• 17.7.2019
  • Lesezeit: 2 Min.

Bei Bakterien bestimmen die Nachbarn mit, welche Zelle zuerst stirbt

Physiologie des Überlebens

Bakterien gehen in Hungerphasen nicht einfach nach dem Zufallsprinzip zugrunde, sondern auch die Nachbarzellen haben ein Wörtchen mitzureden. Ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) hat nun herausgefunden, dass vor allem zwei Faktoren über Leben und Tod entscheiden: die für das Weiterleben notwendige Energie und die Effizienz, mit der die Nachbarn Biomasse aus abgestorbenen Zellen recyceln können.

Elena Biselli am Mikroskop. A. Heddergott / TUM
Elena Biselli am Mikroskop.

Überleben und Wachstum von Zellen sind zentrale Faktoren in biologischen Systemen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Ulrich Gerland, Professor für die Physik komplexer Biosysteme an der TU München, versuchen daher zu verstehen, wie die molekularen Bestandteile zusammenspielen, um auch in Stresssituationen die Lebensfähigkeit eines Zellverbandes zu erhalten.

Dem Team um Ulrich Gerland ist es nun gelungen, zwei für das Überleben eines Bakteriums entscheidende Faktoren zu identifizieren: den Grundenergieverbrauch einer Zelle und die Menge an Energie, die die überlebenden Zellen pro toter Zelle aus der Nachbarschaft gewinnen können, also eine Art Effizienz im Recycling von Biomasse.

Nährstoffe aus benachbarten Zellkadavern

Die Forscher simulierten in Zellen des Bakteriums Escherichia Coli künstlich eine Notsituation: Es fehlte den Bakterien an Zucker und anderen Kohlehydraten. Den Bakterien standen damit weder Energie noch Baustoffe zur Verfügung.

Als erste Zellen abstarben, versuchten die überlebenden Zellen daraufhin, Nährstoffe aus benachbarten Zellkadavern zu gewinnen. Je höher der Verbrauch eines bestimmten Enzyms war, umso höher war auch die Sterblichkeitsrate, je mehr sie aus toten Zellen recyceln konnten, umso höher die Überlebensrate.

„Unsere Ergebnisse ermöglichen zum ersten Mal eine quantitative Bestimmung der Beiträge, die einzelne molekulare Bestandteile von bakteriellen Zellen zu ihrem Überleben leisten“, sagt Gerland.

Zerfall als kollektives Phänomen

Insgesamt ergab sich eine exponentielle Abnahme der Überlebensrate mit der Zeit. Prinzipiell ließe sich ein solcher Verlauf mit dem zufälligen Sterben einzelner Zellen erklären, so ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall, der ebenfalls exponentiell verläuft.

Doch die Zusammenhänge sind komplexer, wie die Forscher durch Ändern bestimmter Randbedingungen herausfanden: Der Zerfall in Bakterienkolonien ist ein kollektives Phänomen. Die benachbarten Bakterienzellen bestimmen also mit, ob eine Zelle in ihrer Mitte abstirbt oder weiterlebt.

Mathematische Analyse des Überlebens

Veränderungen der Sterblichkeitsrate können dabei aus einer Fülle genetischer oder ökologischer Störungen entstehen, die das Überleben von Bakterien beeinflussen. Das entstehende Gleichgewicht ist daher abhängig von den Umgebungsbedingungen und bei jedem Bakterium anders.

Um die Dynamiken zu verstehen, modellierten die Forschenden das Gesamtsystem der überlebenden Bakterien mathematisch. Dann nutzten sie diese Beziehung, um molekulare Beiträge zum Überleben von Zellen zu bestimmen.

Je nach Zelltyp können so die für das Überleben von Zellen wichtigen molekularen Faktoren ermittelt werden, und es lässt sich herausfinden, welche Enzyme oder Proteine jeweils die Überlebensrate bestimmen.

„Unser Ziel ist es, systematisch und quantitativ zu verstehen, wie Bakterien es schaffen, unter so vielen Umgebungsbedingungen zu überleben“, sagt Gerland. „Es ist die Suche nach der Physiologie des Überlebens.“

Prof. Ulrich Gerland und Mitautorin Elena Biselli im Labor. A. Heddergott / TUM
Prof. Ulrich Gerland und Mitautorin Elena Biselli im Labor.
Publikationen

Death rate of E. coli during starvation is set by maintenance cost and biomass recycling
Severin J. Schink, Elena Biselli, Constantin Ammar, Ulrich Gerland
Cell Systems, July 17, 2019 – DOI: 10.1016/j.cels.2019.06.003

Weitere Informationen und Links

Die Arbeiten wurden unter unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Exzellenzclusters Nanosystems Initiative Munich (NIM) und des Schwerpunktprogramms SPP1617 sowie durch das Fellowship-Programm der Graduiertenschule für quantitative Biowissenschaften München (QBM).

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. Ulrich Gerland
Professur für die Theorie komplexer Biosysteme
Technische Universität München
James-Franck-Str. 1, 85748 Garching
Tel.: +49 89 289-12380
gerlandspam prevention@tum.de

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