Prof. Sophie Wolfrum spricht über die Wohnungssituation in München
„Ich sehe es als meine Aufgabe, Städtebau in hoher Qualität zu liefern“
Wachsen Städte stärker als früher?
Das kann man so nicht sagen. Städte hatten immer Wachstumsphasen, abhängig von der Region, Konjunktur oder Epoche. So kam etwa nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 durch die Reparationszahlungen viel Geld nach Deutschland. Verbunden mit der Industrialisierung und der Modernisierung sind die Städte in Deutschland in dieser Zeit rapide gewachsen. Dann hatten wir ein starkes Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg, als zehn Millionen Flüchtlinge in den Westen kamen. Und aktuell sind die Städte wieder im Wachstum. Das hat aber weltweit verschiedene Gründe. So gibt es etwa in den sich entwickelnden Ländern eine Verschiebung von einer Agrargesellschaft zu einer industriellen Gesellschaft. In den entwickelten Ländern dagegen kann man eine Verschiebung von einer Sachgüter produzierenden Ökonomie auf eine Dienstleitungs- und Wissensökonomie beobachten. Die Universitäten wachsen, das sieht man am Beispiel der TU München, bei der sich in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Studierenden verdoppelt hat. Die Studierenden bringen in der Folge Wissen und ökonomische Aktivitäten in die Stadt.
Gerade am Beispiel der Studierenden, die sehr schwer eine Wohnung finden, kann man die Wohnungsknappheit in München sehen. Wurde im Vorfeld nicht richtig geplant?
Es ist nicht möglich, weit in die Zukunft zu planen, sondern es ist sinnvoll, sich am Bedarf zu orientieren. Bloß ist in den vergangenen Jahren zu langsam reagiert worden. Die Stadterweiterungspläne, die in der Nachkriegszeit gemacht wurden, sind heute immer noch prägend für große Stadtgebiete von München. Es wurde sozusagen ein weiter Mantel genäht, in den sich die Stadt über Jahrzehnte hineinentwickeln konnte. In den 50er und 60er Jahren gab es die großen Neue-Heimat-Siedlungen, zum Beispiel in Neuperlach, Hasenbergl und Lerchenau. Die großen Einfamilienhaus-Siedlungen sind ebenfalls in dieser Zeit entstanden. Es gab eine Mischung von sukzessiver Entwicklung und großen Siedlungen, Neuperlach etwa war ja als Entlastungsstadt gedacht, für 80.000 Einwohner auf einen Schlag. Solche großen Maßnahmen waren dann lange Zeit undenkbar. Aber heute müsste man eigentlich wieder darüber sprechen, dass kleine Schritte den Bedarf nicht mehr decken können. Und dass der Bedarf sehr groß ist in dieser Stadt, steht außer Frage.
Sollte mehr gebaut werden?
Ich meine schon, dass man hier in München bauen, bauen, bauen muss. Allerdings schafft das viele Konflikte, die die verantwortlichen Planer der Stadt München zu bewältigen haben. Dennoch muss man wieder dichter bauen. Die Stadtviertel, die sehr beliebt sind wie Schwabing, Sendling und Maxvorstadt sind auch sehr dicht, und deren Qualität muss man wieder erreichen. Dabei geht nicht nur um Wohnungsbau; die Infrastruktur, wie Schulen oder der öffentliche Nahverkehr, muss sich parallel entwickeln. Ich sehe es als meine Aufgabe, weiterhin Städtebau in so hoher Qualität zu liefern, dass auch die neuen Stadtteile so beliebt werden wie die alten. Das kann schon etwas dauern, ist aber grundsätzlich eine Frage des städtebaulichen Entwurfs. Das ist eine Profession, die wir hier an der TU München lehren.
Was müssen Städteplaner beachten, um neue beliebte und belebte Viertel zu schaffen?
Es muss eine gute Balance geben zwischen den Gebäuden, die errichtet werden und den Zwischenräumen, die dann eigentlich den städtischen Raum ausmachen. All diese Räume, die städtischen öffentlichen und die privaten in den Gebäuden sollten auf eine gute Art miteinander verzahnt ein. Die Stadtviertel dürfen nicht einfach nur funktional sein, sondern sollen eine möglichst starke, lebendige Mischung aufweisen. Ein großes Problem, dessen Folge kaum abzusehen ist, bietet der Einzelhandel, der sich rasant verändert. Von den neuen Stadtteilen wünschen wir uns natürlich auch eine Balance zwischen Wohnen und Arbeiten, eine lebendige Stadt, mit der Möglichkeit für unterschiedliche Aktivitäten. Das hat sicher etwas mit Dichte, aber auch mit der Qualität der Dichte zu tun.
Wo könnten in München neue Stadtteile entstehen?
Zum einen gibt es die Gebiete im Nordosten entlang der S-Bahn-Stationen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen. Dort gäbe es eine Möglichkeit, die Stadt zu erweitern. Allerdings wird das Land schon genutzt, vordringlich als Ackerland und durch den Reitsport. Das zweite Gebiet, auf dem die Stadt München eine „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ vorbereitet, befindet sich im Nordwesten bei Feldmoching, kurz vor der Stadtgrenze. Aber auch dort gibt es starke Interessenskonflikte, einige Landwirte haben bereits eine Bürgerinitiative gegen die Ausweisung als „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ gegründet, die ja erst mal das dortige Potential für Bauland ausloten soll.
Denken Sie, dass sich die angespannte Situation bald verbessern wird?
Ich glaube, das wird jetzt noch weiter den Berg raufgehen, bis es wieder runtergeht. Die Stadtplanung kurbelt den Wohnungsbau an, und auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben ihre Bautätigkeit stark hochgefahren. Aber bis sich dadurch die Angebotslage verbessert, dauert es noch einige Jahre. Aus der gegenwärtigen Befindlichkeit kann man sich kaum vorstellen, dass es mal eine Überproduktion gibt, die zum Leerstand von Wohnungen führen wird. Es gibt sicher einige Fehlinvestitionen. Momentan werden ja viele kleine Wohnungen gebaut, und es kann gut sein, dass in 20 Jahren kaum jemand nach solchen Wohnungen sucht, weil sich andere Formen des Zusammenlebens stärker entwickeln.
Was für Wohnformen meinen Sie damit?
Wir können momentan eine Entwicklung beobachten, dass immer weniger Menschen in konventionellen Familien leben, in München sind über die Hälfte der Haushalte Ein-Personen-Haushalte. In diesem Bereich werden sich neue Wohnformen entwickeln. Die WG hatte in meiner Generation eher das Image einer Notlösung, wo man sich um den Abwasch streiten muss. Aber diese neuen gemeinschaftlichen Lebensformen ermöglichen mehr Privatsphäre zum Beispiel in einer Gruppe von Mini-Apartments rund um Gemeinschaftsbereiche, die wiederum gemeinsame Aktivitäten erlauben. Diese Entwicklung nimmt stark zu, aber es gibt nur ein minimales Angebot. Einige Baugenossenschaften bauen solche Wohnformen selber, auf dem freien Markt gibt es das bisher kaum.
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