Werner Lang, neuer Vizepräsident für Nachhaltige Transformation, im Interview
„Das Echo der Studierenden ist gigantisch“
Herr Lang, wie ist der Funke bei Ihnen übergesprungen? Weshalb haben Sie sich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben?
Es gab zwei Ereignisse, die mein Denken sehr stark geprägt haben: die erste und die zweite Ölkrise. Als zwölfjähriges Kind habe ich 1973 während der ersten Ölkrise gesehen, dass plötzlich keine Autos mehr fuhren. Es gab die autofreien Sonntage. Und mit 18 Jahren habe ich während der zweiten Ölkrise das Bewusstsein entwickelt, dass Energie nicht unendlich verfügbar ist und dass es darum sogar militärische Konflikte geben könnte – eine sehr einschneidende Erfahrung für mich. Im Architekturstudium habe ich mich dann damit beschäftigt, was ich in diesem Berufsfeld zu dem Thema beitragen kann. Mir kamen viele Fragen. Welche Art von Energie nutzen wir? Bei der Ölkrise ging es ja eben nicht um nachhaltige Energie.
Fridays for Future, die „Letzte Generation“ – die Energie- und damit Nachhaltigkeitsfrage bewegt junge Menschen heute sehr. Wie macht sich das an der TUM bemerkbar?
Wir konnten schon feststellen, dass junge Menschen sehr genau beobachten, wie wir uns als Universität in Sachen Nachhaltigkeit aufstellen und dass sie bestimmte Dinge auch vehement einfordern – mit gutem Recht, finde ich! Meine Generation hat sich ja selbst sehr stark gegen Kernkraftwerke und die Nutzung nuklearer Energie eingesetzt. Für mich persönlich hieß das dann in der Konsequenz, an Alternativen zu denken – und so habe ich mich der Solarenergie als unerschöpfliche Quelle zugewendet. Vor allem in den letzten Jahren hat das Interesse an unseren Lehrveranstaltungen enorm zugenommen. Das Echo der Studierenden ist gigantisch. Und ich muss sagen, es ist schön, nicht der einsame Rufer in der Wüste zu sein.
Es ist schön, nicht der einsame Rufer in der Wüste zu sein
Geht es bei Nachhaltigkeit für Sie also vor allem um Energie?
Nein. Das war zwar mein Einstieg ins Thema, aber Energie ist nur ein Aspekt. Nachhaltigkeit geht weit über reine Umweltthemen wie Ressourcenschutz und CO2-Emissionen hinaus. Für mich bedeutet Nachhaltigkeit, als Mensch so zu agieren, dass künftige Generationen die gleichen Voraussetzungen für ein erfüllendes Dasein haben, wie ich sie heute habe. Damit meine ich, dass die Bedürfnisse der Menschen umfassend erfüllt sind – also mehr zur Verfügung steht, als lediglich etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf. Ich denke an ein sicheres Dasein und eine geschützte Umgebung, die ein Gedeihen, eine Entwicklung ermöglicht.
Ein umfangreiches Programm. Wo fängt man da an?
Ein wichtiger Schritt für unsere Universität war es, unser Positionspapier zu entwickeln, die TUM Sustainable Futures Strategy 2030. Dabei haben wir uns an den 17 Sustainable Development Goals der UN orientiert, die übrigens auch die EU mit ihrer Agenda 2030 verfolgt. Wir haben Handlungsfelder identifiziert, mithilfe derer wir Nachhaltigkeit und Umweltschutz umsetzen wollen: In der Forschung, in der Lehre und Weiterbildung, im Bereich Entrepreneurship und Innovation sowie bei Campusbetrieb und Ressourcenmanagement. Das alles ist aber nur realisierbar, wenn wir Kommunikationsstrategien miteinbeziehen und unser globales Engagement weiterentwickeln. Und mithilfe der richtigen Governance! Wir haben bereits Taskforces eingerichtet, die sich um die Transformation der verschiedenen Standorte kümmern. Und um nicht im „man könnte, sollte, wollte“ zu bleiben, haben wir ganz konkrete Maßnahmen formuliert.
Und wie geht es jetzt weiter?
Der nächste wichtige Schritt wird nun sein, die gesamte Universitätsgemeinschaft mit ins Boot zu holen. Wir können diese Strategie nur gemeinsam umsetzen! Eine Herausforderung ist sicher, dass die meisten Menschen in ihren Leben schon sehr stark eingebunden sind, ohnehin schon ständig unter Termindruck stehen. An dieser Stelle will ich aber betonen: Nachhaltigkeit ist keine Bürde, sondern eine große Chance. Zugleich ist nachhaltiges Handeln eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe, der wir mit aller Kraft und Freude begegnen dürfen und auch müssen, damit wir unser Leben so aufrechterhalten können, wie es heute ist. Und Nachhaltigkeit hat ein enormes Potenzial für persönliche Erfüllung. Man kann hier zu etwas von größter Wichtigkeit beitragen.
Wie kann ich trotz vollem Terminkalender zur nachhaltigen Veränderung der Gesellschaft beitragen?
Durch ganz basale Dinge, zum Beispiel die Räumlichkeiten bewusst zu nutzen. Fenster schließen, Stoßlüften im Winter und Heizkörper herunterdrehen oder ausschalten, wenn sie nicht gebraucht werden. Das eigene Verhalten überprüfen. Müll vermeiden, vielleicht die eigenen Ernährungsgewohnheiten anpassen oder vermehrt auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Fahrrad umsteigen. Jeder kann sich fragen: Wieviel brauche ich eigentlich, um glücklich zu sein? Wenn alle Angehörigen der TUM – und das sind mehr als 60.000 Menschen – an einem Strang ziehen, dann wäre das schon gewaltig.
Welche Fächer können an der TUM etwas für eine nachhaltige Zukunft leisten?
Im Prinzip alle. Studierende können in jedem Fach kritisch hinterfragen: Werden wir richtig ausgebildet, was Nachhaltigkeitsfragestellungen anbelangt? Bei der Chemie zum Beispiel denkt man vielleicht nicht sofort an Nachhaltigkeit. Dabei hat sie extrem viel mit Nachhaltigkeit zu tun: Man kann sich hier fragen, welche Umweltbelastungen durch bestimmte Stoffe, Prozesse oder bei der Nutzung von Materialien entstehen und welche Alternativen es gibt. In den Gesundheitswissenschaften und in der Medizin kann man sich fragen, welche gesundheitlichen Folgen beispielsweise Schadstoffe in der Atmosphäre oder in der Stadt haben.
Sie wollen mehr über technischen Umweltschutz, Gesundheit sowie Verbraucher- und Klimaschutz erfahren? Bei der Ringvorlesung Umwelt des Referats für Umwelt der Studentischen Vertretung der TUM können Sie regelmäßig Vorträgen von Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen folgen. Die nächste Reihe beginnt am 18. April 2023.
Die TUM sieht sich selbst als „Living Lab“ für transformatives Handeln. Was soll hier experimentiert werden?
Wir wollen uns an der TUM gemeinsam auf eine Entdeckungsreise begeben, bei der wir auch die Gebäude und Infrastruktur der Universität nutzen wollen. Zum Beispiel können wir den Betrieb unseres Campus unter die Lupe nehmen und Wege finden, unsere Gebäude durchgehend in nachhaltiger Weise zu ertüchtigen. Also perspektivisch den Energiebedarf drastisch zu reduzieren den Verbleib mit erneuerbaren Energien versorgen – um möglichst zeitnah zu einem CO2-neutralen Standort zu kommen. Oder die Mensen. Hier kann man sich anschauen, welche Art von Essen angeboten wird, wie der Energieeinsatz beim Kochen aussieht und welche Wege die Nahrungsmittel zurücklegen. Man kann auch an der Begrünung der Standorte arbeiten – gerade in der Innenstadt. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten.
Jeder kann sich fragen: Wieviel brauche ich eigentlich, um glücklich zu sein?
Wo sehen Sie die größte Herausforderung?
Im grundsätzlichen Umdenken. Dass wir wegkommen von kurzfristig ausgerichtetem Denken und Handeln. Dass wir dahin kommen, dass unsere Entscheidungsprozesse immer auf der Frage basieren, was im gesamten Lebenszyklus passiert. Und dass wir wegkommen von dem Gedanken „nachhaltig ist teuer, das können wir uns nicht leisten“. Dazu müssen wir auch unsere Wertvorstellungen hinterfragen. Wir müssen eine Balance finden zwischen der Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen und der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten.
Worauf freuen Sie sich am meisten in der neuen Rolle?
Auf die Zusammenarbeit mit den vielen Menschen an der TUM, die sich schon jetzt für das Thema Nachhaltigkeit begeistern – darauf, mit ihnen gemeinsam etwas zu bewegen und andere anzustiften, zu „Mittätern“ in Sachen Nachhaltigkeit zu werden!
Der Architekt ist seit 2010 Professor für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen an der TUM. Zuvor lehrte er an der School of Architecture der University of Texas in Austin und leitete dort das Zentrum für Nachhaltige Entwicklung. Neben seiner Arbeit als Forscher und Hochschullehrer ist Werner Lang Direktor des Oskar von Miller Forums. Im Jahr 2022 wurde er mit dem TUM Sustainability Award ausgezeichnet. Seit März 2023 ist er Vice President Sustainable Transformation an der TUM.
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