• 3.8.2022
  • Lesezeit: 4 Min.

Interview mit Studentin Chiara Marske und Prof. David Wuttke

Mit VR-Brille in die Logistik-Vorlesung

Rund 70 Studierende haben mit Prof. David Wuttke ein Semester lang in virtueller Realität (VR) studiert. Im Interview erzählen die Studentin Chiara Marske und der Professor für Supply Chain Management, warum sie sich an die VR-Seminarstunden besser erinnern können, welche Themen des Management-Studiums sich für das Format anbieten und wann die VR-Brille gestört hat.

Matt Stark / TUM
Funktioniert Virtuelle Realität in der Lehre? Begleitet von Wissenschaflter:innen haben Studierende am TUM Campus Heilbronn es ausprobiert.

Zwei Kurse in Produktion und Logistik hat Prof. David Wuttke für die Studierenden am TUM Campus Heilbronn in der virtuellen Realität konzipiert. Die Studierenden bekamen VR-Brillen oder konnten an Notebook, Tablet oder Smartphone teilnehmen. Die Kurse fanden im Sommersemester 2021 statt. Zwei Befragungen während und nach den Kursen sowie die Vielzahl an Erfahrungen hat Wuttkes Team ausgewertet und jetzt in einem White Paper aufbereitet.

Herr Professor Wuttke, in der Corona-Pandemie hat die digitale Lehre einen großen Schub bekommen. Der Lockdown war aber nicht der Grund, dass Sie mit Virtual Reality experimentieren wollten?

Prof. David Wuttke: Da die VR-Lehre wegen der virtuellen Abbildung der Realität ganz andere Möglichkeiten bietet, hatte ich mich schon vor den ersten Meldungen über Covid-19 mit dem Thema beschäftigt. Mithilfe von Apps wollte ich bereits da erproben, wie man beispielsweise Situationen aus der Praxis simulieren kann – wie Entscheidungen im Unternehmen oder Rundgänge in Fertigungshallen. Wie sind die Lagerbestände? Wo gibt es unnötig lange Wege? Wo sind Dinge einfach schlecht angeordnet? Wo stehen Maschinen still? Die Fähigkeit, Prozesse zu optimieren, kann ich auf diese Weise wunderbar üben, ohne dabei je den Schreibtisch verlassen zu müssen. In der Pandemie kam uns das natürlich gelegen – aber auch darüber hinaus sind die Anwendungsbereiche vielfältig und hochspannend.

Nachdem Sie nun eine Testphase hinter sich haben: Welche Aspekte sind entscheidend für einen gelungenen VR-Kurs?

Wuttke: Zunächst einmal sind verschiedene virtuelle Räume wichtig, mit denen man die Bedarfe eines physischen Kurses gut abbilden kann: Man braucht einen Vorlesungsraum für Vorträge, aber auch Räume, in denen man zum Beispiel Gruppendiskussionen führen kann. Für letztere war die Spatial-Audio-Funktion, die ich erst für eine nette Spielerei gehalten hatte, unschätzbar wertvoll – denn damit konnten wir uns tatsächlich in kleinen Runden unterhalten, ohne andere im selben Raum zu stören.

Chiara Marske: Der Effekt war sehr nahe an der eigentlichen Realität: Wer in unmittelbarer Nähe des eigenen Avatars stand, war gut hörbar. Dagegen wurden Personen, die sich in einer anderen Ecke des virtuellen Raums aufhielten, beinahe ausgeblendet. Für Gruppenarbeiten und Gespräche war das ideal.

Wuttke: Natürlich ist auch eine gute Vorbereitung entscheidend – sowohl technisch wie organisatorisch. VR-Headsets müssen schließlich verschickt oder verteilt und Programme geschrieben werden. Außerdem muss man technische Probleme, System-Updates und mögliches Unwohlsein der Beteiligten einkalkulieren, vor allem am Anfang. Manche berichten beim Eintritt in die virtuelle Realität von Schwindelgefühlen oder sogar Übelkeit. In solchen Fällen kann man aber auf eine Desktop-Alternative ausweichen.

In welcher Hinsicht hat die VR-Lehre Ihre Erwartungen sogar übertroffen?

Marske: Erstaunlich war, dass ich mich im Nachhinein überdurchschnittlich gut an die Kursinhalte erinnern konnte – ganz anders als bei Vorlesungen im Rahmen digitaler Konferenz-Tools. Die virtuelle Umgebung hat auf jeden Fall dazu beigetragen, das Gesagte im Gedächtnis zu festigen. Ein weiterer Vorteil: Dank des Headsets war ich während der Kurse weniger abgelenkt, zum Beispiel von meinem Smartphone, und konnte insgesamt besser folgen.

Wuttke: Dieselbe Erfahrung habe auch ich gemacht. Zum Beispiel weiß ich noch genau, wie wir beim Seminar auf dem Mond über Lieferketten sprachen. Die Exotik der virtuellen Räume hat daran sicher einen Anteil. Generell schafft die virtuelle Realität aber vor allem visuelle Verknüpfungen für das Gesagte. Und da visuelle Unterstützung oft das Lernen verbessert, war in diesem Rahmen auch die Merkfähigkeit höher. Außerdem hat man in einer VR-Umgebung eher das Gefühl von Anwesenheit als bei einem virtuellen Call, wo die meisten ihre Kamera ausschalten und erstmal nur als Name auf dem Bildschirm präsent sind.

Marske: Stimmt! Schon allein die Möglichkeit, physisch die Hand zu heben und zu sehen, wer im selben Moment auch eine Frage stellen möchte, hat nach dem Online-Lernen das Gemeinschaftsgefühl zurück in den Kurs gebracht. Natürliche physische Bewegungen nachahmen zu können, mag für die Lehre erstmal irrelevant klingen. Doch dadurch entsteht ein Miteinander. Man kann sich aufeinander zubewegen, Gespräche suchen und sich sogar necken.

Andersherum gefragt: Wo gibt es noch Optimierungsbedarf?

Marske: Das größte Problem in der VR-Lehre ist bis dato die fehlende Möglichkeit, sich Notizen zu machen. Denn man sieht ja weder die Tastatur, noch die eigene Hand. Dafür werden aber wohl aktuell Lösungen entwickelt. Zudem müssen wir die regelmäßigen Software-Updates noch besser einplanen, damit wir weniger kostbare Zeit im Prozess verlieren. Denn man schaltet sein Headset ja in aller Regel erst kurz vor Kursbeginn ein.

Kann sich der Einsatz von Virtual-Reality-Formaten in der Lehre durchsetzen?

Wuttke: Vorausschauend macht die VR-Lehre wahrscheinlich am meisten in einem hybriden Setting Sinn: Formate, die von Interaktion leben, passen wunderbar in den virtuellen Raum. Klassische Vorlesungen hingegen profitieren weniger davon. Gleichzeitig sollten wir uns immer vor Augen führen: Technik allein löst keine Probleme. Und da VR und AR noch so neu sind, müssen wir erst noch herausfinden, wie wir sie richtig einsetzen, damit unsere Studierenden bestmöglich davon profitieren.

Weitere Informationen und Links
  • Chiara Marske studiert den Bachelorstudiengang Management & Technology am TUM Campus Heilbronn.
  • Prof. Dr. David Wuttke ist Professor für Supply Chain Management in der TUM School of Management.
  • An der TUM erforschen und testen zahlreiche Professuren Virtual und Augmented Reality sowie weitere digitale Technologien in der Lehre. Die Didaktik-Expertinnen und -Experten von ProLehre beraten und unterstützen die Lehrenden, analysieren neue Erkenntnisse zu digitaler Lehre und erproben sie im „InnovationLab“ mit Pilotprojekten.
  • Am TUM Campus Heilbronn forschen und lehren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Management und Informatik zur digitalen Transformation und zu Familienunternehmen.

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. David Wuttke
Technische Universität München (TUM)
Professur für Supply Chain Management
Tel. +49 7131 264 18 804
david.wuttkespam prevention@tum.de

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