Erstmals Untersuchungen an einem ganzen Herzen
Künstliche Nanopartikel beeinflussen die Herzfrequenz
Angesichts der steigenden Nachfrage nach künstlichen Nanopartikeln in Medizin und Industrie ist es für Hersteller wichtig zu wissen, wie die Teilchen Körperfunktionen beeinflussen, und mit welchen Mechanismen sie dies tun – eine Frage, zu der es bislang kaum Erkenntnisse gibt. Zwar stellen Studien an Herzpatienten bereits seit Jahrzehnten eine schädliche Wirkung von Feinstaub aus der Luft auf das Herz-Kreislaufsystem fest, doch ob die Schäden direkt durch die Nanopartikel ausgelöst werden oder indirekt, zum Beispiel durch Stoffwechselprozesse oder Entzündungsreaktionen, ließ sich nicht feststellen. Die Reaktionen des Körpers sind hierzu zu komplex.
An einem sogenannten Langendorff-Herz, einem isolierten, mit Nährlösung als Blutersatz durchspültem Nagetier-Herz, konnten Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und der TU München erstmals nachweisen, dass künstliche Nanopartikel eine deutlich messbare Wirkung auf das Herz haben. Als die Forscher das Herz einer Reihe gängiger künstlicher Nanopartikel aussetzten, reagierte es auf bestimmte Typen der Partikel mit einer erhöhten Frequenz, Rhythmusstörungen und veränderten EKG Werten, wie sie für Herzerkrankungen typisch sind. „Wir nutzen das Herz als Detektor“, erklärt Professor Reinhard Nießner, Direktor des Instituts für Wasserchemie und Chemische Balneologie der TU München. „Auf diese Weise kann man prüfen, ob ein Nanopartikel eine Wirkung auf die Herzfunktion ausübt. So etwas gab es vorher noch nicht.“
Mit dem neuen Modell-Herz können die Wissenschaftler außerdem feststellen, über welchen Mechanismus die Nanopartikel die Herzfrequenz beeinflussen. Dazu hatten sie den Versuchsaufbau Langendorffs so erweitert, dass die Lösung, die das Herz einmal durchflossen hat, wieder in den Kreislauf zurückgeführt wird. Auf diese Weise können die Forscher Botenstoffe, die das Herz ausschüttet, anreichern und so die genauen Reaktionen des Herzens auf die Nanoteilchen nachvollziehen.
Verantwortlich für die Erhöhung der Herzfrequenz durch Nanopartikel ist nach Ansicht von Stampfl und Nießner sehr wahrscheinlich der Botenstoff Noradrenalin, der von Nervenzellendungen im Herzen ausgeschüttet wird. Er beschleunigt die Herzfrequenz und spielt auch im zentralen Nervensystem eine wesentliche Rolle – ein Hinweis darauf, dass Nanopartikel auch hier eine schädliche Wirkung haben könnten.
An ihrem Herzmodell testeten Stampfl und sein Team die Nanopartikel Flammruß und Titandioxid sowie funkenerzeugten Kohlenstoff, der als Modell für Luftschadstoffe aus der Dieselverbrennung dient. Auch Siliziumdioxid, mehrere Aerosile, die beispielsweise als Verdickungsmittel in Kosmetika eingesetzt werden und der Kunststoff Polystyrol wurden untersucht. Flammruß, funkenerzeugter Kohlenstoff, Titandioxid und Siliziumdioxid zeigten eine Erhöhung der Herzfrequenz von bis zu 15 Prozent und führten zu veränderten EKG-Werten, die sich auch, nachdem die Nanopartikel schon nicht mehr wirkten, nicht normalisierten. Die Aerosile und das Polystyrol hingegen beeinflussten die Herzfunktion nicht.
Besonders hilfreich könnte das neue Messsystem vor allem für die Medizinforschung sein. Hier werden künstliche Nanopartikel immer öfter als Transportvehikel eingesetzt. Der Grund: Ihre große Oberfläche. An ihr lassen sich gut Wirkstoffe anheften, die von den Teilchen dann zu einem Zielort im Körper, etwa zu einem Tumor, transportiert werden. Die ersten Prototypen solcher „Nanocontainer“ bestehen meist aus Kohlenstoffen oder Silikaten – Substanzen über deren Wirkung im Körper bislang nichts bekannt ist. Das neue Herzmodell könnte als Testorgan dienen, um zukünftig diejenigen Partikeltypen auszuwählen, die das Herz nicht schädigen.
Auch in zahlreichen Industrieprodukten werden künstlich hergestellte Nanopartikel eingesetzt, teilweise bereits seit Jahrzehnten. Ihre geringe Größe und ihre im Vergleich zum Volumen große Oberfläche verleiht den Partikeln einzigartige Eigenschaften: Die große Oberfläche von Titandioxid (TiO2) etwa sorgt für einen hohen Lichtbrechungsindex, der die Substanz strahlend weiß erscheinen lässt. Es wird daher oft als weiße Deckfarbe oder als UV-Blocker in Sonnencremes verwendet. Eine große Bedeutung hat auch der sogenannte Flammruß, von dem jährlich mehr als acht Millionen Tonnen produziert werden. Er findet sich vor allem in Autoreifen und in Plastik. Die geringe Größe der nur 14 Nanometer großen Teilchen macht sie zudem zu einem geeigneten Färbemittel - beispielsweise für Druckerfarbe in Fotokopierern.
Mit ihrer Weiterentwicklung des Langendorff-Herzens haben die Forscher nun erstmals einen Messaufbau entwickelt, mit dem sich die Wirkung von Nanopartikeln auf ein ganzes, intaktes Organ untersuchen lässt, ohne dass die Reaktionen anderer Organe das System beeinflussen. Gerade das Herz eignet sich als Testobjekt besonders gut. „Es besitzt einen eigenen Taktgeber, den Sinusknoten, und kann daher als Organ außerhalb des Körpers über mehrere Stunden hinweg weiterarbeiten“, erklärt Andreas Stampfl, Erstautor der Studie. „Zudem lassen sich Veränderungen der Herzfunktion deutlich an Herzfrequenz und EKG- Kurve erkennen.“
„Wir haben nun ein Modell für ein höheres Organ, an dem sich der Einfluss von künstlichen Nanopartikeln testen lässt“, erklärt auch Nießner. „Als nächstes möchten wir herausfinden, weshalb bestimmte Nanopartikel einen Einfluss auf die Herzfunktionen besitzen, andere jedoch nicht.“ Herstellungsart und Form könnten hier eine wichtige Rolle spielen. In folgenden Studien möchten die Wissenschaftler daher die Oberflächen der unterschiedlichen Nanoteilchentypen und deren Interaktion mit den Zellen der Herzwand genauer untersuchen.
Originalpublikation:
Andreas Stampfl, Melanie Maier, Roman Radykewicz, Peter Reitmeir, Martin Göttlicher, Reinhard Niessner Langendorff Heart: A Model System To Study Cardiovascular Effects of Engineered Nanoparticles ACS Nano 2011 5(7) 5345-5353 – DOI: 10.1021/nn200801c
Kontakt:
Andreas Stampfl,
Helmholtz Zentrum München
Institut für Toxikologie
Ingolstädter Landstraße 1,
85764 Neuherberg, Germany
Tel.: +49 89 3187 2625 – Fax: +49 89 3187 3449
stampfl @helmholtz-muenchen.de
Prof. Dr. Reinhard Nießner
Technische Universität München
Institut für Hydrochemie, Lehrstuhl für analytische Chemie
Marchioninistraße 17, 81377 München, Germany
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reinhard.niessner @ch.tum.de