Erkenntnisse könnten das Verständnis und die Regulierung der Immunantwort verbessern
Was das Schicksal einzelner T-Zellen über das Immunsystem verrät
Die Münchner Forscher fanden heraus, dass die unmittelbare Immunantwort auf eine Infektion oder einen Tumor durch eine relativ kleine Anzahl sogenannter CD8+-T-Zellen ausgelöst wird. Diese wenigen T-Zellen können Antigene erkennen und bilden innerhalb kurzer Zeit große Populationen kurzlebiger T-Zellen, die infizierte Zellen oder Tumorzellen abtöten. Der größte Teil der T-Zell-Klone lebt jedoch in kleineren Populationen und ist auf Langlebigkeit programmiert, damit das Immunsystem sich auch in Zukunft an ein Antigen erinnern kann, falls es erneut auftaucht.
„Bisher ließen sich nur Gruppen von Immunzellen bei der Krankheitsabwehr beobachten“, erläutert Prof. Dirk Busch von der Technischen Universität München (TUM). „Wir haben die Techniken so weiterentwickelt, dass wir jetzt einzelne T-Zellen dabei beobachten können.“ Bei diesem gemeinsamen Projekt nutzten Wissenschaftler aus der theoretischen Systembiologie und Forscher mit klinischem Hintergrund innovative Techniken zur Prozessierung von Zellen. Beteiligt waren die TUM, die Universität Heidelberg, das Helmholtz Zentrum München, das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF).
Schwellenwert für die Vorhersagbarkeit
Theoretisch ist eine einzige T-Zelle in der Lage, eine adaptive Immunantwort auszulösen: Bei weiteren Zellteilungen entwickeln sich aus dieser einzelnen Zelle unterschiedliche und wachsende Populationen von T-Zellen, welche die akute Infektion bekämpfen beziehungsweise als langfristige Gedächtniszellen für die Zukunft fungieren. Eine zentrale Frage zur Funktionsweise des Immunsystems war bislang nicht untersucht worden: Kann sich eine effektive Immunantwort aus einer einzelnen Zelle entwickeln, oder entsteht die Immunantwort aus dem Zusammenwirken mehrerer Zellen? Eine weitere offene Frage war, in welcher Reihenfolge sich kurzlebige Killerzellen und langlebige Gedächtniszellen entwickeln.
Um diese offenen Fragen zu klären, gaben die Forscher speziell markierte T-Zellen in Mäuse und lösten dann eine spezifische Immunantwort aus. Etwa sieben Tage später konnten sie genau bestimmen, wie viele und welche Art von Nachkommen aus diesen einzelnen T-Zellen entstanden waren. Ein biomathematisches Modell, das gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Prof. Thomas Höfer in Heidelberg entwickelt wurde, unterstützte die Analyse der gewonnenen Daten. „Man kann nicht genau vorhersagen, welchen Entwicklungsweg die Nachkommen einer spezifischen T-Killerzelle nehmen werden“, betont der Mediziner Veit Buchholz, Erstautor der Arbeit und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TUM. „Es ist alles eine Frage des Zufalls, quasi so, als ob man ein einziges Mal würfelt. Wir haben herausgefunden, dass mindestens 50 individuelle Zellen erforderlich sind, um eine vorhersagbare Immunantwort zu bekommen.“
Durch die Analyse vieler Großpopulationen kurzlebiger Killerzellen und der im Vergleich dazu relativ kleinen Populationen langlebiger Gedächtniszellen konnten die Wissenschaftler das Entwicklungsprogramm der T-Zellen rekonstruieren und auch ihr Verhalten vorhersagen. Alle Zellen durchlaufen prinzipiell den gleichen Entwicklungsweg, nur kommen sie dabei unterschiedlich weit. Das bedeutet, dass einige wenige Zellen, aus denen sich große Populationen kurzlebiger Zellen zur Infektionsabwehr entwickeln, dieselben Entwicklungsphasen durchlaufen haben wie auch Gedächtniszellen. Die Abwehrzellen haben dieses Entwicklungsstadium jedoch hinter sich gelassen, um eine schnelle Immunantwort und damit Immunschutz bieten zu können.
Über diese Ergebnisse hinaus zeigt die Studie, wie erfolgreich die Kombination biologischer Experimente in vivo und computergesteuerter Modellierungsprozesse in silico sein kann. „Dass unsere Vorhersagen durch diese Experimente im Detail bestätigt wurden, hat unsere Theorie nachhaltig gestützt“, sagt Prof. Höfer, Leiter der Arbeitsgruppe in Heidelberg.
Die Wissenschaftler erläutern, dass diese Beobachtungen für verschiedene Bereiche der medizinischen Forschung eine wichtige Rolle spielen könnten, etwa um die Wirksamkeit der Immuntherapie bei Krebserkrankungen zu verbessern, oder um die Behandlung älterer Patienten zu optimieren, die tendenziell weniger Kopien von spezifischen Immunzellen besitzen. „Eine künftige Gedächtniszelle steht am Beginn eines Expansionsprozesses, der zu zwei ganz unterschiedlichen Differenzierungsformen führen kann“, erklärt Buchholz. „Idealerweise gibt es ein Gleichgewicht zwischen beiden Formen, sodass der Pool an Gedächtniszellen nicht aufgebraucht wird. Diese Erkenntnisse können wir auch zur Optimierung von Impfungen einsetzen, um erst eine Expansion von Zellen zu erlauben und weitere Differenzierungsprozesse nicht zu früh anzustoßen.“
Diese Arbeiten wurden unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) über die Sonderforschungsbereiche SFB TR36 (TP-B10/13, TP-Z1), SFB 1054 (TP-B09) und SFB 914 (TP-B04), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ForSysPartner (Nr. 0315267E), das TUM Institute for Advanced Study, den Europäischen Forschungsrat durch EU-FP7 SYBILLA (Nr. 201106), die Helmholtz-Allianz Immuntherapie von Krebserkrankungen und die National Science Foundation unter der Grant-Nummer NSF PHY11-25915.
Originalpublikation
Disparate individual fates compose robust CD8+ T cell immunity
Veit R. Buchholz, Michael Flossdorf, Inge Hensel, Lorenz Kretschmer, Bianca Weissbrich, Patricia Gräf, Admar Verschoor, Matthias Schiemann, Thomas Höfer, and Dirk H. Busch.
Science 2013, DOI: 10.1126-science.1235454
Kontakt
Prof. Dirk Busch
Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene
Technische Universität München
T: +49 (0)89 4140-4120
E: dirk.busch @mikrobio.med.tum.de
W: http://www.mikrobio.med.tu-muenchen.de
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