Sechs TUM-Ausgründungen bei „Forbes 30 Under 30 Europe“
Europas innovativste junge Unternehmer
Glasschair: Rollstühle mit einem Kopfnicken steuern
Die meisten Studierenden, die im Wirtschaftsinformatik-Seminar neue „Mobility Services“ erarbeiten sollten, interessierten sich für Autos. Doch Claudiu Leverenz nahm sich mit zwei Kommilitonen ein anderes Fahrzeug vor: den Rollstuhl. Wie kann man Mobilität für weitgehend gelähmte Menschen erleichtern, fragten sie sich. Und entwickelten eine Applikation für Smart Glasses, mit der ein Elektrorollstuhl allein durch Kopfbewegungen und Sprachsignale gesteuert werden kann. Die Steuerbefehle werden über eine Bluetooth-Verbindung an einen Adapter weitergegeben, der an den externen Steuerport gängiger Rollstuhlmodelle angeschlossen wird.
Heute bereitet Leverenz (27) die Gründung von Glasschair vor und steht auf der „Forbes“-Liste in der Kategorie „Science and Healthcare“. Sein Team hat bereits ein großes Netzwerk zu Nutzern, Sanitätshäusern, Kliniken und Rollstuhl-Herstellern aufgebaut. Die App für den intelligenten Rollstuhl soll nach der Zertifizierung als Medizinprodukt und klinischen Tests Anfang 2018 auf den Markt kommen.
KONUX: Industrieanlagen mit künstlicher Intelligenz warten
Wo funktioniert eine Maschine nicht optimal? Wann muss eine Weiche gewartet werden? KONUX bietet Unternehmen ein System, um stets über ihre Industrieanlagen oder Bahninfrastruktur im Bild zu sein. Sensoren erfassen den Zustand, mit künstlicher Intelligenz werden der künftige Wartungsbedarf vorhergesagt und Instandhaltungsarbeiten geplant. Die Analysen können über eine Cloud unabhängig von Ort und Zeit abgerufen werden. So können die Firmen Ausfälle vermeiden und die Laufzeiten ihrer Geräte erhöhen.
KONUX-CEO Andreas Kunze (25), Produktionsmanager Dennis Humhal (27) und Vlad Lata (26), im Unternehmen für Technologieentwicklung verantwortlich, haben an den TUM-Fakultäten Elektro- und Informationstechnik, Informatik, Maschinenwesen und Wirtschaftswissenschaften studiert und das Start-up 2014 gegründet. Heute hat das KONUX bereits bedeutende Unternehmen als Kunden gewonnen, mehrere Finanzierungsrunden abgeschlossen, eine Filiale im Silicon Valley eröffnet - und es unter die Forbes-Top-30 bei "Industry" geschafft.
Lilium Aviation: Ein Flugzeug für den Alltag
Im Flugtaxi ohne Stau mit 300 Kilometern pro Stunde zum Ziel kommen – und das mit klimafreundlicher Energie. Für diese Vision hat das TUM-Spin-off Lilium Aviation gerade einen Protoypen vorgestellt: ein Ultraleichtflugzeug, das senkrecht startet und landet. Insgesamt 36 Propeller auf den Flügeln treiben den Jet an. Gespeist werden sie aus sechs Akkus, die 300 Kilometer weit reichen sollen. Der Zweisitzer ist nicht nur leise, sondern auch noch doppelt so effizient wie aktuelle Elektroautos.
Matthias Meiner (29), einer der vier Gründer, wird bei den „30 Under 30“ in der Kategorie „Industry“ geführt. An der TUM machte er seinen Master in Mechatronik, anschließend forschte er unter anderem am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Bei Lilium ist er jetzt für Flugregelung und Avionik zuständig. Das Start-up konnte kürzlich 10 Millionen Euro Beteiligungskapital akquirieren.
unu: Elektrisch durch die Stadt rollen
Neue und umweltschonende Wege in der Mobilität geht auch unu-Mitgründer Elias Atahi (28). Der Elektroroller, den er und das Gründungsteam von unu entwickelt haben, basiert auf einem Benzinfahrzeug, dessen Antriebsstrang durch einen elektrischen Antriebsstrang ersetzt wurde. Dafür haben Atahi und seine Kollegen ein modulares, portables Batteriekonzept entwickelt. Dieser Akku kann an jeder Steckdose aufgeladen werden.
Das erste Modell des Rollers ist bereits seit 2014 auf dem Markt. Bereits im ersten Jahr verkaufte unu 4000 Stück, ist in Deutschland mittlerweile Marktführer und expandiert aktuell in die Niederlande und nach Frankreich. Atahi ist bei unu für die Marken- und Produktentwicklung zuständig und punktete bei „Forbes“ in der Kategorie „Industry“. Er hat an der TUM Elektro- und Informationstechnik studiert.
99chairs: Räume online einrichten
Den Start in den Markt und den Sprung auf die Bestenliste (Kategorie „Retail & Ecommerce“) geschafft hat Julian Riedelsheimer (28) mit dem Start-up 99chairs, einer Online-Plattform für Inneneinrichtung. Kunden können mit einem „Style-Check“ ihren persönlichen Geschmack angeben, um ein individuelles Raumkonzept von einer Designerin zu erhalten. Die Möbelstücke aus dem Vorschlag können im Anschluss über 99chairs bestellt werden.
Riedelsheimer hat an der TUM seinen Bachelor in Wirtschaftsinformatik gemacht und 2014 gemeinsam mit TUM-Alumnus Frank Stegert 99chairs gegründet.
Celonis: Geschäftsprozesse sichtbar machen
Mit erst 26 Jahren gehört Alexander Rinke bereits zu den „All-Star Alumni“, weil er auch vergangenes Jahr schon bei den „Forbes 30 Under 30“ vertreten war. 2011 gründete Rinke, der Mathematik studiert hat, mit zwei weiteren TUM-Absolventen Celonis. Das Team entwickelte eine sogenannte Process-Mining-Software, mit der Unternehmen ihre laufenden Geschäftsprozesse auswerten, visualisieren und sie anhand der Ergebnisse verbessern können. Heute ist Celonis Weltmarktführer im Process Mining.
Coaching, Hightechwerkstatt und Finanzierung
Lilium Aviation (mit Gründer Daniel Wiegand) und Celonis (mit Gründer Martin Klenk) sind auch bei den „100 Innovatoren Deutschlands“ vertreten. Das „Handelsblatt“ porträtiert außerdem Georg Schroth von NavVis, Thomas Kirchner von ProGlove und Christian Deilmann von Tado. NavVis hat ein Navigationssystem für Innenräume entwickelt. ProGlove bietet Handschuhe mit eingebautem Scanner an, sodass Fabrikarbeitern Hunderte Handgriffe erspart bleiben. Tado senkt mit einer digitalen Steuerung den Energieverbrauch von Heizungen.
Alle Start-ups wurden oder werden von der TUM Gründungsberatung langfristig gefördert. So plant zum Beispiel Glasschair gerade die Unternehmensgründung im „Inkubator“. Hier stellt die Universität Räume und Arbeitsplätze zur Verfügung – Tür an Tür mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Entrepreneurship Research Institute, von deren Forschungsergebnissen die Spin-offs profitieren.
Seinen Prototypen hat Glasschair in der Hightechwerkstatt „MakerSpace“ von UnternehmerTUM gebaut. Das Zentrum für Gründungs- und Innovation an der TUM hat außerdem mit seinem eigenen Venture Capital Fonds in KONUX investiert. Die Gründer mehrerer Spin-offs haben das Coachingprogramm „Manage & More“ oder „Kickstart“, das auf den Markteintritt vorbereitet, bei UnternehmerTUM absolviert.
Zusatzstudium am Center for Digital Technology and Management
Elias Atahi, Vlad Lata und Georg Schroth sind Absolventen des Center for Digital Technology and Management (CDTM), das die TUM gemeinsam mit der LMU München betreibt. Das CDTM bietet ein Zusatzstudium, bei dem die Studierenden in interdisziplinären Teams neue Technologien konstruieren, daraus konkrete Produkte entwickeln und eine Firmengründung vorbereiten.
Seit 1990 sind mehr als 800 Unternehmen aus der TUM hervorgegangen, allein rund 65 im vergangenen Jahr. Im „Gründungsradar“ des Stifterverbandes steht die TUM unter den großen deutschen Hochschulen auf Rang 1.
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