• 29.4.2015

Wissenschaftler analysieren Champagner aus gesunkenem Frachter

Schampus aus dem Schiffswrack: Süffig, mit wenig Alkohol

Selten haben Weinkenner Gelegenheit, derart gut gelagerten Champagner zu probieren: In einem 1840 vor der finnischen Ostseeküste gesunkenen Frachter befanden sich an die 200 Flaschen des edlen Getränks. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben den Flascheninhalt verkostet und biochemisch untersucht. Der Champagner aus dem 19. Jahrhundert war süßer als heute - dafür mit nur etwa 10 Prozent Alkoholanteil deutlich weniger gehaltvoll. Die Arbeit ist kürzlich in <i>PNAS</i> erschienen.

Champagnerflaschen im Schiffswrack auf dem Grund der Ostsee. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Visit Åland)
Champagnerflaschen im Schiffswrack auf dem Grund der Ostsee. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Visit Åland)

Das Schiffswrack lag in etwa 50 Meter Tiefe nahe den finnischen Åland-Inseln. Taucher bargen 168 Champagnerflaschen, deren Inhalt selbst nach 175 Jahren eindeutig zu identifizieren war. "Dazu trugen sicher die nahezu idealen Lagerbedingungen bei: Eine konstante Temperatur von 2 bis 4 Grad Celsius, komplette Dunkelheit, ein nur geringer Druck und Salzgehalt", erklärt Prof Dr. Philippe Schmitt-Kopplin, der den Schaumwein in einer Zusammenarbeit mit den Universitäten in Reims, Dijon und dem Helmholtz Zentrum München mit der Technischen Universität München untersucht hat.

Wie sich herausstellte, stammten die Flaschen aus der Produktion der Häuser Veuve Clicquot Ponsardin, Heidsieck und Juglar (später Jacqueson). Beim ersten Verkosten überwogen wegen der hohen Phenolanteile eher unangenehme Aromanoten, man schmeckte "Tier" und "nasses Haar" - nach einiger Zeit überwogen jedoch angenehmere Noten wie fruchtig, rauchig und ledrig.

Champagner für Deutschland?

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern waren überrascht, dass die untersuchten Proben in einem auch nach heutigen Standards hygienisch einwandfreien Zustand waren: Sie fanden kaum Hinweise auf mikrobielle Zersetzung und denselben chemischen Fingerabdruck wie moderne Champagner. Zudem bot ihnen der Alt-Champagner einen einzigartigen Einblick in das Kelterhandwerk des 19. Jahrhunderts.

Das hervorstechendste Charakteristikum des Ostsee-Champagners war der hohe Zuckeranteil. Zunächst gingen die Experten davon aus, dass die Lieferung für Russland bestimmt war, wo damals eine sehr liebliche Variante des Schaumweins mit 300 Gramm Zucker pro Liter en vogue war. Mit 150 Gramm Zucker pro Liter war dieser Champagner aber noch zu herb für russische Gaumen und vermutlich für deutsche Kunden gedacht.

Traubensirup für die abschließende Süße

Dass Champagner nach der Hefe-Entfernung vor dem endgültigen Verkorken mit einem süßen Sirup versetzt wird, ist auch heute noch üblich - bis zu 100 Gramm pro Liter für lieblichen Schaumwein. Der so genannte "liqueur d'expedition" kann aus Trauben, Zuckerrüben oder -rohr gewonnen werden.

Beim aus dem Wrack geborgenen Getränk ermittelten die Forscher ein komplexes chemisches Profil, das auf die Verwendung von Traubensaft hindeutet. Ein überraschendes Ergebnis, da sich Madame Clicquot, die damalige Eigentümerin des gleichnamigen Betriebs, in einer Originalschrift die Bestellung größeren Mengen von Zuckerrohrzucker angeordnet hatte. Möglicherweise fand dieser andere Anwendungen, zum Beispiel, um vor der Gärung den Most zu süßen.

Um einen Zuckeranteil von 150 Gramm pro Liter zu erreichen, hätten die Kellermeister allerdings so viel Traubensaft zugeben müssen, dass der Alkoholgehalt deutlich unter 10 Prozent geblieben wäre. "Wir gehen daher davon aus, dass der Traubensaft für den 'Dosage', so der Fachbegriff für das nachträgliche Zuckern, eingedickt wurde. Demnach wäre der Champagner mit Sirup versetzt worden, was unsere Analysen bestätigt haben - unter anderem mit dem Nachweis von 5-Hydroxymethylfurfural, das während des Karamelisierens entsteht."

Wenig Alkohol, viel Metall

Der Alkoholgehalt des Wrack-Champagners war mit 10 Prozent eher gering - heutige Erzeugnisse liegen bei etwa 12 Prozent. Dies lässt sich auch damit erklären, dass die Trauben wegen kühlerer Klimabedingungen später geerntet wurden und weniger süß waren. Außerdem setzte man Wildhefe ein, die Zucker weniger effizient vergärt als moderne Zuchthefen. Die Wissenschaftler vermuten, dass die alkoholische Gärung daher häufig unvollständig war.

Außerdem zeigten die chemischen Analysen einen hohen Gehalt an Metall-Ionen. Aus den Aufzeichnungen von Madame Clicquot geht hervor, dass Fässer zum Schutz gegen Pilzbefall schon damals geschwefelt wurden. Die Schwefeldochte waren dabei an Eisenstiften befestigt, die oxidieren und damit Ionen freisetzen konnten.

Die Metall-Ionen könnten aber auch mit der so genannten Taille in das Getränk gelangt sein. Dies ist die zweite, nach der ersten, hochwertigen Cuvee-Pressung. Wegen des höheren Anteil an Traubenschale hat die Taille eine andere chemische Zusammensetzung aus Metallen und Metaboliten. Die Forscher vermuten daher, dass für den geborgenen Champagner ein großer Anteil der Taille verwendet wurde.

"Außerdem war die Pinot Noir-Traube damals deutlich kleiner als heute, das Verhältnis von Schale zu Traubenfleisch daher größer", erläutert Schmitt-Kopplin. "Der hohe Schalenanteil könnte ebenfalls für den hohen Metallgehalt verantwortlich sein."

Publikation:
Chemical messages in 170-year-old champagne bottles from the Baltic Sea: Revealing tastes from the past; Philippe Jeandet, Silke S. Heinzmann, Chloé Roullier-Gall, Clara Cilindre, Alissa Aron, Marie Alice Deville, Franco Moritz, Thomas Karbowiak, Dominique Demarville, Cyril Brun, Fabienne Moreau, Bernhard Michalke, Gérard Liger-Belair, Michael Witting, Marianna Lucio, Damien Steyer, Régis D. Gougeoc, and Philippe Schmitt-Kopplin; PNAS; doi: 10.1073/pnas.1500783112

Kontakt:
Prof. Dr. Philippe Schmitt-Kopplin
Technische Universität München
Lehrstuhl für Analytische Lebensmittelchemie
Tel.: (+49) 089 3187 3246
Mobil: (+49) 0160 98967479
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