Deutschlandstipendium an der TUM
„Die Jugendlichen sind unfassbar motiviert“
Was wollt Ihr mit dem Mentoring erreichen? Warum braucht es das überhaupt?
Das Besondere bei uns ist, dass wir zu den Jugendlichen eine andere Beziehung aufbauen können als zum Beispiel ein:e Jahrzehnte ältere:r Betreuer:in oder Sozialarbeiter:in. Die Mentees sollen aus sich herauskommen. Die Mentor:innen sind Studierende von der TUM, meist noch im Bachelor. Unsere Mentees sind in der Regel zwischen 14 und 18 Jahre alt, sind allein nach München gekommen und wohnen im Salesianum am Rosenheimer Platz, einem Wohnheim für jugendliche Geflüchtete. Die Projektidee – und meine Aufgabe als Leiter des Ganzen – ist, Studierende mit Jugendlichen aus Syrien, dem Irak oder der Ukraine zu matchen. Davon profitieren beide Seiten immens.
Bewerbung noch bis 03. Juli 2022
Für das Deutschlandstipendium können sich TUM-Studierende noch bis zum 03. Juli 2022 bewerben: Bewerbung Deutschlandstipendium an der TUM
Wie viel Aufwand ist das Mentoring denn von Studierendenseite?
Von Aufwand würde ich da weniger sprechen. Ein:e Mentor:in trifft sich ein- bis zweimal in der Woche mit ihrem/seinem Jugendlichen – und was sie da machen, liegt ganz bei ihnen. Einer sagte mir neulich: „Ich war mit dem Samir (Anmerkung: Alle Namen der Beteiligten wurden geändert) im Deutschen Museum, das hat echt Spaß gemacht.“ Andere treffen sich auf ein Eis in der Stadt oder lernen Deutsch zusammen. Und einige unserer Mentees machen hier ihre Schule nach, da können wir mit Mathe- oder Englisch-Nachhilfe gut unterstützen.
Also holen Sie die Jugendlichen aus ihrem Alltag im Wohnheim und in der Schule raus.
Ja, zumindest zeitweise. Das ist der Kerngedanke unseres Projekts. Es ist viel mehr, als nur etwas Nachhilfe zu geben. Es geht darum, eine persönliche Verbindung mit den Jugendlichen aufzubauen. Und zum Teil entstehen auch wirkliche Freundschaften aus dem Mentoring.
Aber das klingt jetzt fast zu schön, um wahr zu sein…
Was man sich als Mentor:in bewusst machen sollte: Da kommen verschiedenste Persönlichkeiten zusammen. Einer ist gerade erst nach Deutschland gekommen und kann nur ein paar Brocken Deutsch. Da geht es uns schon darum, dass wir erstmal mit der Sprache helfen – um sich mit dem Mentee auch besser zu verständigen. Zum Teil verstecken sich die Jugendlichen hinter ihren Freunden im Wohnheim, wenn dort Landsleute sind und ganz gut übersetzen können. Ein anderer wiederum ist schon drei Jahre im Land, macht gerade eine Ausbildung und steht kurz vor der Abschlussprüfung. In so einem Fall helfen wir natürlich bei der Vorbereitung auf die Prüfung. An einer Technischen Universität sind die Studierenden so fit, dass sie da ohne Probleme helfen können.
Spüren Sie die Folgen des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine im Mentoring-Projekt? Betreuen Sie auch ukrainische Jugendliche?
Bis vor kurzem hatten wir Mentor:innen noch ausschließlich Jugendliche aus dem Nahen Osten. Es meldeten sich aber immer mehr Studierende, die sich am Projekt beteiligen wollten. Ich traf mich also mit dem Leiter vom Salesianum und der meinte: „Super, wenn du noch Leute hast. Wir haben eine neue Gruppe im Wohnheim.“ Das sind alles Geflüchtete aus der Ukraine, die dort ihre Schule gemacht haben und kurz davor waren, den nächsten Schritt ins Studium zu wagen.
Inwieweit müssen Ihre Mentor:innen die Jugendlichen anders betreuen?
Natürlich haben die Leute aus der Ukraine andere Bedürfnisse, die meisten von ihnen sprechen sehr gut deutsch. Sie wollen in München bleiben, hier ihren Schulabschluss nachholen und dann einen Studienplatz bekommen – zum Beispiel an der TUM. Auch hier stelle ich als Leiter ein Matching auf. Da geht es primär darum, bei der Bewerbung um einen Studienplatz zu helfen.
Können Sie das konkret erklären?
Gerne. Denis zum Beispiel ist 17 Jahre alt und kommt aus Kyiv. Er möchte an der TUM Wirtschaftsinformatik studieren, weshalb ich für ihn einen Mentor organisiert habe, der selbst im vierten Semester Wirtschaftsinformatik studiert. Er kann ihm optimal helfen, die beiden hatten sofort ein Gesprächsthema.
Wie blicken diese ukrainischen Jugendlichen in die Zukunft?
Sie sind unfassbar motiviert. Das finde ich echt klasse. Einmal kam eine Freundin von jemandem aus dem Wohnheim zu einem unserer Treffen, weil sie von dem Mentoring gehört hatte. Dieses Mädchen war privat bei einer Familie untergekommen. Aber sie wollte die Chance nutzen und uns Mentor:innen zum Studium an der TUM befragen. Sie hatte konkrete Vorstellungen und Fragen, schrieb alles auf einem Notizblock mit. Auch für sie fand ich einen Mentoren.
Doch nicht allen fällt der Neustart in München so verhältnismäßig leicht.
Zwei Jungs aus der Gruppe der ukrainischen Geflüchteten kommen ursprünglich aus Nigeria. Sie sind fürs Studium in die Ukraine gezogen und flohen dann wie alle anderen auch Richtung Westen. Die haben echt eine Route hinter sich. Tayo zum Beispiel studierte in Kyiv, wollte auch dort bleiben. Doch als der Luftalarm immer häufiger ausgelöst wurde und sein Gebäude zu vibrieren begann, packte der nigerianische Student seinen Rucksack. Er strandete in München und wurde im Salesianum aufgenommen. Tayo möchte in München weiter studieren, aber das ist nochmal schwieriger für ihn. Stell dir vor, du bist eh schon weit weg von zuhause und musst dann noch vor einem Krieg fliehen, weil dein Gastland überfallen wird.
Sie selbst haben auch geflüchtete Jugendliche betreut, bevor Sie die Leitung des Projekts übernommen haben.
Vor zwei Jahren hatte ich einen 19-jährigen Mentee aus dem Irak, den Zaid. In München hat er eine Bauzeichnerlehre gemacht. Und da passte es perfekt, dass ich Bauingenieurwesen studiere. Als Zaids Abschlussprüfung bevorstand, haben wir uns immer öfter getroffen. Ich wollte dann natürlich auch, dass er das gut macht und nicht durchfällt. (lacht) Heute arbeitet er in einem Büro für Tragwerksplanung in München. Hin und wieder haben wir noch Kontakt.
Damit Mentor:innen und Mentees zueinanderfinden, investieren Sie ganz schön viel Zeit und Arbeit. Was machen Sie da genau?
Bei mir laufen alle Fäden zusammen – die ich dann entsprechend koordinieren muss. Das Matching mache ich nach den Bedürfnissen und Interessen der Mentees, dann schaue ich, welche passenden Studierenden es bei uns an der TUM gibt. Ich organisiere Treffen mit den einzelnen Gruppen aus dem Wohnheim, oder auch mit allen zusammen. Das hört sich vielleicht einfach an, aber da steckt viel Psychologie dahinter. Ich muss mir überlegen, in welchem Rahmen ich Menschen miteinander bekanntmache, die sich vorher noch gar nicht kennen. Spiele ich Kennenlernspiele in der Gruppe? Halte ich einen Vortrag? Oder lasse ich alles auf mich zukommen und schaue einfach, wer mit wem ins Gespräch kommt? Da gibt es viel zu bedenken.
Eine große Stütze für Sie ist das Deutschlandstipendium, das Sie seit mehreren Jahren bekommen. Wäre Ihr Engagement ohne das Stipendium überhaupt möglich?
Wir Deutschlandstipendiat:innen bekommen 300 Euro pro Monat. Das entlastet natürlich ganz schön. Ich habe natürlich immer nebenher gearbeitet, weil die Miete in München natürlich nicht ganz günstig ist. Aber durch die 300 Euro habe ich zum Teil auch weniger gearbeitet: Wo ich davor zwei Tage die Woche gearbeitet hatte, war es dann nur noch ein Tag pro Woche. Das heißt, das Deutschlandstipendium hat mir Zeit geschenkt – die ich dann für mein Ehrenamt verwenden konnte.
- An dem Mentoring-Projekt nehmen hauptsächlich Deutschlandstipendiat:innen teil, mittlerweile sind aber auch Freund:innen der Teilnehmer:innen und andere Kommiliton:innen dazugestoßen.
- Die Fluchtgeschichten der Jugendlichen können zum Teil für die studentischen Mentor:innen belastend sein. Auch deshalb hat Tom Hicks mit dem Salesianum vereinbart, dass es einen psychologischen Ansprechpartner für die Studierenden gibt.
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