• 17.7.2023
  • Lesezeit: 3 Min.

Elektroden falten sich selbst und stimulieren feine Nerven

4D-Druck für die Nervenstimulation

Manche Nerven können künstlich stimuliert werden, zum Beispiel um Schmerzen zu behandeln. Je feiner der Nerv, desto schwieriger ist es, die dafür nötigen Elektroden anzubringen. Forschende der Technischen Universität München (TUM) und von NTT Research haben nun flexible Elektroden entwickelt, die sie per 4D-Druck herstellen können. Bei Kontakt mit Feuchtigkeit falten sich diese von selbst und wickeln sich um dünne Nerven.

Lukas Hiendlmeier, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem Projekt forscht, beim Bearbeiten der sich selbstfaltenden Elektroden. Andreas Heddergott / TUM
Lukas Hiendlmeier, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem Projekt forscht, beim Bearbeiten der sich selbstfaltenden Elektroden.

Das Nervensystem steuert unsere Bewegungen durch elektrische Impulse. Sie werden von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben, bis schließlich beispielsweise eine Muskelkontraktion ausgelöst wird.

Nervenzellen lassen sich jedoch auch künstlich stimulieren. Dafür werden Nerven über angelegte oder implantierte Elektroden mit Stromimpulsen angeregt. Eingesetzt wird die sogenannte periphere Nervenstimulation beispielsweise, um chronische Schmerzen oder Schlafapnoe zu behandeln. Auch bei Depressionen und Epilepsie gibt es bereits klinische Anwendungen, bei denen der Vagusnerv stimuliert wird. Dieser ist mit einem Durchmesser von mehreren Millimetern verhältnismäßig dick.

Schwieriger wird die Stimulation bei haarfeinen Nerven mit zehn bis zu mehreren hunderten Mikrometern, da hier auch die Elektroden entsprechend fein und präzise hergestellt werden müssen. Auch das Einsetzen und Anbringen der Elektrode am Nerv ist im Mikrometerbereich komplizierter.

4D-Druck ermöglicht verschiedene Formen

Formen sich 3D-gedruckte Objekte nachträglich gezielt um, zum Beispiel durch Feuchtigkeit oder Wärme, nennt man das 4D-Druck. Forschende der TUM und des Medical & Health Informatics (MEI) Lab von NTT Research haben nun 4D-gedruckte Elektroden entwickelt, die sich beim Einsetzen ins feuchte Körpergewebe von selbst um die hauchdünnen Nerven schließen. Die Elektrode wird zunächst per 3D-Druck gefertigt. Dadurch können Form, Durchmesser und weitere Merkmale flexibel justiert werden.

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4D-gedruckte Elektrode, die sich bei Kontakt mit Feuchtigkeit von selbst faltet
Video: Lukas Hiendlmeier / TUM

Die äußere Seite der Elektrode besteht aus einem biokompatiblen Hydrogel, das bei Kontakt mit Feuchtigkeit anschwillt. Das Material auf der Innenseite ist flexibel, schwillt jedoch nicht mit an. Durch diesen Aufbau schließen sich die Elektroden bei Feuchtigkeit von selbst ringförmig um die Nerven.

Die strukturierte Titan-Goldbeschichtung auf der Innenseite der Elektroden überträgt die elektrischen Signale zwischen Elektroden und Nervenfasern. „Durch den engen Kontakt zwischen den gefalteten Manschetten und den Nerven können wir mit den Elektroden sowohl Nerven stimulieren, als auch Nervensignale messen“, sagt Bernhard Wolfrum, Professor für Neuroelektronik am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE) der TUM und Leiter der Studie. Dies erweitert die Möglichkeiten für potentielle Einsatzbereiche.

Selektivere Stimulation

Für die neuen Elektroden sind zukünftig verschiedene biomedizinische Anwendungen denkbar, so zum Beispiel eine Verbesserung von Implantaten für Schlafapnoe. Leiden Patient:innen an Schlafapnoe, fällt die Zunge nach hinten Richtung Rachen und verschließt kurzzeitig die Atemwege. Stimuliert man die Muskeln, die die Zunge nach vorne ziehen, lässt sich das Problem beheben. „Aktuell ist es jedoch schwierig, selektiv nur die Muskeln zu stimulieren, die die Zunge nach vorne bewegen. Hier könnten die flexiblen Elektroden ansetzen und zukünftig eine Möglichkeit bieten, Nerven selektiver zu stimulieren“, sagt Professor Clemens Heiser, leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums rechts der Isar der TUM.

Die selbstfaltenden Elektroden sind einfach zu handhaben und robust. Das Forschungsteam konnte ihren Einsatz bereits in Heuschrecken demonstrieren, bei denen feine Nerven mit einem Durchmesser von 100 Mikrometern ummantelt wurden, ohne die Nerven zu beschädigen. So konnten die Wissenschaftler:innen Muskeln gezielt stimulieren. Aktuell noch im Grundlagenstadium, könnten die Elektroden zukünftig ein wichtiges Mittel sein, um die periphere Nervenstimulation in die breitere klinische Anwendung zu bringen.

Publikationen

Lukas Hiendlmeier, Francisco Zurita, Jonas Vogel, Fulvia Del Duca, George Al Boustani, Hu Peng, Inola Kopic, Marta Nikić, Tetsuhiko F. Teshima, Bernhard Wolfrum: 4D-Printed Soft and Stretchable Self-Folding Cuff Electrodes for Small-Nerve Interfacing, Advanced Materials (2023), DOI: doi.org/10.1002/adma.202210206

Weitere Informationen und Links
  • Hochauflösendes Bildmaterial
  • Die Arbeit ist Teil eines Projekts des TUM Innovation Networks NEUROTECH. In den TUM Innovation Networks arbeiten Forscher:innen  fachübergreifend eng zusammen, um neue Forschungsgebiete zu erschließen und frühzeitig künftige Innovationsschwerpunkte zu formen.
  • Die Arbeit wurde auch gefördert vom Munich Multiscale Biofabrication Network, das Teil des ONE MUNICH Strategy Forums ist, in dem TUM und LMU gemeinsame Initiativen zu großen Zukunftsfragen und -feldern identifizieren und fördern. Das ONE MUNICH Strategy Forum wird unterstützt durch die Hightech Agenda Bayern.
  • Die Arbeit ist in Zusammenarbeit mit dem MEI Lab von NTT Research, Inc., einem Unternehmensbereich von NTT, entstanden.
  • Prof. Bernhard Wolfrum forscht am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE), einem Integrativen Forschungsinstitut der TUM. Am MIBE entwickeln und verbessern Forschende aus der Medizin, den Natur- und Ingenieurwissenschaften und der Informatik gemeinsam Verfahren zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten. Die Aktivitäten reichen dabei von der Untersuchung grundlegender wissenschaftlicher Prinzipien bis zu deren Anwendung in medizinischen Geräten, Medikamenten oder Computerprogrammen.

Technische Universität München

Corporate Communications Center

Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. Bernhard Wolfrum
Technische Universität München
Professur für Neuroelektronik

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