• 14.6.2024
  • Lesezeit: 3 Min.

Interview: Sportinformatiker Prof. Daniel Link über Datenanalysen bei der EM 2024

„Fußball bleibt ein chaotisches Spiel“

Prof. Daniel Link nutzt Künstliche Intelligenz (KI) um Sportspiele zu analysieren. Im Interview spricht er darüber, wie Daten im Fußball erfasst und verarbeitet werden, über einen Fußball-Hackathon an der TUM und darüber, wie Datenanalysen dem Sport helfen können.

Ein Fußballfeld von oben sandsun / iStockphoto.com
Seit den 1990er-Jahren werden immer mehr Daten zu Fußballspielen live erfasst – bei der UEFA EM 2024 sendet sogar der Ball Daten. Machine Learning kann helfen, die komplexen Abläufe des Sports zu verstehen, sagt Sportinformatiker Prof. Daniel Link.

Bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 wird eine gigantische Menge an Informationen während der einzelnen Partien gesammelt.  Wie werden diese Daten eigentlich erfasst? 

Es gibt drei verschiedene Datenquellen. Zum einen werden die Spielergebnisse wie Pässe, Torschüsse oder Zweikämpfe durch Datenlogger manuell erfasst. Zum anderen gibt es optische Verfahren: Das Spielfeld wird von mehreren Kameras erfasst, die die Bewegungen der Spieler und des Balls im Videobild erkennen. Bei der EM 2024 ist zusätzlich der Ball selbst mit einem Sensor versehen.  

Was geschieht dann mit den Spieldaten? 

Die Rohdaten werden in einer zentralen Datenbank gespeichert und daraus ein Standardset an Leistungsindikatoren wie Laufleistung, Passquoten und Zweikampfstatistiken abgeleitet. Diese werden den beteiligten Mannschaften und auch den Medien direkt zur Verfügung gestellt. Viele Teams beschränken sich auf dieses Datenset. Mannschaften können aus den Rohdaten aber auch eigene Informationen ableiten.

Welchen Vorteil bringt es, selbst die Daten zu analysieren? 

Es gibt Potenzial für tiefere taktische Analysen, zum Beispiel mittels Verfahren des Machine Learning. Diese können zum Beispiel helfen, komplexe taktische Konstrukte wie Pressing oder Gegenpressing zu erkennen und abzuschätzen, in welchen Situationen welche Spielweise erfolgreich ist.  

Sie entwickeln selbst solche Programme... 

Ja, unser Forschungsschwerpunkt liegt auf der mathematischen Modellierung von Sportspielen. Dafür arbeiten wir unter anderem am Munich Data Science Institute (MDSI) der TUM intensiv mit Kolleginnen und Kollegen aus der Informatik zusammen.

Was reizt Sie daran, KI und Sport zusammenzubringen? 

KI ist insbesondere geeignet, um komplexe Klassifikationsprobleme zu lösen. Der Sport ist ein ausgesprochen interessantes Anwendungsfeld, weil hier menschliches Verhalten in einer natürlichen, höchst kompetitiven, aber gleichzeitig durch das Regelwerk komplexitätsreduzierten Raum untersucht wird. Ein Beispiel hierfür ist das Erkennen von Matchphasen auf Basis der taktischen Intention der Mannschaften. Darüber hinaus ist die Auswertung von Sportdaten ein großer Wirtschaftszweig, in dem sich Berufsperspektiven für Studierende ergeben.

Sie haben Anfang des Jahres an der TUM einen Fußball-Hackathon für Studierende ausgerichtet. Kamen die Teilnehmenden eher aus der Informatik oder aus den Sportwissenschaften?

Da sind Menschen aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen zusammengekommen, die eine Leidenschaft für Fußball teilen – aus Sportwissenschaften und Informatik aber auch aus den Wirtschaftswissenschaften, aus der Physik und anderen Fächern.

Was war die Aufgabe?

Es ging darum, sechs Challenges aus der Welt des Fußballs zu bearbeiten. Beispielsweise das Umschaltverhalten nach Ballgewinnen zu analysieren und die Anspielbarkeit der Spieler zu bewerten. Die Deutsche Fußballliga hat als Partnerin des Wettbewerbs Daten aus Bundesligaspielen zur Verfügung gestellt. Eine Jury aus Wissenschaft, Industrie und Sportpraxis hat dann den besten Ansatz ausgewählt.

Wird der Gewinner-Algorithmus jetzt die Spielanalyse umkrempeln? 

Die Algorithmen sind Prototypen. Solche Ideen können Ausgangspunkte für Produkte sein, zum Beispiel für die Medienberichterstattung oder eben auch für Analysen von Profivereinen. Von einem Prototyp zu einem fertigen Produkt ist es aber ein weiter Weg. 

Statistiken sind auch aus der Fußballberichterstattung nicht mehr wegzudenken. Wie stehen Sie dazu? 

Da geht es eher um Unterhaltung – schnell erfassbare Zahlen für das Publikum und etwas, das der Kommentator erzählen kann, wenn das Spiel gerade langweilig ist. Aussagekräftig sind diese Daten selten. Nehmen Sie die Passquote: Eine hohe Passquote sagt nichts darüber aus, ob gute Pässe hinter die Abwehrlinien gespielt wurden, oder ob zigmal zum Nebenmann gespielt wurde. Um tatsächlich taktische Entscheidungen zu treffen, braucht man komplexere Informationen.  

Werden die Analysealgorithmen irgendwann so ausgereift sein, dass Fußball als Spiel auserzählt ist? 

Nein, Fußball bleibt ein chaotisches Spiel. Fußball lebt von vielen Zufallselementen wie Postenschüssen oder abgefälschten Bällen, die man aber natürlich auch erzwingen muss. Wie eine individuelle Partie ausgehen wird, ist schwer vorherzusagen. Das macht den Sport aber so interessant, weil der Underdog auch mal gewinnen kann.  Dazu kommt, dass sich die Art, wie Fußball gespielt wird, ständig weiterentwickelt. Daten helfen, einzelne Aspekte besser zu verstehen und Trainingsbelastungen zu steuern. Wir stehen erst am Anfang, wenn es darum geht, diese Daten umfassend zu nutzen.  

Weitere Informationen und Links

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. Daniel Link
Technische Universität München
Lehrstuhl für Trainingswissenschaft und Sportinformatik
Tel. +49 (89) 289 – 24500
daniel.linkspam prevention@tum.de

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