• 10.3.2025
  • Lesezeit: 4 Min.

Eine erste Schule in Nordrhein-Westfalen setzt es bereits ein

Matheschwächen: Kinder mit KI-System individuell fördern

Forschende der Technischen Universität München (TUM) und der Universität zu Köln haben ein KI-basiertes Lernsystem entwickelt, das allein durch die Nachverfolgung der Blickbewegungen mithilfe einer Webcam Stärken und Schwächen in Mathematik erkennt und automatisiert Lernvorschläge macht. Das ermöglicht Lehrerinnen und Lehrern, deutlich mehr Kinder individuell zu fördern als vorher.

Adam Polczyk / Universität zu Köln
Unterstützt von Eyetracking und KI lerne Niko Mathe an der Gesamtschule Wulfen. Im Hintergrund: Lehrerin Vanessa Trabert

Ein aktueller PC, eine gute Grafikkarte und eine handelsübliche Webcam: Das ist laut der Forschung von Prof. Achim Lilienthal alles, was man braucht, um Schwierigkeiten und Stärken von Schülerinnen und Schülern in Mathematik zu erkennen. Das Prinzip: Eine Webcam registriert die Blickbewegungen der Kinder. Je nach Aufgabe ergeben sich bestimmte Muster, die digital auf einer Karte dargestellt werden können. Wo die Kinder häufig hinschauen, färbt sich die Karte rot, wo sie nur kurz drüberhuschen, grün. Diese Heatmap hilft den Forschenden bei der Analyse. „Die künstliche Intelligenz klassifiziert die Muster“, sagt der Robotikprofessor der TUM. Auf Basis dieser Muster wählt die Software dann etwa spezifische Lernvideos und Übungsaufgaben für das jeweilige Kind aus.

Über Heatmaps Lernstrategien identifizieren

„In einem einzigen System die Blickbewegungen mittels Webcam zu verfolgen, über die Muster Lernstrategien zu erkennen und eine individuelle Förderung anzubieten und zuletzt auch noch Förderberichte für Lehrkräfte automatisiert zu erstellen, ist völlig neu“, sagt Maike Schindler. Die Professorin für Mathematik in inklusiven und sonderpädagogischen Kontexten von der Universität zu Köln arbeitet bereits seit zehn Jahren mit TUM-Professor Lilienthal zusammen. Zudem leitet sie das gerade abgeschlossene Forschungsprojekt KI-ALF, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und in dem das Webcam-basierte Eyetracking-System entwickelt wurde. Im Fokus ihrer Forschungen stehen Schülerinnen und Schüler, „die große Schwierigkeiten im Mathematiklernen“ haben, wie Schindler sagt. Perspektivisch ist nach Einschätzung von Lilienthal auf dieser Basis auch ein „individuell angepasster Unterricht“ für besonders leistungsstarke Kinder möglich.

Hunderte Aufgaben hat die studierte Lehrerin Schindler mit ihrem Team definiert, in denen Kinder Zahlen erkennen und darstellen, addieren, subtrahieren, teilen und multiplizieren. „Aufgaben an visuell dargestellten digitalen Lernmaterialien eignen sich hierfür besonders“, so Schindler. So sollen die Kinder etwa herausfinden, wie viele Punkte in einer Tabelle mit zehn Reihen dargestellt sind. Nur in der letzten Reihe fehlen ein paar Punkte.

Wer pfiffig in Mathe ist, springt ziemlich schnell auf die letzte Reihe und zählt hier nur rückwärts. Wer nicht nur Reihen, sondern auch alle Punkte einzeln zählt, gehört zu jenen, die Förderbedarf haben. Das digitale System bildet in einer Heatmap ab, wo die Kinder hinschauen, und die KI übersetzt die Muster in individuelle Lernprogramme.

Vereinfachtes Eyetracking mit hoher Präzision

Für die Entwicklung des vereinfachten Eyetracking-Systems, das nun die Blickbewegungen registriert, kommt dem TUM-Professor Lilienthal zugute, dass er auch in der Robotikforschung mit entsprechenden Systemen arbeitet. Bei der Arbeit mit dem kleinen humanoiden Roboter Nao kommen aktuell Eyetracker zum Einsatz. Damit kann er besser mit Menschen kommunizieren. Diese sehr präzisen Systeme kosten allerdings viele Tausend Euro.

Um eine kostengünstigere Lösung für Schulen zu finden, tricksten die Forschenden, indem sie technisches Know-how und Wissen aus der Mathedidaktik zusammenbrachten. Während hochentwickelte Systeme mit einer maximalen Abweichung von einem Grad arbeiten, liegen Webcams bei einer ungünstigeren Genauigkeit von drei bis vier Grad. Die Lösung: „Bei den KI-ALF-Matheaufgaben wissen wir ja, dass die Schülerinnen und Schüler letztlich die Darstellung der Aufgaben anschauen“, sagt Lilienthal. „Das nutzen wir aus, um das Eyetracking mit der Webcam automatisch nachzujustieren.“ Nach und nach hat das System gelernt, mit der Ungenauigkeit umzugehen. „Es macht für unsere Anwendung heute keinen Unterschied mehr, ob wir mit unseren Webcams oder High-End-Eyetrackern arbeiten“, sagt der Professor. Hierdurch wird das zusammen mit Prof. Maike Schindler entwickelte KI-System erschwinglich und gewinnt daher an Bedeutung für den Einsatz in Schulen.

Gesamtschule Wulfen: Erste Schule in Deutschland setzt das System ein.

Nicht zuletzt deshalb setzt eine erste Schule das KI-basierte Lernsystem ein: die Gesamtschule Wulfen in Dorsten, Nordrhein-Westfalen. Hier ergab ein standardisierter Mathematikleistungstest, dass von 180 Kindern zu Beginn der 5. Klasse ein Drittel „Rechenschwierigkeiten“ hat. „Wir freuen uns“, sagt Schulleiter Hermann Twittenhoff, „dass wir mithilfe des KI-basierten Lernsystems jetzt deutlich mehr Kinder als vorher in ihren mathematischen Basiskompetenzen fördern können. Dadurch können wir mehr Lernenden bei der Verbesserung der Mathematikleistungen helfen, als wir es mangels Lehrkräften bisher konnten.“

In der Gesamtschule können dabei im individuellen Förderunterricht aktuell fünf Schülerinnen und Schüler gleichzeitig mit dem KI-ALF-System arbeiten und werden dabei von einer Lehrerin oder einem Lehrer für Mathe unterstützt und begleitet – während normalerweise in der gleichen Zeit nur ein Kind von der Lehrkraft individuell gefördert würde. „Gerade in Zeiten von Ressourcenknappheit und Lehrkräftemangel ist unser System zur Förderung mathematischer Basiskompetenzen einfach eine tolle Unterstützung für die Schulen“, so Schindler.

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Publikationen

Introduction to eye tracking in mathematics education: interpretation, potential, and challenges; Maike Schindler, Anna Shvarts & Achim J. Lilienthal; Educational Studies in Mathematics (ESM); 3-2025; link.springer.com/article/10.1007/s10649-025-10393-1

Structure Sense in Students’ Quantity Comparison and Repeating Pattern Extension Tasks: An Eye-Tracking Study with First Graders; Demetra Pitta-Pantazi, Eleni Demosthenous, Maike Schindler, Achim J. Lilienthal, and Constantinos Christou; Educational Studies in Mathematics (ESM), 2024, pp. 1 – 19; https://link.springer.com/article/10.1007/s10649-023-10290-5

Weitere Informationen und Links

Link zur Projektseite: www.ki-alf.de

Technische Universität München

Corporate Communications Center

Kontakte zum Artikel:

Prof. Achim Lilienthal
Technische Universität München
Lehrstuhl Perzeption für intelligente Systemen
achim.j.lilienthalspam prevention@tum.de

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