Physiker entdecken neue magnetische Ordnung:

Magnetische Wirbelfäden in der Elektronensuppe

<b></b>Physiker der Technischen Universität München (TUM) und der Universität zu Köln haben in der metallischen Verbindung Mangansilizium eine neue Form magnetischer Ordnung entdeckt. Das Gitter aus magnetischen Wirbelfäden, über dessen Existenz seit langem spekuliert wurde, konnte ein Team um den Diplomphysiker Sebastian Mühlbauer und Professor Christian Pfleiderer (beide TUM) mit Neutronen an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der TUM sichtbar machen. Ihre spektakuläre Entdeckung, die einerseits eine Jahrzehnte alte Frage über die Bausteine des Universums beantwortet und zudem neue Entwicklungen in der magnetischen Datenverarbeitung anstoßen könnte, veröffentlichen sie am 13. Februar 2009 in der renommierten Fachzeitschrift Science. <b><br /></b>

Sebastian Mühlbauer bei der Vorbereitung eines Experiments
Sebastian Mühlbauer bei der Vorbereitung eines Experiments

Eigentlich sollte Sebastian Mühlbauer, Doktorand bei Professor Peter Böni am TUM-Lehrstuhl für Experimentalphysik, etwas ganz anderes an einer metallischen Verbindung aus Mangan und Silizium messen. Aber Professor Christian Pfleiderer, mit dem Mühlbauer zusammenarbeitet, hatte vergessen, ihn zu bitten die Messanordnung umzubauen. So war das Magnetfeld parallel statt wie geplant senkrecht zum Neutronenstrahl für die Messungen am Instrument MIRA am FRM II aufgebaut. Und der Diplom-Physiker maß Sonderliches: „Als ich auf einmal auf dem Bildschirm statt der erwarteten zwei Punkte einen Ring aus sechs Punkten sah, habe ich sofort bei Christian angerufen,“ erzählt der 28-Jährige. Zufälligerweise war das am 1. April, sodass Pfleiderer zunächst an einen Aprilscherz des Doktoranden glaubte. Doch das sechseckige Muster war tatsächlich sichtbar. Und zwar bei einer Temperatur von minus 245° Celsius und einem Magnetfeld von 0,2 Tesla, was in etwa dem Feld eines starken Permanentmagneten entspricht.

Nach dieser Entdeckung brach bei Pfleiderer, Mühlbauer und ihren Kollegen große Euphorie aus. „Das war eine richtige Teamarbeit“, beschreibt Pfleiderer die Wochen, während der die Physiker in Garching ihre entscheidenden Messungen machten. „Sebastian war der Kopf.“ Per Videokonferenz diskutierten die Festkörper-Physiker der TUM mehrmals wöchentlich ihre Beobachtungen mit theoretischen Physikern an der Universität zu Köln um Professor Achim Rosch. So wurde die Science-Veröffentlichung eine Kombination zwischen Experiment und Theorie. Die Kölner rechneten die magnetischen Wirbel nach, die die Münchner mit Neutronen gemessen hatten.

Auch neun Monate nach der Entdeckung steht Pfleiderer und Mühlbauer die Begeisterung noch ins Gesicht geschrieben. „Die Wirbelfäden sind ja für sich schon ungewöhnlich. Es ist, wie wenn das Metall eine magnetische Suppe ist, in der sich stabile Quantenknoten bilden. Noch verrückter ist aber, dass sich diese Wirbelfäden immer entlang dem Magnetfeld ausrichten. Die kümmern sich überhaupt nicht um die Kristallstruktur“, sagt Pfleiderer. „Sie verhalten sich wie Partikel, die sich in einem festen Körper frei bewegen können.“

Der 43-Jährige hat zusammen mit seinem Kölner Kollegen Achim Rosch auch eine Erklärung entwickelt, wie die Wirbelfäden zustande kommen. Die magnetischen Momente in Mangansilizium bilden normalerweise eine Helix. Liegen aber drei derartige spiralförmige Strukturen sternförmig übereinander, entstehen daraus schließlich die Wirbel. Pfleiderer forscht bereits seit 18 Jahren am harten und spröden Mangansilizium, weil es für seine magnetischen Messungen gut geeignet ist und sich leicht Einkristalle herstellen lassen. Schon vor Jahren hat der gebürtige Stuttgarter, bei seinen Forschungsaufenthalten an der Universität Cambridge, dem Forschungszentrum Grenoble und der Universität Karlsruhe, an Mangansilizium anomale metallische Eigenschaften entdeckt, über die er in einer Serie von drei Publikationen in der Fachzeitschrift Nature und einer weiteren Veröffentlichung in Science berichtete. Die Entdeckung der Wirbel erklärt möglicherweise auch, woher das anomale metallische Verhalten rührt.

Die magnetischen Wirbelfäden sind vor allem aber aus ganz anderen Gründen interessant. Schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der Münchner Nobelpreisträger Werner Heisenberg vorgeschlagen, nach einer Theorie der Bausteine des Universums zu suchen, die diese Bausteine wie Knoten in einem Medium beschreibt. Diese Idee wurde vom britischen Physiker Tony Skyrme in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgegriffen – die von ihm vorgeschlagenen Teilchen werden deshalb Skyrmionen genannt. Rein mathematisch betrachtet sind die magnetischen Wirbel, die Pfleiderer und Kollegen entdeckt haben, genau solche Skyrmionen.

Am wichtigsten an den magnetischen Wirbelfäden dürfte jedoch sein, dass die Entdeckung von Pfleiderer und Mühlbauer viele neue Anwendungen verspricht. So vermutet Pfleiderer, dass Mangansilizium nicht das einzige magnetische Material ist, das diese Wirbelfäden ausbildet. Bereits vor 20 Jahren hatte Professor Alex Bogdanov, damals in Donetsk in der Ukraine, jetzt am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden, vorhergesagt, dass die magnetischen Knoten, die Mühlbauer und Pfleiderer nun entdeckt haben, in vielen Substanzen vorkommen müssten. „Ein weiteres Material haben wir seit unserer ersten Entdeckung in Mangansilizium bereits gefunden“, verrät Pfleiderer. Wenn man lernt, die Entstehung der Knoten zu steuern, kann man völlig neue Verfahren entwickeln, um mit Hilfe von Magnetismus Informationen zu verarbeiten und zu speichern.

Die mathematische Disziplin, mit der die Skyrmionen beschrieben werden, heißt Topologie. Sie beschäftigt sich mit geometrischen Körpern, die durch Dehnen, Stauchen oder Verdrillen nicht verändert werden. Die Topologie besagt beispielsweise, dass man einen Donut in eine Kaffeetasse umformen kann. In der Materialforschung und Festkörperphysik erlebt die Topologie erst seit kurzem ihren Durchbruch. So berichten Wissenschaftler der Universität Princeton in derselben Ausgabe der Zeitschrift Science von der Entdeckung eines topologischen Isolators an der Oberfläche einer Wismut-Antimon-Mischung. Das Metall wird auf seiner Oberfläche elektrisch isolierend, weil die Elektronenbewegung topologische Knoten bildet. Wie Prof. Jan Zaanen von der Universität Leiden in Science enthusiastisch kommentiert, haben die Wirbelfäden von Mühlbauer und Pfleiderer also im weitesten Sinn auch ein Pendant in der elektronischen Struktur, die wiederum völlig neue Anwendungen zum Beispiel im Quantencomputing versprechen.

Durchgeführt haben die TUM-Physiker ihre Messungen mit Neutronen am Instrument MIRA an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der TUM. Der Name MIRA steht für eine veränderliche Sternformation. Er spielt darauf an, dass sich das Messinstrument für verschiedenste Messverfahren leicht umbauen lässt. Neutronen, die ein magnetisches Moment tragen, treffen in MIRA als Strahl auf die Probe. Sie werden von dem magnetischen Moment in der Probe, den Wirbeln, abgelenkt. Durch die Ablenkung geben sie Auskunft über die magnetische Struktur im Inneren der Probe. So machten Sebastian Mühlbauer und seine Kollegen die ungewöhnlichen Wirbelfäden in Mangansilizium sichtbar.

Pfleiderer schätzt die Möglichkeiten am FRM II, der nur wenige Meter von seinem Büro in der TUM-Fakultät für Physik entfernt ist: „Das ist ein toller Zugang zu einer Großanlage, den man so weltweit nirgends bekommt. Wir können mit den Kristallen, die wir in unseren Labors im Physik Department herstellen, direkt hinüber marschieren und mit Neutronen die magnetische Struktur, deren Dynamik und viele andere Eigenschaften messen.“

Sebastian Mühlbauer hat bereits als Werkstudent an der Forschungsneutronenquelle in Garching angefangen. „Mich hat es einfach immer schon interessiert, an so großen Geräten herumzuschrauben“, sagt er mit einem Grinsen. Nach seiner Diplomarbeit am FRM II war für den gebürtigen Dachauer klar, dass er auch eine Doktorarbeit dort machen möchte. Seit 2005 promoviert der Diplomphysiker und möchte in diesem Jahr damit abschließen. „Sebastian hat eigentlich das Material für drei Doktorarbeiten“, sagt Pfleiderer. Doch Mühlbauer winkt bescheiden ab. Erst einmal freut er sich auf die Veröffentlichung in Science, auf die andere Wissenschaftler ein Forscherleben lang hinarbeiten.

Originalpublikation:
Skyrmion Lattice in a Chiral Magnet; S. Mühlbauer, B. Binz, F. Jonietz, C. Pfleiderer, A. Rosch,
A. Neubauer, R. Georgii, P. Böni
Science, February 13, 2009, Vol 323, Issue 5916, pp. 915 - 919 – DOI-Nr.: 10.1126/science.1166767

Fotos und Grafiken:
http://mediatum2.ub.tum.de/?cfold=683612&dir=683612&id=683612

Ansprechpartner:

Prof. Christian Pfleiderer
Technische Universität München
Physik Department, Lehrstuhl E21
Tel.:    +49 89 289 14720 / 14712 (Sekretariat)
E-Mail: Christian.Pfleiderer@frm2.tum.de

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