• 5.9.2023
  • Lesezeit: 9 Min.

Großer Erfolg für vielversprechende Forschende

Neun ERC Starting Grants gehen 2023 an die TUM

Neun Nachwuchsforschende der TUM erhalten dieses Jahr ERC Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC). Mit dieser finanziellen Förderung unterstützt die EU Wissenschaftler:innen in einem frühen Karrierestadium. Sie haben sich mit bahnbrechenden Forschungsprojekten darum beworben und wurden von hochrangigen Expertengremien ausgewählt. Hinzu kommt ein ERC Proof of Concept Grant.

keimende Pflanzen iStockphoto.com / champpixs
Eine Datenbank, mit der die Vermarktung einheimischen Saatguts durch Kleinbauern vereinfacht wird: ReSeed von Prof. Kochupillai ist eines von neun Projekten, die künftig mit ERC Starting Grants gefördert werden.

TUM-Präsident Prof. Thomas F. Hofmann gratulierte den Preisträgern: „Die ERC Starting Grants sind eine hochrangige, internationale Bestätigung für die wissenschaftliche Qualität der Forschenden. Die TUM ist begeistert, diese besonders vielversprechenden Talente in ihren Reihen zu habe. Und ich freue mich schon sehr auf die Ergebnisse der spannenden und wegweisenden Forschungsprojekte.“

Forscherinnen und Forscher an der TUM konnten bislang insgesamt 198 der renommierten ERC Grants einwerben. Diese werden jedes Jahr in verschiedenen Kategorien vergeben. Starting Grants richten sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Sie sind mit bis zu 1,5 Millionen Euro dotiert. Zusetzlich wird ein weiteres Projekt mit einem  Proof-of-Concept Grant gefördert. Diese werden an Wissenschaftler:innen vergeben, die prüfen wollen, ob aus ihren ERC-Forschungsprojekten marktfähige Innovationen entstehen können.

Prof. Dr. Carina Baer de Oliveira Mann

Zyklische Nukleotide sind als sekundäre Botenstoffe für die Zelle von zentraler Bedeutung. Sie verstärken Signale innerhalb der Zelle und leiten sie an die richtigen Stellen, um etwa Immunantworten auszulösen oder Prozesse wie die Zelldifferenzierung zu regulieren. Zyklisches GMP-AMP (cGAMP) ist bisher das einzige bekannte zyklische Dinukleotid im Menschen. Es gilt als ein vielversprechender Kandidat für die Entwicklung von Medikamenten, zum Beispiel zur Bekämpfung von Krebs oder als unterstützender Inhaltsstoff bei Vakzinen. Prof. Carina Baer de Oliveira Mann und ihr Team erforschen in ihrem Projekt „NTase Products and Cyclic Nucleotide Signalling“ Wege, weitere zyklische Nukleotide zu finden. Dazu entwickeln und testen sie Methoden, um bestimmte Enzyme aus der Familie der Nukleotidyltransferasen (NTasen) zu aktivieren. Diese können unter anderem zyklische Dinukleotide herstellen. Sobald diese aktiviert sind, können die Forschenden in einem nächsten Schritt deren Produkte analysieren und so neue zyklische Nukleotide und deren Signalwege identifizieren.

Carina Baer de Oliveira Mann ist Professorin für Biomolekulare Kryo-Elektronenmikroskopie an der TUM School of Natural Sciences .

Prof. Dr. Laura Classen

Ähnlich wie Wasser können Elektronen in Quantenmaterialien verschiedene Zustände bilden. Die genaue Entstehung und Eigenschaften dieser außergewöhnlichen Materiezustände sind allerdings noch nicht komplett verstanden. So gibt es in vielen Quantenmaterialien ein komplexes Wechselspiel zwischen ungewöhnlichen magnetischen, metallischen und supraleitenden Phasen, das durch konventionelle Vielteilchentheorie nicht erklärt werden kann. In ihrem Projekt “Emergence in quantum materials: from relativistic quantum criticality to non Fermi liquids and superconductivity“, kurz QuantEmerge, untersuchen Prof. Laura Classen und ihr Team diese Phasen mit einer neuen Herangehensweise durch das schrittweise Erweitern minimaler Modelle. Erst wenn die fundamentalen Eigenschaften von Quantenmaterialien verstanden und kontrolliert werden können, ist es möglich, sie für Anwendungen wie etwa dem Quantencomputer einzusetzen.

Laura Classen ist Professorin für die Theorie korrelierter Quantenmaterialien an der TUM und Forschungsgruppenleiterin „Korrelierte Phasen in Quantenmaterialien“ am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung .

Dr. Daniel Keefer

Die Photochemie beschäftigt sich mit Reaktionen, die durch Einwirkung von Licht ermöglicht oder beeinflusst werden. Ein bekanntes Beispiel für solche Reaktionen ist die Photosynthese, sie spielen aber auch in der chemischen Katalyse oder funktionalen Materialien in der Photovoltaik eine wichtige Rolle. Die entscheidenden Prozesse bei diesen Reaktionen laufen in ultrakurzen Zeiträumen ab und konnten bisher noch nicht im Detail aufgeklärt werden. Daniel Keefer und sein Team simulieren im Projekt „Quantum Controlled X-ray Spectroscopy of Elementary Molecular Dynamics“, kurz QuantXS, Methoden, die es ermöglichen sollen, Videos einzelner Molekülbewegungen aufzuzeichnen. Entscheidend hierbei ist ein neuer Ansatz, der auf der kohärenten Quantenkontrolle basiert und es erlaubt, schwer auflösbare spektroskopische Signale mit bisher unerreichter Präzision zu messen. Ziel dabei ist es, die elementaren Schritte photochemischer Reaktionen besser zu verstehen und somit neue Designprinzipien für molekulare Anwendungen in der Photovoltaik, der Photokatalyse und anderen Technologien zu erschließen.

Den ERC-Grant hat Dr. Daniel Keefer gemeinsam mit der TUM eingeworben. Er ist Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Polymerforschung .

Prof. Dr. Mrinalini Kochupillai

Bis vor kurzem schränkte das europäische Recht die Nutzung der landwirtschaftlichen Artenvielfalt in der Landwirtschaft stark ein. In den letzten Jahren hat man jedoch die Bedeutung von einheimischem Saatgut wiederentdeckt. Da es an die regionalen Bedingungen angepasst ist, ist es von Natur aus robuster und widerstandsfähiger gegenüber Schädlingen, Krankheiten und den Auswirkungen des Klimawandels. Seit 2018 erlaubt die Europäische Union die Verwendung im ökologischen Landbau. In einigen Ländern, wie beispielsweise Indien, blieb das in der EU verloren gegangene Wissen über heimisches Saatgut erhalten. Mit dem ERC Starting Grant entwickeln Prof. Mrinalini Kochupillai und ihr Team im Projekt ReSeed einen transparenten, dezentralen und digitalen Marktplatz. Auf dieser Plattform können Kleinbauern ihr Saatgut und wertvolles Know-how mit anderen Landwirt:innen und Forschenden auf der ganzen Welt teilen. ReSeed fördert Anreize für die Wiederbelebung der Vermarktung einheimischen Saatguts durch Kleinbauern. Darüber hinaus wird ReSeed den Kleinbauern sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Vorteile bringen.

Mrinalini Kochupillai ist derzeit Gastprofessorin am TUM Lehrstuhl für Data Science in Earth Observation.

Prof. Dr. Kristen Kozielski

Sie sind winzig und können unsere Nervenzellen durch elektrische Impulse stimulieren. Prof. Kristen Kozielski erforscht, wie Neuroelektroden zur Behandlung von Krankheiten wie Parkinson oder bei Rückenmarksverletzungen eingesetzt werden können. Nanoelektroden greifen in das Nervensystem ein und können so Muskelbewegungen steuern oder das Schmerzempfinden lindern. Bislang kommt die Nervenstimulation nur vereinzelt als Therapie infrage, da die Implantate sehr groß und komplex sind und in einem aufwendigen chirurgischen Verfahren eingesetzt werden. Die von Prof. Kozielski entwickelten Implantate könnten aufgrund ihrer geringen Größe einfacher transplantiert werden, was das Risiko für die Patient:innen minimiert. Die Nanoelektroden benötigen dabei keine Batterie, sondern werden vom umliegenden Gewebe mit Strom versorgt. Diese Technologie könnte zukünftig verwendet werden, um mehr Betroffenen mit Beeinträchtigungen des Gehirns oder des Rückenmarks zu helfen.

Kristen Kozielski ist Professorin für Neuroengineering-Materialien und Leiterin des Elite-Masterprogramms für Neuroengineering.

Dr.-Ing. Christoph Meier

Das Pulverbettbasierte Laserstrahlschmelzen (engl. Laser Powder Bed Fusion, LPBF) gehört zu den wohl vielversprechendsten additiven Fertigungsverfahren für Metalle. Beim LPBF-Verfahren wird Pulverwerkstoff in dünnen (10-200µm) Schichten gleichmäßig auf eine Bauplatte aufgetragen und mit einem gerichteten Laserstrahl selektiv aufgeschmolzen. Dadurch können hochkomplexe Geometrien erzeugt werden, welche mit konventionellen Produktionsverfahren nicht fertigbar sind. Allerdings ist mit diesem noch sehr jungen Verfahren bislang nur eine sehr niedrige Fertigungsrate möglich. Aus diesem Grund ist LPBF bislang nur für individualisierte Produkte und Kleinserien, z.B. patientenspezifische Implantate in der Medizintechnik oder komplexe Multifunktionsbauteile in der Luft- und Raumfahrt, nicht aber für die Massenfertigung geeignet. Christoph Meier arbeitet im Projekt ExcelAM an neuartigen computerbasierten Simulationsmodellen, welche es ermöglichen sollen, die Fertigungsraten in LPBF um mindestens eine Größenordnung zu steigern. Dadurch soll LPBF künftig auch in der Massenfertigung anwendbar sein, z.B. bei der Umsetzung neuartiger umweltfreundlicher Antriebstechnologien in der Automobilindustrie.

Christoph Meier forscht am Lehrstuhl für Numerische Mechanik von Prof. Wolfgang A. Wall .

Dr. Michael Ratz

Im Projekt SpaRC will Dr. Michael Ratz untersuchen, welchen Einfluss das Erbgut auf das Konnektom hat, also die Gesamtheit der neuronalen Verbindungen eines Gehirns. Während diese Verbindungen bislang meist anhand von Elektronenmikroskopie untersucht werden, geht Ratz einen anderen Weg: durch genetisch veränderte Viren kann er jedes Neuron im Gehirn einer Maus mit einem genetischen Barcode versehen. Anhand dessen lässt sich verfolgen, mit wem ein Neuron kommuniziert. Um herauszufinden, welche Gene in den verknüpften Neuronen aktiv sind, will Ratz das Verfahren mit räumlich aufgelöster RNA-Sequenzierung kombinieren. Mit diesem neuen Werkzeug für die neurologische Forschung will Ratz mehr über die Auswirkungen bestimmter genetischer Variationen herausfinden. Sein besonderes Interesse gilt dabei den Grundlagen von Autismus-Spektrum-Störungen.

Dr. Michael Ratz forscht momentan am schwedischen Karolinska Insitutet. An der TUM soll seine Forschungsgruppe am Institut für Zellbiologie des Nervensystems angesiedelt werden.

Prof. Dr. Janina Steinert

Körperliche und sexuelle Gewalt, die Frauen durch einen Partner zugefügt wird, wurde vielfach erforscht. Vernachlässigt hat die Wissenschaft allerdings eine wichtige Dimension der Gewalt in Paarbeziehungen: die ökonomische Gewalt. Dazu gehört, dass Frauen das Recht verweigert wird, an finanziellen Entscheidungen teilzuhaben, dass ihnen das Einkommen entzogen wird oder dass sie daran gehindert werden, eine Beschäftigung zu suchen. Im Projekt „Disentangling and Preventing Economic Violence against Women (ECOVI)” will Prof. Janina Steinert das Ausmaß ökonomischer Gewalt an Frauen ermitteln. Sie wird untersuchen, welche Ursachen dieses Phänomen hat und wie es mit anderen Arten von Gewalt durch Partner zusammenhängt. Darüber hinaus will sie Präventionsmöglichkeiten entwickeln und testen. Das Projekt wird sich beispielhaft auf Indien konzentrieren.

Janina Steinert ist Professorin für Global Health an der Hochschule für Politik München (HfP) an der TUM.

Dr. Golo Storch

Bei vielen Prozessen in der chemischen Industrie spielen Reduktionsreaktionen eine große Rolle. Die Übertragung von Elektronen sorgt dabei dafür, dass ein Ausgangsstoff sich zu einem erwünschten Produkt verändert. Die benötigte hohe Reduktionskraft für diese Verfahren stammt in der organischen Chemie meist aus Metallen wie Natrium, Kalium und Lithium, die aufwändig produziert werden müssen. Im ERC-Projekt “Artificial Catalysts for Endergonic Reduction by Electron Bifurcation”, BifurCAT, greifen Dr. Golo Storch und sein Team auf einen Trick aus der Natur zurück, um solche Reaktionen mit weniger Aufwand zu ermöglichen. Das Vorbild dafür sind Enzyme, in denen die sogenannte Elektronen-Bifurcation, übersetzt Elektronen-Gabelung, stattfindet. An einem Reaktionszentrum des Enzyms werden zwei Elektronen aus einem Molekül auf den Katalysator übertragen. Dann findet der zentrale Schritt statt und die beiden Elektronen werden im Katalysator räumlich getrennt. Dabei wird ein Teil der Energie eines Elektrons auf das andere übertragen - sodass statt zwei Elektronen mit gleichem Energieniveau ein Elektron mit stärkerer und eines mit schwächerer Reduktionskraft entstehen. Diese stärkere Reduktionskraft kann für die gewünschte Reduktion genutzt werden. Sollte es dem Team gelingen, dieses Prinzip erstmals im Labor zu realisieren, könnten Stoffe wie Ascorbinsäure oder Ameisensäure, die in großen Mengen verfügbar sind, als Energieträger für anspruchsvolle Reduktionsreaktionen genutzt werden.

Golo Storch ist Gruppenleiter am Lehrstuhl für Organische Chemie.

Proof of Concept Grant: Prof. Dr. Gil Gregor Westmeyer

Für die Entwicklung neuer Diagnostika und Therapien nutzen Forschende zunehmend Technologien zum Gentransfer, um Zellen genetisch zu verändern. Nach wie vor ist es jedoch eine Herausforderung, genetische Informationen effizient und sicher auf spezifische Zielzellen zu übertragen. Das Projekt inteRNAlizer, geleitet von Prof. Gil Gregor Westmeyer, hat das Ziel, ein neues, effizientes System zu entwickeln, um RNA in Zielzellen einzuschleusen ohne auf den Einsatz von Viren zurückzugreifen, die oft mit biologischen Sicherheitsrisiken verbunden sind. Das modulare System ermöglicht es, Gene in den Zellen gezielt und vorübergehend zu exprimieren. Insbesondere bei der Arbeit mit schwer zu modifizierenden Zelltypen, auch solchen mit therapeutischem Potenzial, soll das System die biomedizinische Forschung weiter voranbringen.

Gil Gregor Westmeyer ist Professor für Neurobiological Engineering und Principal Investigator am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE) .

Weitere Informationen und Links

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