• 21.12.2020

TUM4Mind für Mentale Gesundheit

Themen aus der Tabuzone holen

„Sorgen in Zeiten von Corona“, „Stolperfallen beim Home Studying“, „Dankbarkeit als Lebenseinstellung“ – nur drei der spannenden Slots, die gerade in der digitalen Aktionswoche für Mentale Gesundheit an der TUM geboten waren. Im Januar und Februar gibt es mehr.

Marein Orre
Besonders wichtig fürs Home Studying sind Rituale und Pausen, findet Marein Orre vom Lern- und Prüfungscoaching der TUM. (Bild: Stefan Bannert)

Frau Orre, Sie haben mit Ihrer Kollegin Kirsten Bannert die Aktionswoche „TUM4Mind“ im November organisiert. Fast 2.000 Studierende haben mitgemacht. Ist der Bedarf derzeit besonders hoch?

Marein Orre: Bestimmt ist der Bedarf wegen Corona momentan besonders hoch. Ich sehe aber auch eine generelle Bereitschaft bei den Studierenden, offener mit dem Thema Mentale Gesundheit umzugehen. Ich sehe in meinen Beratungsgesprächen, dass die Bereitschaft wächst, frei über Dinge wie Burnout und Depressionen zu sprechen. Die Offenheit, über Themen zu sprechen, die lange „tabu“ waren, nimmt zu.

Was war bei der Aktionswoche geboten und wie fiel die Resonanz aus?

Wir hatten Angebote in drei Rubriken. Besonders gut besucht waren die Slots in „Entspannung für Körper & Geist“. Yoga, Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung bei sich daheim machen zu können, das kam sehr gut an. Online finde sie besser als vor Ort, schrieb uns eine Teilnehmerin, denn daheim könne sie sich viel leichter entspannen. Da wir durch das Onlineformat räumlich nicht begrenzt waren, konnten außerdem viel mehr Teilnehmer*innen mitmachen als bei einer Präsenzveranstaltung.

Dazu gab es Themen rund um Persönlichkeitsentwicklung & Selbstmanagement und den Umgang mit psychischen Belastungen.  

Auch während der Vortragsformate gab es „Kontakt“ untereinander - Sichtkontakt, etliche haben die Kameras eingeschaltet. In Breakout Rooms trafen sich Kleingruppen für kurze Gespräche und tauschten sich zum Beispiel darüber aus, wie sie mit dem Home Studying umgehen. Zum Thema „Dankbarkeit“ kam ein Beitrag von der Evangelischen Hochschulgemeinde. Inhalt: Sich täglich bewusst zu machen, wofür man eigentlich dankbar sein und dies als Ressource für die jetzige Situation nutzen kann.  

Und wie gehe ich am besten mit Home Studying um?

Ich gebe zum Beispiel diese Tipps: Rituale einführen, immer zur selben Zeit aufstehen, fester Tagesablauf. Wichtig sind auch klare Pausen und der regelmäßige Kontakt mit Kommilitonen, Freunden und der Familie, auch wenn es nur digital ist.

Was waren für Sie die Highlights im Programm?

Mir hat die Vielfalt gefallen. Von Entspannungstechniken über Fachgespräche mit Ärzten bis zum Kamingespräch von Frau Bannert mit einem niedergelassenen Psychotherapeuten mit Fragen und Antworten rund um das Thema Psychotherapie. Inspirierend fand ich das digitale Lagerfeuer zum Thema Storytelling: Die eigene Geschichte erzählen und sie umdeuten. Man kann lernen, vermeintlich negative Erfahrungen anders zu interpretieren und als Ressource zu nutzen, nach dem Motto „Obstacle or opportunity? Change your perspective”. Währenddessen hat ein Graphiker in einem “digital bonfire” die vielen Gedanken der Teilnehmer zusammengefasst. 

Grafik Digital Bonfire Robin Hotz
Obstacle or Opportunity: Change your perspective through the Power of Storytelling.

Sollten wir auch die Phase der Corona-Pandemie anders sehen?

Das könnte man, natürlich. Die Coronazeit wird von vielen Menschen überwiegend als negativ und Zeit von „verpassten Chancen“ wahrgenommen, weil vieles nicht möglich ist. Wir animieren die Studierenden hingegen zu gucken, welche positiven Aspekte zu entdecken sind. Auch das ist übrigens ein positiver Aspekt von Corona: Es holt das Thema Mentale Gesundheit aus seiner Ecke heraus. Und bringt vielen die Erkenntnis: Anderen geht es wie mir.

In unserer Zeit sind viele junge Menschen sehr leistungsorientiert. Auch die TUM ist ein Umfeld, das Wert auf Begriffe wie „Exzellenz“ und „Elite“ legt.

Höchstleistung kann nur erbracht werden, wenn genug Pausen gemacht werden. Bei jedem technischen Gerät muss regelmäßig die Batterie geladen werden. So auch beim Menschen. Durch Entspannung, durch körperliche Betätigung, durch Ablenkung. Junge Menschen sind heute oft besonders kritisch mit sich selbst. ‚Machen Sie Pause am Wochenende?‘, frage ich oft in den Coachingstunden. ‚Nein, das geht nicht, das kann ich nicht.‘, höre ich dann. Dabei ist „Batterienaufladen“ so wichtig!

Sie coachen an der TUM Studierende und beraten sie in punkto Lernen und bei Prüfungsproblemen. Was sind die Ursachen für die meisten Schwierigkeiten?

Hier gibt es viele verschiedene Aspekte. Ein großes Thema ist momentan die Nutzung digitaler Medien. Es ist schwer für die Studierenden das Handy wegzulegen. Sie machen oft zu wenig Pausen. Dazu gesellt sich häufig ein schlechtes Gewissen, gerade bei den sehr leistungsorientierten jungen Menschen. Und jetzt in der Lockdown-Zeit kommt hinzu, dass es zu Hause sehr schwer fällt, eine Grenze zwischen Lernzeit und „privater“ Zeit zu ziehen. Viele leben eher beengt, das kommt noch oben drauf.

Was nehmen Sie selbst aus der Aktionswoche mit?

In einem Expertenvortrag habe ich erfahren, dass es im Durchschnitt sieben Jahre dauert, bis jemand in Therapie geht. Das hat mich sehr erstaunt. Was für ein langer Leidensweg! Umso wichtiger ist es, frühzeitig auf sich zu achten und gut mit sich und seinen Ressourcen umzugehen.

Welche Angebote von TUM4Mind gibt es als nächstes?

Im Januar gibt es ein Digitales Lagerfeuer zum Jahresauftakt. Im Februar stellen wir in „Entspannt in die Prüfungsphase“ eine Mischung aus Mini-Entspannungsübungen vor, die man direkt anwenden kann. Außerdem bieten wir „Psychisch fit Studieren“ auf Englisch an, zusammen mit dem Verein „Irrsinnig Menschlich“. Der Verein will dasselbe wie wir: Das Thema mentale Gesundheit aus der Tabuzone holen, indem darüber gesprochen wird.


(Interview: Verena Meinecke)


Marein Orre ist Diplom-Kauffrau (BWL) und hat eine MSc-Coaching-Ausbildung absolviert. Seit zwei Jahren ist sie an der TUM und bietet mit ihren Kolleginnen Bettina Hafner und Kirsten Bannert Lern- und Prüfungscoaching an. An ihrer Aufgabe gefällt ihr besonders, dass sie jungen Menschen helfen und etwas mit auf den Weg geben kann.


Mehr Informationen:
TUM4Mind für Mentale Gesundheit
Lern- und Prüfungscoaching an der TUM

 

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