Interview mit Prof. Stephan Trüby, Professur für Architektur und Kulturtheorie
"Die Architektur ist die Spitze des Eisbergs"
Sie sind Professor für Architektur und Kulturtheorie. Wie wirken diese beiden Bereiche zusammen?
Stephan Trüby: Architektur ist die vielleicht komplexeste Kulturtechnik, die die Menschheit hervorgebracht hat. Man versteht Architektur nur dann, wenn man sich genau überlegt, in welchem Kontext ein Gebäude entstanden ist. Politische, ökonomische, künstlerische und technisch-wissenschaftliche Erwägungen spielen eine Rolle. Architektinnen und Architekten stehen vor der schwierigen Aufgabe, in diesem breiten Spektrum zu agieren und Gebäude entstehen zu lassen.
In Ihrem aktuellen Forschungsprojekt untersuchen Sie den wirtschaftlichen Einfluss auf die Architektur.
Trüby: Geld regiert ja bekanntlich die Welt, und das gilt auch für die Architektur. Gleichzeitig wird Geld aus dem offiziellen Diskurs über Architektur geradezu ausgeschlossen. Es gibt – so hört man immer wieder – die gute Architektur auf der einen Seite und die böse Ökonomie auf der anderen. Bei unserem Forschungsprojekt "Global Economy und Architecture" geht es darum, ökonomisches Denken als Basis der Architekturproduktion und -theorie zu begreifen. Wir untersuchen Städte wie München, Frankfurt, London, New York, Tel Aviv, Moskau, Dubai, Abu Dhabi und Singapur. Uns interessiert, wie verschiedene internationale Finanzströme im Zeitraum von 1973 bis 2016 in regionalen Kontexten architektonisch Wirkung zeigten und zeigen. Für uns ist die Architektur die Spitze des Eisbergs. Unterhalb des Sichtbaren schwimmen – um im Bilde zu bleiben – die Finanzierungsmodelle, die Schulden, die Hedgefonds, die Investmentfonds. Mit diesem ökonomischen Blick auf die Architektur versuchen wir, das Gebaute besser zu verstehen.
Welche Entwicklungen im Finanzsektor lassen sich denn an Gebäuden ablesen?
Trüby: Ein Beispiel: Früher gehörten Banken zu den Gebäuden im Stadtbild, die am stabilsten und sichersten wirkten. Mittlerweile gehört es fast zum guten Ton, schiefe Gebäude zu bauen. Ein Beispiel ist der Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Plötzlich werden an Bankarchitekturen ganz andere Erwartungen geknüpft als früher. Das ist kein Zufall, sondern es stecken Muster dahinter. Offenbar gewöhnen sich Menschen zunehmend an den Gedanken, dass Geld etwas mit Instabilität zu tun hat. Noch vor 50 Jahren wäre das unvorstellbar gewesen.
Sie waren 2014 Co-Kurator der Hauptausstellung "Elements of Architecture" auf der Biennale in Venedig. Welche Idee steckt hinter diesem Thema?
Trüby: "Elements of Architecture" war eine Mischung aus Forschung und Ausstellung. Der niederländische Architekt Rem Koolhaas, Direktor der Architektur-Biennale 2014, hatte das Projekt initiiert. Die Idee des Forschungsprojektes war es, einen selektiven Blick auf Architektur zu werfen. Auf Elemente wie den Korridor, das Dach, die Treppe, die Fassade, die Tür, das Fenster und so weiter. Insgesamt sind 15 Publikationen entstanden, die sich jeweils mit einem Element beschäftigen. Wir werden sie in diesem Jahr zu einem großen Buch zusammenfassen.
Welche Aspekte der Architekturelemente haben Sie untersucht?
Trüby: Wir interessieren uns auf der einen Seite für die Historie der Elemente, zum Beispiel welche Rolle das Dach in der traditionellen chinesischen Architektur gespielt hat. Aber wir interessieren uns auch für die zukünftige Entwicklung. Dabei ist uns klargeworden, dass fast alle Architekturelemente zurzeit einen Prozess der Digitalisierung durchmachen. Nehmen Sie zum Beispiel die Heizung. Wir thematisierten in der Ausstellung und der Begleitpublikation die Firma "Nest", eine Thermostat-Firma, die von dem ehemaligen Apple-Mitarbeiter Tony Fadell gegründet wurde. Er hat dieses Unternehmen dann ein paar Jahre später für sehr viel Geld an Google verkauft. Sofort stand die Frage im Raum, warum interessiert sich Google für Thermostate? Ist es vielleicht ein Weg, auf digitalem Wege in unsere Wohnzimmer zu kommen und dort Daten über unser Heiz- und Wohnverhalten zu sammeln? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle architektonischen Elemente zu Teilen eines digitalen Netzwerks geworden sind.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft für die Architektur allgemein?
Trüby: Vieles, was für uns selbstverständlich schien – denken Sie zum Beispiel an die EU – ist plötzlich höchst fragil. Das sind Phänomene, die sicherlich die Architektur beeinflussen. In der Geschichte war es immer so, dass politisch turbulente Zeiten zu turbulenten und radikalen Architekturauffassungen führen. Insofern erwarte ich Ähnliches auch für die Gegenwart und Zukunft.
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