Ökologische Auswirkungen des Schachtkraftwerks Großweil untersucht
„Wasserkraftwerke umweltfreundlicher machen“
Das Schachtkraftwerk ist ein vor wenigen Jahren entwickelter Kraftwerkstyp. Vor einem Wehr wird ein Schacht ins Flussbett gebaut, in dem Turbine und Generator untergebracht werden. Das Wasser fließt in den Schacht, treibt die Turbine an und wird durch das Wehr in den Fluss zurückgeleitet. Ein kleinerer Teil des Wassers fließt über den Schacht und das Wehr hinweg. Öffnungen im Wehr sollen Fischen ermöglichen, flussabwärts zu wandern. Mit dieser Konstruktion soll erreicht werden, dass im Gegensatz zu anderen Kraftwerkstypen nur wenige Fische in die Turbine geraten und zu Schaden kommen. Für die Wanderung flussaufwärts sind übliche Fischtreppen vorgesehen.
Das Konzept wurde von Wasserbauingenieuren der TUM entwickelt. Eine Firmenausgründung hat die Nutzungsrechte erworben und vergibt Lizenzen an Kraftwerksbetreiber, darunter an den Erbauer und Betreiber der Anlage im bayerischen Großweil, die nun von einem Team des Lehrstuhls für Aquatische Systembiologie der TUM untersucht wurde. Die Ergebnisse zu den ökologischen Auswirkungen wurden in der Fachzeitschrift „Renewable and Sustainable Energy Reviews“ veröffentlicht.
Standardisierte Testverfahren
Um die ökologische Situation am Schachtkraftwerk in der Loisach zu ermitteln, setzte das Forschungsteam in einem standardisierten Verfahren insgesamt mehrere Tausend Fische von acht Arten, die typisch für die Fauna in Bayern sind, oberhalb des Kraftwerks in den Fluss ein. Passierten die Fische das Kraftwerk, wurden sie mit aufgespannten großen Netzen eingefangen, ebenso wie im Fluss lebende Wildfische. Anschließend untersuchten die Wissenschaftler:innen die Tiere auf Schädigungen hin, wobei sie anhand von Röntgenbildern auch innere Verletzungen analysierten. Außerdem ermittelten die Forscher:innen die Kräfte, die auf die Fische bei der Kraftwerkspassage wirken, mit Sensoren.
Nur 21 Prozent der Fische, die vor dem Kraftwerk ausgesetzt und hinter der Anlage wieder eingefangen wurden, passierten das Kraftwerk durch die Öffnungen im Wehr, 75 Prozent dagegen durch den Turbinenschacht. Vier Prozent wanderten über die seitlichen Fischtreppen. Den Rechen – also das Gitter, das den Schacht abdeckt – durchquerten auch Fische, die größer waren als angenommen (länger als 30 Zentimeter). Betrachtet man die Fische, die die Turbine passierten, betrug die Mortalitätsrate 13 Prozent im Mittel aller Arten. Der Höchstwert wurde bei niedriger Turbinenlast mit 44 Prozent beim Rotauge beobachtet, die geringste Mortalität wiesen bei hoher Turbinenlast Äsche und Bachforelle mit unter einem Prozent auf. Eine große Zahl weiterer Fische wurde verletzt. Von den gefangenen Wildfischen gelangten 47 Prozent durch die Öffnungen, 35 Prozent durch den Schacht und 18 Prozent über die Fischtreppen in den unteren Flusslauf.
Faktoren für Verbesserungen
Das Forschungsteam hat mehrere Faktoren ermittelt, die bei Bau und Betrieb künftiger Schachtkraftwerke beachtet werden sollten, um die Gefahren für Fische zu minimieren:
- Entsprechend dem wissenschaftlichen Konzept sollte ausreichend Wasser durch die Öffnungen im Wehr abfließen. Größere und unter Umständen auch zusätzliche Öffnungen sollten den Fischabstieg erleichtern.
- Die Abstände zwischen den Stäben des Rechens sollten kleiner als 20 Millimeter sein. Wichtig ist, Schäden am Rechen regelmäßig zu beheben, damit möglichst wenig Fische in den Schacht gelangen.
- Es sollte ein Turbinentyp verwendet werden, der Fisch-schonender ist als die in Großweil verwendete Kaplan-Turbine. Falls dies nicht möglich ist, sollte vermieden werden, die Turbine mit niedriger Leistung zu betreiben – dabei wurden mehr Fische geschädigt als bei Volllastbetrieb.
- Der Bereich, in dem die Fische aufkommen, wenn sie durch die Öffnungen im Wehr in den unteren Flusslauf fallen, sollte so gestaltet sein, dass keine Verletzungsgefahr besteht, zum Beispiel durch ein ausreichend tiefes sogenanntes Unterwasserpolster.
- Der Einlauf in den Schacht sollte auf einer Ebene mit dem Flussbett sein.
Lebensbedingungen im Fluss verändert
Das Forschungsteam hat darüber hinaus die Veränderungen des Lebensraums in der Loisach durch den Kraftwerksbau analysiert. Sowohl vor als auch nach dem Bau haben die Wissenschaftler:innen ober- und unterhalb des bereits zuvor vorhandenen Wehres Fische, wirbellose Kleinlebewesen, Wasserpflanzen und Algen sowie Umweltfaktoren wie etwa Temperatur, Sauerstoff und pH-Wert untersucht.
Mit dem Bau des Schachtkraftwerks erhöhte sich die Wassertiefe oberhalb des Wehrs und die Strömungsgeschwindigkeit verringerte sich. Dadurch verschlechterten sich die Lebensbedingungen für typische Fließgewässerarten. Ein verringerter Austausch von sauerstoffreichem Wasser mit dem sogenannten Kieslückensystem am Gewässerboden, einem wichtigen Lebensraum für viele Organismen, führte insbesondere bei Kleinlebewesen zu einem geringeren Vorkommen.
„Sorgfältige Analyse aller Einflussfaktoren entscheidend“
Die Untersuchung des Schachtkraftwerks war Teil eines großen Forschungsprojekts, bei dem das Team die ökologische Wirkung von acht Wasserkraftwerken mit fünf unterschiedlichen Anlagentypen analysiert hat, darunter mehrere neue Konzepte. Der Großteil der Ergebnisse wurde im vergangenen Jahr veröffentlicht.
Das Projekt hat gezeigt, dass pauschale Aussagen, welcher Kraftwerkstyp der umweltfreundlichste ist, kaum möglich sind. Vielmehr hängt es vom jeweiligen Gewässer, den dort lebenden Fischarten, den eingesetzten Technologiekomponenten wie etwa dem Turbinentyp sowie der Bauausführung und der Betriebsweise ab, wie stark die Umwelt beeinträchtigt wird.
„Unsere Erkenntnisse machen deutlich, dass beim Bau und bei der Erneuerung von Wasserkraftwerken künftig differenzierter vorgegangen werden sollte. Eine sorgfältige Analyse aller Einflussfaktoren ist entscheidend, um den Schaden am Ökosystem möglichst gering zu halten“, sagt der Studienleiter Prof. Jürgen Geist. „Neue Technologien verdienen eine Chance, müssen sich aber in der Praxis dem Vergleich stellen. Bei den untersuchten Kraftwerken wurden bereits konkrete Verbesserungen diskutiert und sind teils auch schon in Arbeit.“ Gleichzeitig wird das Konzept des Schachtkraftwerks an der TUM ingenieurwissenschaftlich weiterentwickelt.
Knott J, Mueller M, Pander J, Geist J (2023), Ecological assessment of the world's first shaft hydropower plant. Renewable and Sustainable Energy Reviews. DOI: 10.1016/j.rser.2023.113727
Mueller M, Knott J, Pander J, Geist J (2022), Experimental comparison of fish mortality and injuries at innovative and conventional small hydropower plants. Journal of Applied Ecology. DOI: 10.1111/1365-2664.142
Das Forschungsprojekt „Fischökologisches Monitoring an innovativen Wasserkraftanlagen“ wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz in Auftrag gegeben und finanziert. Begleitet wurde es durch das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU).
Kontakte zum Artikel:
Prof. Dr. Jürgen Geist
Technische Universität München
Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie
Tel.: +49 8161 71 3767
geist@tum.de