• 11.12.2024
  • Lesezeit: 4 Min.

Wo Gemeinschaft wächst und Karrieren starten

40 Jahre Ferienakademie im Sarntal

Das Sarntal in Südtirol ist keine dieser pulsierenden Urlaubsregionen in den Alpen. Langgezogen über mehrere Kilometer reihen sich hier, nördlich von Bozen, kleine Ortschaften und Weiler aneinander, links und rechts eingekeilt durch hohe Gebirgsketten. Ein abgeschiedener Ort, dessen Bedeutung für die Wissenschaft und die Lebenswege junger Menschen aus aller Welt sich bei der Durchfahrt nicht erahnen lässt. Doch seit inzwischen 40 Jahren zieht das Sarntal besonders vielversprechende Studierende für jeweils zwölf Tage in den vorlesungs- und prüfungsfreien Sommerferien hierher.

Andreas Weiler / TUM
Das gemeinsame Wandern gehört genauso zur Ferienakademie wie das Lernen und Forschen.

„Beste Noten im Studium im Bereich 1,0 bis maximal 1,2 sind eher die Regel als die Ausnahme bei den Bewerbungen. Wir nehmen gezielt die Leute mit, die durch Engagement und Persönlichkeit extrem positiv auffallen. Dieses Jahr gab es wieder doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze in der Ferienakademie“, sagt Prof. Hans-Joachim Bungartz, seit 2006 Direktor der Ferienakademie. Im Rest des Jahres leitet der Informatiker als Dekan die TUM School of Computation, Information and Technology (CIT), die größte der sieben Schools an der Technischen Universität München (TUM).

213 Teilnehmende wurden diesmal ausgewählt – unter mehr als 110.000 Studierenden der an der Ferienakademie beteiligten Universitäten TUM, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Universität Stuttgart (US). Gegründet hat die Ferienakademie 1984 der Informatik-Pionier und TUM-Professor Friedrich L. Bauer. Bereits ein Jahr später beteiligte sich auch die FAU und 2002 stieß die US als dritte Einrichtung hinzu. Finanziert wird die Ferienakademie durch die drei Universitäten sowie Sponsoren wie den Bund der Freunde der TUM und entsprechende philanthropische Gruppen an der US und der FAU. Auch Firmen wie Siemens steuern regelmäßig finanzielle Mittel bei.

Die Unterbringung der Teilnehmenden ist einfach und zweckmäßig. Geschlafen wird in fünf Gasthöfen, die Kurse finden in Essenssälen, Gaststuben und kleinen Nebenräumen statt. „Es gibt keinen Luxus, es gibt keine Noten, es gibt keine ECTS-Punkte fürs Studium. Brillante Köpfe arbeiten einfach so zusammen und schauen, was in zwölf Tagen möglich ist. Das macht riesigen Spaß“, schwärmt Bungartz.

Die Ferienakademie bietet eine einzigartige Gelegenheit, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen und gleichzeitig wertvolle Kontakte zu knüpfen. „Man lernt sich gegenseitig kennen, kann die besten Talente identifizieren“, erklärt Bungartz. Über die Hälfte seiner Promovierenden rekrutiert er regelmäßig durch die Ferienakademie. Die diesmal zehn Kurse sind interdisziplinär ausgerichtet und decken ein breites Spektrum an Themen ab. Besonderes Highlight der Ferienakademie ist die Möglichkeit, in der inspirierenden Bergwelt zu lernen und zu forschen.

Andreas Weiler / TUM
Die Studenten Tilo Umbhauer (l.) und África González (r.) mit einem "Cosmic Hunter"-Detektor auf dem Pichlberg.

Vielfältige Projekte

Der theoretische Elementarteilchenphysiker Prof. Andreas Weiler und der experimentelle Astroteilchenphysiker Prof. Stephan Schönert zum Beispiel befassten sich mit Dunkler Materie. Ausgerüstet mit einem tragbaren Myonendetektor führten sie die Teilnehmenden ihres Kurses zum Latzfonser Kreuz (2296 m) und zum Gipfel des Kassian (2581 m) und erkundeten das Bergwerk Rabenstein (1250 m), um herauszufinden, wie viele Myonen in verschiedenen Höhen und Tiefen messbar sind. Myonen sind hochenergetische Teilchen, die in der Atmosphäre entstehen, wenn kosmische Strahlung mit Atomen kollidiert.

Unter der Leitung der Politikwissenschaftlerin Prof. Miranda Schreurs simulierten Studierende aus Deutschland, Mexiko, Indien, Griechenland, Malaysia, Iran und von den Philippinen die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen vier virtuellen Staaten. Sie verhandelten in einem Rollenspiel komplexe Themen wie Entwicklung, Handel, Energie und Klimaschutz. Und immer wieder ergab sich dabei die Frage, was bessere Ergebnisse bringt: Zusammenarbeit oder Eigennutz?

Franz Hagn / TUM
Feldforschung kennt kein schlechtes Wetter. Die Gruppe von Prof. Franz Hagn und Prof. Dominik Bucher auf Exkursion zu einer Bergquelle.

Die TUM-Professoren Franz Hagn (Strukturelle Membranbiochemie) und Dominik Bucher (Quantensensorik) luden kleine, mobile Geräte für Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) und Magnetresonanztomographie (MRT) ins Auto und brachten sie mit nach Südtirol. Zwölf Studierende der Fächer Chemie, Biochemie, Physik und Medizintechnik lernten ganz praktisch den Umgang mit diesen Instrumenten und analysierten zum Beispiel selbst an einer Bergquelle gesammelte Wasserproben auf deren Eisengehalt.

Mit einer konkreten Aufgabenstellung aus der Industrie befasste sich der Kurs von Prof. Bernd Brügge. Dessen ehemaliger Doktorand Jan Phillip Bernius hatte eine Herausforderung seines Arbeitgebers Siemens mitgebracht. Es ging darum, industrielle Softwareanwendungen zu konzipieren. „Was da herauskam, war absolute internationale Spitzenklasse“, schwärmt Bernd Brügge.

Der Kurs von Hans-Joachim Bungartz und Prof. Harald Köstler (FAU) widmete sich der Entwicklung eines simulationsbasierten Computerspiels. Die Teilnehmenden erstellten einen Prototyp – von der Idee über das Design und die Spielphysik bis hin zur Umsetzung als Programmcode. „Hier arbeiten 22 Studierende aus 12 verschiedenen Studiengängen gemeinsam an einem Projekt und haben nach zehn Tagen ein Produkt, für das die Industrie viel länger brauchen würde.“ Aber das eigentliche Lernziel ist nicht die korrekte Programmierung, wie Informatiker Hans-Joachim Bungartz betont: „Die Studierenden sollen begreifen, dass sie für ihren Erfolg die Expertise der Anderen brauchen.“

Für viele Absolventinnen und Absolventen der TUM war die Ferienakademie ein Ort der Inspiration und ein Meilenstein ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung. Und auch die Dozentinnen und Dozenten beschreiben ihre Erfahrung als extrem bereichernd. Viele kommen deshalb schon seit Jahren immer wieder ins Sarntal. Rekordhalter ist Dr. Herbert Ehler. Bereits 37-mal war der frühere Geschäftsführer der Fakultät für Informatik und dann der School CIT dabei. „Die Ferienakademie bringt großartige junge Menschen miteinander in Kontakt. Sie arbeiten, diskutieren, wandern und feiern gemeinsam. Das ist einmalig und gibt einem selbst unglaublich große Motivation.“

Weitere Informationen und Links

Bewerbungen für die Teilnahme im Jahr 2025 sind von Februar bis Anfang Mai über www.ferienakademie.de möglich.

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