NewIn: Allister Loder
„Wir wollen das Auto nicht abschaffen“
Ärger über verspätete Bahnen, Flugscham und vor allem der Kampf für und gegen den Autoverkehr: In Ihrem Forschungsfeld wird es schnell emotional. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Unsere Aufgabe als Forschende ist es nicht, die Realität zu ändern, sondern Beratung anzubieten. Entsprechend streben wir nicht an, das Auto abzuschaffen. Es wird sicher eine der wichtigsten „Erreichbarkeitsmaschinen“ bleiben. Wir wollen aber erforschen, wie die Gesellschaft einen vernünftigen Umgang mit dem Auto finden kann. Denn klar ist, dass schon eine Reduzierung des Autoverkehrs um 20 Prozent helfen würde, ökologische und ökonomische Ressourcen zu schonen.
Diese Ausgangslage ist schon lange bekannt, auch Empfehlungen gibt es in großer Zahl. Was kann die Forschung darüber hinaus beitragen?
Lange Zeit wurden Empfehlungen auf eher anekdotenhafter Grundlage gegeben, beispielsweise zur Zahl der vermeintlich notwendigen Parkplätze für Wohnhäuser, Supermärkte oder Friseurläden. Wir wollen die Mobilitätsforschung evidenzbasierter machen. Außerdem werden viele Fragen noch immer als „Inseln“ betrachtet. Wir müssen aber die vielen Faktoren und Ebenen des komplexen Mobilitätsgeschehens mit ihren Zusammenhängen betrachten, also etwa welche Effekte neue Technologien im einen Verkehrssektor auf das Verhalten in anderen Bereichen haben.
Wollen Sie dafür mehr Daten aus dem Alltag erheben wie bei Ihrer Studie zu den Wirkungen des 9-Euro-Tickets, bei der Menschen ihr Mobilitätsverhalten aufgezeichnet haben?
Ja, wir planen derzeit eine Studie, bei der die Teilnehmenden ein bestimmtes monatliches Budget für Mobilität bekommen, und lassen sie erfassen, wie sie es nutzen. Das Tracking hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Aber auch andere Formen der Beteiligung der Bevölkerung sind vielversprechend, zum Beispiel die Einbindung in die Entwicklung von Mobilitätsangeboten oder mobilitätspolitischen Instrumenten, sodass wir erfahren: Was würde euch im Alltag wirklich helfen? Am Ende wird jede politische Maßnahme nur dann erfolgreich sein, wenn die Menschen mitmachen.
Sie forschen als ausgebildeter Ingenieur zu Mobilitätspolitik. Warum haben Sie den Weg in die Sozialwissenschaften eingeschlagen?
Ich war schon immer sehr breit interessiert und wusste zu Beginn des Studiums nicht so recht, welche Richtung ich einschlagen soll. Ich habe zunächst einen Bachelor Mechatronik gewählt, weil das Fach so vielseitig ist, und wollte nach dem Master in Energy Science and Technology eigentlich im Energiebereich bleiben. Weil ich mit meinem Doktorvater zu einer bestimmten Methodik arbeiten wollte, ist meine Promotion eher durch Zufall ein Verkehrsthema geworden. „Wie viele Autos sind genug für eine Stadt?“ hieß mein Dissertationsprojekt, was zu 50 Prozent sozialwissenschaftlich war. Und Verkehr hat durch das menschliche Verhalten eigentlich von sich aus eine sozialwissenschaftliche Dimension.
Sie haben danach als Berater bei den Schweizerischen Bundesbahnen gearbeitet. Die Schweiz gilt als Paradebeispiel für ein gutes Bahnsystem, Städte wie Amsterdam, Barcelona und Paris werden als Vorbilder für die Verkehrswende präsentiert. Warum tut sich Deutschland so schwer?
Wir stehen nicht so schlecht da wie oft getan wird. Unsere Städte haben im internationalen Vergleich einen sehr hohen Anteil an Radfahrenden, der ÖPNV wird von einem Großteil der Menschen genutzt. Wir haben wenige Verkehrstote, die meisten Menschen nehmen aufeinander Rücksicht. Deutschland hat eigene Hersteller von Elektroautos, Zügen und Fahrrädern, viele gesellschaftliche Akteure sind an Infrastrukturentscheidungen beteiligt.
Also ist München ein guter Platz für Forschung und Lehre zu Mobilitätspolitik?
Ja, hier ist ein sehr gutes Pflaster, weil hier viel möglich ist. Neben vielen engagierten Akteurinnen und Akteuren in NGOs, Unternehmen und Verwaltung ist auch die TUM sehr gut aufgestellt und wird international in diesem Feld stark wahrgenommen. Wir haben tolle Möglichkeiten, mit den verschiedenen Fachrichtungen zusammenzuarbeiten. Dieses Semester biete ich mit Prof. Jochen Hartmann aus der School of Management eine Vorlesung zu Marketing und Mobility an. Vergangenes Jahr hatten wir eine Lehrveranstaltung zum autonomen Fahren mit dem Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik.
Ihr Arbeitsgebiet begleitet Sie automatisch auch auf Reisen. Was ist Ihnen zuletzt in anderen Ländern aufgefallen?
Es hilft tatsächlich immer wieder, die deutsche Brille abzunehmen. In den USA, wo jede Kommune ein anderes Tarifsystem für den öffentlichen Verkehr hat, ist mir wieder bewusst geworden, welche Errungenschaft Verkehrsverbünde wie der MVV sind. Auf der anderen Seite sollten wir uns vielleicht langsam von der deutschen Vorliebe verabschieden, in Fahrplänen zu denken. In London kommen die U-Bahnen einfach alle zwei bis fünf Minuten, ohne festgelegte exakte Uhrzeit. Das würde bei uns viel Druck aus dem Kessel nehmen.
Allister Loder studierte Mechatronik an der Technischen Universität Hamburg sowie Energy Science and Technology an der ETH Zürich, wo er 2019 im Verkehrswesen promovierte. Anschließend arbeitete er als Berater für Mobilitätsdaten und -simulationen bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Von 2021 bis 2023 forschte und lehrte er am Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TUM. Mit Prof. Klaus Bogenberger leitete er das Projekt „Mobilität.Leben“ am TUM Think Tank. 2023 gründete Allister Loder eine DFG-geförderte Emmy-Noether-Forschungsgruppe und wurde als Professor für Mobility Policy an die TUM School of Social Science and Technology berufen.
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Kontakte zum Artikel:
Prof. Dr. Allister Loder
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Professur für Mobility Policy
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