Interview mit Prof. Andrea Winkler und Prof. Paul Lingor zu ihrer Covid-19 Lecture
Neuro- und Post-Covid-Syndrom: Wenn das Nervensystem mitleidet
Welche neurologischen Symptome sind bei einer akuten Corona-Infektion besonders häufig?
Prof. Lingor: Wenn eine Corona-Infektion mit Symptomen verläuft, klagen Patientinnen und Patienten besonders häufig über Kopfschmerzen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, aber auch über die mittlerweile gut bekannten Geruchs- und Geschmacksstörungen. Etwa ein Drittel der Corona-Patientinnen und Patienten leiden unter solchen neurologischen Beschwerden. In deutlich selteneren Fällen können auch Schlaganfälle oder Entzündungen des Gehirns auftreten.
Warum haben manche auch nach Monaten noch solche Beschwerden?
Prof. Lingor: Wir wissen heute, dass das Sars-CoV-2-Virus über verschiedene Eintrittspforten auch in das zentrale Nervensystem gelangen und dort Schäden verursachen kann. In seltenen Fällen kommt es dabei zu Entzündungen des Hirngewebes – einer sogenannten Enzephalitis – oder auch zu Schädigungen an peripheren Nerven. Von solchen Schäden erholt sich unser Nervensystem erst im Verlauf vieler Monate. Allerdings gibt es auch zahlreiche Patientinnen und Patienten, die eine Corona-Infektion ohne eine solch schwere Beteiligung des Nervensystems durchgemacht haben und dennoch über anhaltende Symptome berichten. Hierzu zählen anhaltende Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen, kognitive Einschränkungen, manchmal aber auch Herzrasen oder Schwindel. Die Ursache dieser Beschwerden ist noch weitgehend unverstanden.
Mit welchen Folgen rechnen Sie in Zukunft?
Prof. Winkler: Bei den meisten Patientinnen und Patienten wird eine Corona-Erkrankung wohl nicht zu neurologischen Ausfällen führen. Allerdings wissen wir bereits jetzt, dass einige Genesene langanhaltende Schäden davongetragen haben. Dies sind entweder neurologische Symptome, die während der akuten Covid-19-Erkrankung aufgetreten sind und darüber hinaus anhalten (derzeit „Long-Covid“ genannt), oder solche, die nach einer symptomfreien Phase neu auftreten, auch „Post-Covid“ genannt. Ob hier unterschiedliche Mechanismen der Krankheitsentstehung vorliegen und was letztlich die Ursachen sind, ist im Moment noch nicht geklärt. Sicher ist jedoch, dass uns diese Patientinnen und Patienten auch in Zukunft noch beschäftigen werden. Ob eine Corona-Erkrankung das Risiko erhöht, im späteren Leben eine neurodegenerative Erkrankung, wie zum Beispiel Demenz oder Morbus Parkinson zu entwickeln, können wir aufgrund der heute vorliegenden Daten nicht sicher sagen – dafür ist der Verlauf noch zu kurz.
Livestream „Neuro-Covid und Post-Covid-Syndrom: akute und chronische Auswirkungen auf das Nervensystem“ am 7.7. ab 18.15 Uhr
Parallel zum Livestream auf YouTube besteht die Möglichkeit am Zoom Webinar teilzunehmen.
- Prof. Andrea Winkler ist Fachärztin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der TUM und Co-Direktorin des Center for Global Health an der medizinischen Fakultät der TUM. Sie ist Professorin für Global Health an der Universität Oslo und auch Gründungsdirektorin des dortigen Centre for Global Health. Zudem leitet sie die Global COVID-19 Neuro Research Coalition, eine neurologische Forschungsplattform, die anlässlich der Pandemie gegründet wurde und mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kollaboriert.
- Prof. Paul Lingor ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Er leitet dort die Spezialambulanz für Motoneuron-Erkrankungen sowie die Spezialambulanz für Bewegungsstörungen. Er ist affiliierter Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort München.
- Alle Vorträge der Covid-19 Lectures
- Die Veranstaltung wird moderiert von Prof. Marion Kiechle
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