Zweifaches Olympia-Silber für TUM-Student Florian Bauer
„Wie Achterbahn mit Augen zu und ohne Gurt“
Seit 2014 studieren Sie Bauingenieurwesen, 2015 haben Sie mit dem Bobfahren begonnen. Was begeistert Sie an dem Sport so sehr, dass Sie beides stemmen?
In erster Linie ist es natürlich der Erfolg, der mich zur Zeit antreibt. Ohne den ist es einfach schwierig, die Motivation hochzuhalten. Fast noch wichtiger ist aber, dass das Bobfahren eine Teamsportart ist. Im Viererbob noch mehr als im Zweierbob. Das macht richtig viel Spaß. Und dann bin ich auch immer am Tüfteln und Rumprobieren, was das Material vom Bob angeht. Um da und dort noch eine Hundertstelsekunde zu finden.
Das ist sicher noch nicht alles.
Ja, der Kick und das Adrenalin sind auf jeden Fall da. Es ist wie Achterbahnfahren mit Augen zu und ohne Gurt. Noch bisschen krasser, das ist dann Bobfahren.
Wie haben Sie sich auf die Wettkämpfe in Peking vorbereitet? Wie sahen die vergangenen Monate bei Ihnen aus?
Unsere Saison startet jedes Jahr im Oktober mit den ersten Fahrten. Im Oktober 2021 waren wir bereits für drei Wochen in Peking. Um die Bahn etwas kennenzulernen, damit wir bei den Spielen nicht bei Null anfangen. Ende November ging es mit den straff getakteten Weltcups los. Bis zwei Wochen vor dem Abflug sind wir noch gefahren. Ich war eine Woche zu Hause, dann sind wir in eine Art Quarantäne-Trainingslager, um die Wahrscheinlichkeit zu eliminieren, dass kurz davor noch einer positiv wird. Und dann ging es Ende Januar nach China.
Das Hoffen und Bangen, nicht positiv zu sein, hat die Sportler:innen sicher sehr mitgenommen.
Das war fast das Schlimmste von allem. Das war unser ständiger Begleiter. Bis der Abflug in Frankfurt war, alle im Flieger saßen und wussten, dass erst mal die größte Hürde geschafft ist – und wir alle negativ rüberkommen.
Schon im Vorfeld wurde hitzig um das Gastgeberland diskutiert, etliche Staaten boykottierten die Spiele politisch. Welche Rolle hat das bei Ihnen gespielt, auch in der Vorbereitung?
Man weiß ja mindestens vier Jahre vorher, wo die Spiele stattfinden. Also konnten sich alle darauf einstellen. Klar, ich weiß ungefähr, wie die Lage in China ist. Also optimal ist das sicher nicht. Aber im Endeffekt waren wir als Sportler dort. Für fast alle ist das ihr Beruf. Wir haben eigentlich alle probiert, das auszublenden und zu sagen: „Okay, wir fahren zwar hin. Aber wir sind dort, um Sport zu machen und im besten Fall eine Medaille zu holen. Und darauf fokussieren wir uns.“
Wie war Ihr Eindruck vom Land und den Menschen?
Ich bin in einer Blase gereist. Ich kam in einem abgesonderten Terminal an, habe nur die komplett vermummten Volunteers und Zollarbeiter gesehen. Danach habe ich kaum mehr Chinesen gesehen. Auf abgesperrten Straßen fuhr unser Bus mit Polizeieskorte zum Hotel. Von da an habe ich mich nur noch von der Unterkunft zur Bobbahn und wieder zurückbewegt. Die wenigen Chinesen, mit denen ich zu tun hatte, waren alle sehr nett und zuvorkommend.
Das klingt etwas traurig.
Na ja, zu den Wettkämpfen kam dann schon bisschen Olympia-Feeling auf. Beim Essen habe ich zum Beispiel mit einigen Kanadiern und US-Amerikanern geredet oder an der Rodelbahn mit ein paar anderen Nationen zusammengestanden. Und es waren dann auch 20, 30 Kameras mehr am Start als bei anderen Wettkämpfen. Das hat mir die Dimensionen dieses Sportereignisses etwas mehr verdeutlicht.
Im Team mit Pilot Johannes Lochner sind Sie der Anschieber. Worin genau besteht Ihr Part?
Tatsächlich ist es als Anschieber meine Hauptaufgabe, den Bob anzuschieben, ihn also am Start so gut wie möglich zu beschleunigen. Nur dann kann der Pilot mit möglichst viel Geschwindigkeit in die Bahn gehen und sauber runterfahren. Wenn ich dann im Zweier- oder Viererbob sitze, mache ich als Anschieber nicht mehr viel – sondern versuche nur noch, so aerodynamisch wie möglich im Bob zu sitzen.
Wie wird man überhaupt Anschieber?
Zum Anschieben kommt es eigentlich immer durch eine Art Zubringer-Sportart. Mit dem Bobfahren beginnt man relativ spät, in der Regel frühestens mit 18 Jahren. Wir haben in der Disziplin ein Mindestalter von 16 Jahren. Denn die Wirbelsäule muss vollständig ausgewachsen sein wegen der Fliehkräfte in den Kurven. Ich war davor Leichtathlet, Sprinter über 100 und 200 Meter. Ein Sprint-Kollege, den man als Pilot angesprochen hatte, fragte mich, ob ich Lust hätte anzuschieben. Ich bin dann nach Berchtesgaden zum Probe-Anschieben. Dort hieß es, das sähe schon ganz gut aus, ich solle das weiterverfolgen. Das war vor sechs Jahren.
Seitdem ist bei Ihnen viel passiert. Wie schaut Ihr wöchentliches Training aus?
Das Bob-Training unterscheidet sich kaum vom Leichtathletik- beziehungsweise Sprint-Training. Das war sicher ein Vorteil für mich. Für den Wechsel vom Sprinter zum Anschieber musste ich nur noch etwas Gewicht aufbauen. Deshalb wird das Krafttraining vom Umfang her mehr und das Sprinttraining etwas weniger. Dazu kommen noch ein paar weitere Trainingsteile, wie Yoga und Stretching. Und dann ist die Woche gut voll.
Man vergisst fast, dass Sie auch noch studieren. Wie hat die TUM Sie auf Ihrem Weg zu zwei olympischen Silbermedaillen unterstützt?
Mein Ansprechpartner an der Uni ist Prof. Dr.-Ing. Stephan Freudenstein von der TUM School of Engineering and Design. Zu Semesterbeginn entwerfen wir einen Strategieplan: Was mache ich? Was nicht? Und was macht überhaupt Sinn? Das größte Entgegenkommen von Seiten der TUM ist bei den Urlaubssemestern: Ich kann so viele nehmen, wie ich brauche.
Anders wäre dies wohl kaum möglich.
Es war in den vergangenen vier Jahren enorm wichtig. Denn von Oktober bis März bin ich 24/7 unterwegs. Da ist es sehr schwierig, etwas für die Uni zu machen. Manchmal habe ich Glück, dass ich im März noch paar Prüfungen schreiben kann. Aber eigentlich findet bei mir das Studium eher im Sommer statt. Da habe ich schon mal bis zu acht Prüfungen auf einmal.
Dann ist bei Ihnen nicht nur jeder Winter vollgepackt, sondern auch jeder Sommer.
Ja. Auch wenn es manchmal nervt, dass sich mein Studium so ewig hinzieht: Abzubrechen war für mich nie eine Option. Dieses Durchhaltevermögen kommt vor allem auch vom Leistungssport. Ich muss einfach akzeptieren, dass ich länger brauche als die anderen. Und damit habe ich mich mittlerweile ganz gut angefreundet.
- Bei den Olympischen Winterspielen holte Deutschland im Zweierbob der Männer den ersten Dreifachsieg der olympischen Bobgeschichte.
- Florian Bauers Pilot im Zweier- und Viererbob ist Johannes Lochner, der an der TUM 2021 den Master Elektrotechnik absolviert hat.
- Bauers Verein ist der BRC Ohlstadt bei Garmisch-Partenkirchen, die meiste Zeit trainiert er jedoch in München.
- In den nächsten Wochen ist der Sportsoldat unter anderem bei Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in Berlin eingeladen.
- Florian Bauer bei der International Bobsleigh & Skeleton Foundation
Technische Universität München
Corporate Communications Center
- Katharina Horban / Verena Meinecke
- presse @tum.de
- Teamwebsite