CO2-Minderungen der Zertifikate zu weniger als 16 Prozent erfüllt
Klimakompensationen drastisch überschätzt
Tausende Projekte weltweit versprechen, den Ausstoß von Treibhausgasen auszugleichen. Unternehmen, Privatpersonen und Staaten können Gutschriften kaufen, die die Kompensation einer bestimmten Menge an Emissionen bescheinigen. Die meisten Projekte haben zum Ziel, die Freisetzung zusätzlicher Treibhausgase zu vermeiden, beispielsweise durch den Schutz von Wäldern oder durch den Bau von Windkraftanlagen statt eines Kohlekraftwerks.
Allerdings werden die Klimakompensationen zunehmend kritisiert. Infrage gestellt wird, ob die Gutschriften realistische Größenordnungen angeben und ob ihr Kauf einen Effekt hat, den es ohne die Kompensationszahlungen nicht gegeben hätte.
Ein internationales Forschungsteam hat nun in einer großen Metastudie den Forschungsstand zu diesen Fragen analysiert. Ihre Auswertung umfasst 14 einzelne, qualitativ hochwertige Studien zu mehr als 2.300 Klimakompensationsprojekten. Die Metastudie deckt ein Fünftel des gesamten Volumens an bisher ausgegebenen Emissionsgutschriften ab, was fast einer Milliarde Tonnen an CO2-Emissionen entspricht. Um die Klimaschutzwirkung zu vergleichen, untersuchten die Forschenden zudem 51 Studien zu vergleichbaren Projekten, bei denen keine Emissionsgutschriften ausgegeben wurden.
Kompensationen können zu mehr Emissionen führen
Die Metastudie zeigt, dass weniger als 16 Prozent der untersuchten Emissionsgutschriften tatsächlich Emissionsminderungen zugrunde lagen. Das Forschungsteam schlüsselte auch einzelne Bereiche auf:
Bei Projekten zur Verringerung von Schwefelhexafluorid (SF6), das eine besonders starke Treibhausgas-Wirkung hat, betrugen die tatsächlichen Emissionsverringerungen 16 Prozent der Emissionsgutschriften. Projekte zur Vermeidung von Entwaldung hatten nur 25 Prozent des behaupteten Effekts. Lediglich 11 Prozent der vermeintlichen Klimagas-Reduzierungen wurden bei Projekten erreicht, bei denen in ärmeren Ländern herkömmliche Kochherde durch klimafreundlichere ersetzt werden. Vergleichsweise gut erfüllt wurden die Angaben der Gutschriften mit 68 Prozent bei der Verringerung des Gases Fluoroform (HFC-23).
Im Bereich der Windenergie zeigen die Daten, dass die Projekte wahrscheinlich auch ohne den Verkauf von Klimakompensationen durchgeführt worden wären und die Vergabe von Gutschriften nicht zu mehr Klimaschutz geführt hat. Auch die Waldbewirtschaftung wurde in Vergleichsregionen ohne Kompensationsprojekte in gleichem Maße verbessert.
Die Metastudie zeigt neben dieser vielfachen Wirkungslosigkeit sogar negative Effekte für das Klima: In Industriebetrieben, die die Treibhausgase Trifluormethan (HFKW-23) und Schwefelhexafluorid (SF6) ausstoßen, blieb die Menge der Emissionen nicht nur weiterhin bestehen, sondern stieg an, sobald die Unternehmen Gutschriften kauften.
Das Forschungsteam hat die Ergebnisse allgemeinverständlich mit Grafiken aufbereitet, die unter anderem nach Projektzielen und Regionen filterbar sind. Die Daten sollen kontinuierlich aktualisiert werden.
„Systematische Qualitätsprobleme“
„Es ist dringend notwendig, bessere Regeln für die Ausstellung von Emissionsgutschriften zu schaffen. Alle Projekttypen weisen systematische Qualitätsprobleme auf, und die Quantifizierung der Emissionsreduktionen muss erheblich verbessert werden“, sagt Studienleiter Dr. Benedict Probst, Leiter des Net Zero Lab am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb.
Studienautor Dr. Malte Toetzke, der an der Professur für Public Policy for the Green Transition der TUM forscht, betont: „Kompensationen können durchaus wichtige Investitionen in diejenigen Klimaschutzprojekte sein, die sich nur schlecht anders finanzieren lassen. Wenn nur noch für solche Projekte Zertifikate erlaubt wären, könnten Emissionsgutschriften weniger leicht für Greenwashing missbraucht werden. Das würde die Preise für Kompensationen in die Höhe treiben, was aber ein sinnvoller Anreiz für Unternehmen wäre, vermehrt eigene Emissionen zu reduzieren statt Gutschriften zu kaufen.“
Probst, B.S., Toetzke, M., Kontoleon, A. et al. Systematic assessment of the achieved emission reductions of carbon crediting projects. Nat Commun 15, 9562 (2024). DOI: 10.1038/s41467-024-53645-z
- Alle Daten in filterbaren Grafiken
- An der Studie waren Forschende des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, der Technischen Universität München, der ETH Zürich, der University of Cambridge, der Harvard University, des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, der University of Leeds, der University of California, Berkeley, des Öko-Instituts, der Universität Wuppertal, der University of Oxford und der Vrije Universiteit Amsterdam beteiligt.
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Malte Toetzke ist am neuen Transformation Finance Lab des TUM Think Tank beteiligt. Der TUM Think Tank bringt Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft zusammen, um gemeinsam Lösungsvorschläge und Instrumente zu drängenden Problemen zu entwickeln.
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Die Forschung von Malte Toetzke wird von einem TUM Friedrich Schiedel Fellowship for Social Sciences and Technology und einem TUM Global Postdoc Fellowship gefördert.
Kontakte zum Artikel:
Dr. Malte Toetzke
Technische Universität München (TUM)
Professur für Public Policy for the Green Transition
malte.toetzke @tum.de