TUM-Studentin Clara Sabel: Engagement für Menschen aus der Ukraine
„Die Bandbreite an Schicksalen ist unglaublich groß“
Gerade sind Sie von einer Fahrt nach Chelm nahe der polnisch-ukrainischen Grenze zurückgekehrt. Wie ist Ihr Eindruck von den Menschen, die Sie nach München mitnehmen?
Das sind jedes Mal sehr beeindruckende Begegnungen. Es sind Menschen wie du und ich. Und es sind stolze Leute, die sich das Schlimme, was sie erleben mussten, nicht anmerken lassen wollen. Viele sind bemüht, mit uns an einem Strang zu ziehen. Einmal fuhr bei mir nach München eine Anwältin mit. Mit ihr redete ich darüber, welche Fälle sie in ihrem Job behandelt hat. Das ist natürlich cool.
Sie waren dort für die private Hilfsorganisation „Civil Relief Munich“.
Was allen Freiwilligen bei „Civil Relief Munich“ wichtig ist: Es sind Fahrgäste, wir sagten bewusst nicht „Flüchtlinge“. Wir haben versucht, mit ihnen so würdevoll und respektvoll wie irgendwie möglich umzugehen.
Wenn man Ihnen so zuhört, wirken die Fahrten von Chelm nach München erstaunlich unkompliziert.
Na ja, mit Kindern ist die Lage noch einmal eine andere. Bei meiner letzten Fahrt hatte ich besonders viele Kinder in meinem Konvoi. Die Jüngste war drei, vier Jahre alt – die Älteste 13. Und ja, ich hatte schon mal ein fünf Monate altes Baby im Auto. Zwar sind manche Kinder putzmunter, sobald sie den Schokohasen sehen, der zu Ostern auf den Sitzen saß. Die sind mit der Glocke locker mal eine Stunde beschäftigt. Andere schlafen direkt ein im Auto. Aber einige Kinder weinen auch erstmal.
Emotional ist es also nicht so einfach.
Für uns Freiwillige gehörte das dazu. Und dann ist da noch die Reiseübelkeit. Besonders berührt hat mich, wenn Kinder noch eine Krankheitsgeschichte hatten. Ich hatte mal ein stark autistisches Kind im Auto. Oder einen Jungen mit Leukämie, der während der gesamten Fahrt auf dem Handy spielte. Von seiner Krankheit habe ich erst im Gespräch erfahren, angemerkt hat man ihm nichts. Die Bandbreite an Schicksalen ist unglaublich groß.
Sie waren mit unglaublichem Leid konfrontiert. Warum haben Sie trotzdem immer weitergemacht?
Ich sehe mich als Teil der europäischen Gemeinschaft, weniger als Deutsche. Wir haben uns schließlich als Europäische Union zusammengeschlossen. Und dann sollten wir nicht nur in Friedens-, sondern auch in Kriegszeiten zusammenstehen. Zuerst habe ich mich sehr ohnmächtig gefühlt. Ich bin Studentin, habe nicht viel Geld, das ich spenden kann. Dann habe ich konkret geholfen. Wenn man mit Hilfsgütern an die Grenze fährt und mit Menschen zurückkommt, fühlt man sich nicht so hilflos gegenüber dem Krieg.
Einmal in München angekommen: Wie geht es weiter für die Geflüchteten aus der Ukraine?
Wir haben die Menschen in keiner Flüchtlingsunterkunft aussteigen lassen. Wir hatten eine eigene Abteilung für Gastfamilien-Matching. Das heißt: Jedes Auto setzt die Menschen bei zuvor ausgewählten und abtelefonierten Familien ab. Sie kommen in ein liebevolles Zuhause, steigen in ein warmes Bett und setzen sich am nächsten Morgen an den Frühstückstisch. Da sind Welten dazwischen, wenn man davor in einem Flüchtlingslager an der polnisch-ukrainischen Grenze geschlafen hat. Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass meine Fahrgäste jetzt nicht nur in Sicherheit, sondern auch aufgehoben sind.
Wie schaut so ein Ankommen in München konkret aus?
Einmal stand die Gastfamilie an der Tür und sagte: „Hallo, wir haben euch Spaghetti Bolognese auf dem Herd warm gemacht. Ihr habt hoffentlich Hunger. Kommt rein, wir nehmen euer Gepäck.“ Und dann war da noch ein Knirps im gleichen Alter wie das ukrainische Kind, der sich mit dem sofort verstanden hat. So etwas mitansehen zu dürfen, ist ein Geschenk.
An sich studieren Sie ja. Ging das denn so ohne Weiteres?
Ich schreibe zur Zeit meine Bachelorarbeit am Lehrstuhl für Carbon Composites an der TUM School of Engineering and Design in Garching. Bei jedem Call mit meinem Betreuer habe ich am Anfang ein paar Minuten lang erzählt. Er und alle am Lehrstuhl hatten für meine Situation echt Verständnis.
Studierende tun sich schwer, Geld zu spenden oder ein freies Zimmer für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Wie können sie trotzdem helfen?
Was Studierende am allerbesten tun können: Ihre Zeit zur Verfügung stellen. Gerade im Gastfamilien-Team zum Beispiel bei „Civil Relief Munich“ werden dringend Freiwillige gebraucht, die – sobald die Fahrgäste an der Grenze in Polen dokumentiert wurden – im Münchner Raum die Gastfamilien anrufen, die sich vorab gemeldet haben. Also dass bei der Ankunft in München alle Menschen eine Familie haben, bei der sie unterkommen.
Wie sieht das konkret aus?
Das sind meistens Telefonate von fünf bis zehn Minuten, wo man manchmal noch Besonderheiten wie Tierhaarallergien abklärt – wenn etwa jemand eine Katze dabeihat. Außerdem werden immer Fahrer:innen gebraucht, die möglichst spontan während der Woche Fahrten an die polnisch-ukrainische Grenze anbieten können. Und Studierende können sich ja in der Regel ihre Zeit flexibler einteilen.
Mit welchen Gedanken blicken Sie in die Zukunft?
Ich träume immer davon, dass der Krieg irgendwann vorbei ist. Und dass wir den Konvoi rückwärts machen können. Damit wir die Menschen wieder nach Hause in die Ukraine fahren können. Klar kann man entgegnen, das ist utopisch – aber ich finde das eine schöne Vorstellung.
- Clara Sabel, 22, ist gebürtige Münchnerin. Gerade beschäftigt sie sich in ihrer Bachelorarbeit an der TUM mit der Aushärtung von Harzsystemen unter Mikrowellenstrahlung.
- Insgesamt acht Mal ist sie an der polnisch-ukrainischen Grenze gewesen. Für Hin- und Rückfahrt saß sie insgesamt 32 Stunden im Auto.
- Auf dem Weg nach München saßen nicht nur Menschen bei ihr im Auto, sondern auch Hunde, Katzen, Hamster, Frettchen – und eine Schildkröte.
- Die private Hilfsorganisation „Civil Relief Munich“ arbeitet komplett spendenbasiert.
- Clara Sabel war dort eine von mehr als 100 Freiwilligen, dazu kamen 1.200 freiwillige Fahrer:innen und rund 40 Fahrzeuge. Jeden Tag starten von München aus zwei Hilfskonvois in Richtung polnisch-ukrainische Grenze.
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