich Teilchen in einem gemeinsamen quantenmechanischen Zustand befinden. Kommt es zu einem Phasenübergang am absoluten Nullpunkt, etwa durch eine magnetische Kraft, ändert sich die Verschränkung und die Fachwelt spricht von einem Quantenphasenübergang. An diesem Quantenphasenübergang ändern sich die Eigenschaften des Materials abrupt.
Neue Art von Phasenübergängen entdeckt
„Obwohl man solche speziellen Phasenübergänge seit über dreißig Jahren intensiv untersucht, dachte man bisher, dass das Phänomen der Quantenverschränkung nur bei sehr kleinen Längen- und Zeitskalen relevant ist“, erklärt Matthias Vojta, Professor für theoretische Festkörperphysik an der TUD. Bei dem von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untersuchten Lithium-Holmium-Fluorid, LiHoF4, konnte das Team nun zeigen, unter welchen Bedingungen sich die Quantenverschränkung auch auf viel größeren Maßstäben untersuchen lässt. “Wir haben eine ganz neue Art von Quantenphasenübergängen gefunden, bei denen die magnetischen Domänen eine entscheidende Rolle spielen.“
Proben in Kugelform ermöglichen exakte Messungen
LiHoF4 ist bei sehr tiefen Temperaturen ein Ferromagnet. Wird ein Magnetfeld mit sehr großer Stärke genau senkrecht zur magnetischen Vorzugsrichtung angelegt, verschwindet der Ferromagnetismus oberhalb eines Quantenphasenübergangs komplett. Bekannt ist dies schon länger. Die Forschenden änderten nun zusätzlich die Richtung des Magnetfeldes. Andreas Wendl, der die Experimente im Rahmen seiner Doktorarbeit durchgeführt hat, erklärt: „Für unsere Präzisionsmessungen haben wir Proben in Kugelform verwendet – so konnten wir das Verhalten bei kleiner Verdrehung des Magnetfelds genau studieren.“
Dabei machten die Forschenden eine überraschende Beobachtung. „Wir haben entdeckt, dass es immer noch einen Quantenphasenübergang gibt, obwohl man immer dachte, dass dieser Übergang bei einer superkleinen Verdrehung des Magnetfelds sofort verschwindet“, sagt Christian Pfleiderer, Professor für Experimentalphysik zur Topologie korrelierter Systeme an der TUM. Statt der erwarteten graduellen Änderung der Materialeigenschaften beobachtete das Team eine abrupte Änderung, das Kennzeichen eines Phasenübergangs.
Ursache dieser Übergänge sind laut den Forschenden die sogenannten Texturen. Als Texturen werden die groben Muster bezeichnet, nach denen sich die Teilchen in den Aggregatzuständen anordnen. Im Eis sind dies zueinander verkippte Kristallite, in Magneten die magnetischen Domänen, auch als Weisssche Bezirke bekannt. Bisher war unklar, ob Texturen für sich alleine Quantenphasenübergänge aufweisen können. Die Forschenden konnten dies nun zeigen, und damit gleichzeitig nachweisen, dass die Quantenverschränkung auch auf der Ebene der Texturen, also vieler Atome, stattfindet.
Große Bedeutung für Quantensensoren und -computer
Die Forschenden erstellten aufgrund ihrer Daten ein neues theoretisches Modell. „Für unsere Berechnungen mussten wir das bereits bestehende mikroskopische Modell verallgemeinern, um die Verkippung des Magnetfelds berücksichtigen zu können“, erläutert Heike Eisenlohr. Sie führte die Berechnungen in Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit durch. „Als gänzlich neuen Aspekt haben wir dann auch noch die Rückkopplung der ferromagnetischen Domänen auf die mikroskopischen Eigenschaften berechnet.“
Wichtig ist die Entdeckung und das theoretische Modell über die neuen Quantenphasenübergänge unter anderem als Grundlage und allgemeine Referenz für die Untersuchung von Quantenphänomenen in Materialien. Aber auch für neue Anwendungen: „Verschränkung soll beispielsweise in Quantensensoren und Quantencomputer kontrolliert und genutzt werden“, sagt Vojta. Pfleiderer ergänzt: „Bei unserer Arbeit handelt es sich um Grundlagenforschung, die aber auch schnell unmittelbare Bedeutung für die Anwendung haben kann, wenn man die neu entdeckten Materialeigenschaften gezielt nutzt.“
Wendl, A., Eisenlohr, H., Rucker, F. et al.: Emergence of mesoscale quantum phase transitions in a ferromagnet. Nature 609, 65–70 (2022).
https://doi.org/10.1038/s41586-022-04995-5
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- Die Arbeiten wurden gefördert durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder im Rahmen des Würzburg-Dresden Exzellenzclusters Complexity and Topology in Quantum Matter (ct.qmat; Sprecher Matthias Vojta) und des Exzellenzclusters Munich Center for Quantum Science and Technology (MCQST). Die Arbeiten wurden zudem gefördert durch den European Research Council (ERC) im Rahmen der Advanced Grant ExQuiSid und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Sonderforschungsbereiche 1143 und TRR80. Christian Pfleiderer ist Direktor des Center for QuantumEngineering (ZQE) der Technischen Universität München, das gegenwärtig auf dem Forschungscampus Garching aufgebaut wird.
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