• 15.7.2024
  • Lesezeit: 5 Min.

Welt-Aids-Konferenz: Interview mit dem lokalen Vorsitzenden Prof. Christoph Spinner

„Dem Virus sind Grenzen ganz egal“

Vom 22. bis 26. Juli findet die Welt-Aids-Konferenz (AIDS 2024) in München statt. Fünf Tage lang werden sich Expertinnen und Experten zum Thema HIV austauschen. Lokaler Vorsitzender der Konferenz ist Prof. Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar der TUM. Im Interview spricht der Arzt und Forscher darüber, warum die Konferenz auch nach mehr als 40 Jahren Aids notwendig ist, aber auch über neueste Forschungsergebnisse, die Mut machen.

Prof. Christoph Spinner Falk Heller, Klinikum rechts der Isar der TUM
Prof. Christoph Spinner behandelt Patientinnen und Patienten im interdisziplinären HIV-Zentrum des Klinikums rechts der Isar der TUM und forscht zu HIV-Medikamenten. Er ist lokaler Vorsitzender der Welt-Aids-Konferenz 2024 in München.

Herr Prof. Spinner, die ersten Aids-Fälle wurden Anfang der 1980er Jahre beschrieben. Im Jahr 2024 werden in München mehr als 10.000 Expertinnen und Experten zur mittlerweile 25. Welt-Aids-Konferenz erwartet. Brauchen wir denn eine solche Großveranstaltung noch?

Ja, unbedingt! Deutschland ist in Bezug auf das HI-Virus ein Niedriginzidenzland mit rund 96.400 Betroffenen und etwa 2.200 Neuinfektionen pro Jahr. In anderen Regionen der Welt sieht das ganz anders aus. Besonders betroffen sind viele afrikanische Länder und osteuropäische und asiatische Länder. In Osteuropa und Asien ist die Zahl der Neuinfektionen beispielsweise zwischen 2010 und 2019 um 72 Prozent angestiegen.

Die Situation in Osteuropa wird in mehreren Fachvorträgen auf der Konferenz Thema sein. Wie kommt es zu einer so radikalen Verschlechterung?

Das hat sehr viel damit zu tun, dass Übertragungswege wie Drogengebrauch und Sexarbeit dort immer stärker kriminalisiert werden. Menschen, die einem hohen HIV-Expositionsrisiko ausgesetzt sind oder bereits mit HIV leben, haben keinen Zugang zu geeigneter Information, Prävention und Therapien oder werden schlicht stigmatisiert. So kann sich HIV ungehindert ausbreiten – die Folge sind steigende HIV-Zahlen, wie sie derzeit aus Osteuropa gemeldet werden.

Könnten Medikamente den Betroffenen helfen?

Eine Erkrankung mit HIV ist mittlerweile gut behandelbar und das erworbene Immunschwächesyndrom kann wirksam verhindert werden. Mit modernen Medikamenten haben die Betroffenen eine potenziell normale Lebenserwartung und können das Virus auch nicht mehr weitergeben. Durch internationale Programme sind die Medikamente auch in ressourcenärmeren Ländern verfügbar. Dennoch ist der Zugang zur Therapie auf der Welt teilweise erheblich eingeschränkt und es fehlt vielen Verantwortlichen und Betroffenen an Wissen oder Bewusstsein über HIV und Aids. So kann sich die Krankheit leicht ausbreiten. Dem HI-Virus sind Grenzen und Gesellschaften ganz egal.

Wie lässt sich die Situation verbessern?

Entscheidend ist, dass die politischen Mandatsträgerinnen und -träger erreicht werden. Zum Glück ist die Bedeutung des Themas vielen Politikerinnen und Politikern bewusst – bei der Eröffnungsveranstaltung von AIDS 2024 wird auch Bundeskanzler Olaf Scholz dabei sein. Natürlich gibt es auch in Osteuropa Unterstützer im Kampf gegen HIV und AIDS. Das zeigt das Beispiel Polen. Miłosz Parczewski, Präsident der polnischen Aids-Forschungs-Gesellschaft, ist einer der Hauptredner auf der Aids-Konferenz.

Welche Rolle spielt das Thema Ausgrenzung von Betroffenen für Deutschland?

Auch in Deutschland und vor allem in Bayern war der Umgang mit HIV nicht immer einfach. In den 80er Jahren wurden Menschen mit HIV ausgegrenzt. Einzelne Politiker haben sich gar bemüht, Risikogruppen und Betroffene an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Es brauchte viel politisches Engagement auf Bundesebene, bis sich die Vernunft durchsetzte. Schließlich galt der Kampf der Krankheit und nicht den Betroffenen – mit Aufklärung, Zugang zur Diagnostik und Therapie und wirksamer Prävention.

Also ist mittlerweile alles gut hierzulande?

Die Neuinfektionszahlen in Deutschland konnten erheblich reduziert werden. Zuletzt sind sie aber wieder leicht gestiegen, vor allem bei Drogengebrauchenden und Heterosexuellen. Zeit zum Ausruhen ist noch nicht. Nach wie vor werden Betroffene im Alltag stigmatisiert – von Mitmenschen und teilweise sogar in Arztpraxen. Mein Kollege Prof. Jochen Schneider hat mit der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film gerade einen Kurzfilm gedreht, der auf das Thema aufmerksam machen will.

Wird HIV in absehbarer Zeit heilbar sein?

Es gab in den vergangenen Jahren eine Handvoll Fälle, in denen das Virus bei Infizierten nicht mehr nachweisbar war. Bisher gelang das aber nur durch Stammzelltransplantationen. Dieser Ansatz ist leider nicht skalierbar, weil sehr viele Nebenwirkungen auftreten.

Das klingt ernüchternd. Gib es in anderen Bereichen Entwicklungen, von denen eine größere Zahl an Menschen profitieren könnten?

Durch Prä-Expositions-Prophylaxe, also die vorbeugende Einnahme von antiviralen Medikamenten, gibt es heute für Risikogruppen eine wirksame Präventionsstrategie. Durch die Kombination aus einer solchen Prophylaxe, häufigeren HIV-Tests und universellem Therapiezugang konnten Neuinfektionszahlen vielerorts deutlich gesenkt werden – in London beispielsweise um 80 Prozent in nur zwei Jahren.

Die Prophylaxe-Medikamente sind Tabletten, die man täglich einnimmt?

Genau. Das funktioniert nur zuverlässig, wenn die Wirkstoffe wirklich regelmäßig genommen werden. Studien zeigen leider, dass dies in manchen Regionen, insbesondere in Afrika, schlechter klappt – auch wenn das Risiko sich zu infizieren, sehr hoch ist. Neuerdings gibt es aber Depotpräparate, mit denen keine tägliche Einnahme mehr nötig ist. Aktuelle Studien zeigen sogar bis zu hundert Prozent Schutz vor Neuinfektionen! Das ist vielversprechend. Hierzu wird es im Rahmen der Konferenz AIDS 2024 bahnbrechende Neuigkeiten aus Studien geben.  

Sie behandeln im interdisziplinären HIV Zentrum (IZAR) am Klinikum rechts der Isar selbst Patientinnen und Patienten. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Behandlung verändert?

Ganz allgemein gesagt war Aids früher ein Todesurteil. Das muss es nicht mehr sein. Die moderne antivirale Therapie ist hocheffektiv, erlaubt eine Erholung des Immunsystems – und ist zugleich sehr gut verträglich. In der Regel reicht es heute, eine Tablette einmal täglich einzunehmen. In der Anfangszeit war es oft noch eine Handvoll Tabletten bis zu dreimal täglich – bei deutlich schlechterer Verträglichkeit. Das hat auch unsere Sprechstundenerfahrungen verändert: Neben HIV stehen oft die nicht-infektiösen Komorbiditäten im Vordergrund. Das heißt allgemeine Gesunderhaltung ist mindestens genauso wichtig, wie HIV selbst.

Weitere Informationen und Links
  • Die Welt-Aids-Konferenz findet vom 22.7. bis 26.7. auf dem Münchner Messegelände statt. Vorsitzende der Konferenz ist Prof. Sharon Lewin, Vorsitzende der Welt-Aids-Gesellschaft (IAS). Prof. Christoph Spinner vertritt als Co-Vorsitzender den Standort München, Andriy Klepikov, Geschäftsführer von Alliance for Public Health, einer der größten NGOs in den Themenfeldern HIV und Tuberkulose in der Ukraine, vertritt als dritter Co-Vorsitzender die Region Osteuropa. Den Wettbewerb um die Ausrichtung der Konferenz konnte die Stadt München mit Unterstützung von Forschungseinrichtungen und Fachorganisationen im Februar 2023 für sich entscheiden.
  • Neben der wissenschaftlichen Konferenz gibt es, ebenfalls auf dem Gelände der Messe München das 20. „Global Village“, in dem das Thema Aids in vielen Veranstaltungen für die Öffentlichkeit aufgegriffen wird. Rund um die Konferenz gibt es in München zahlreiche weitere Veranstaltungen zum Thema, beispielsweise ein Benefizkonzert des Münchener Kammerorchester in Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper am Mittwoch, 24. Juli 2024, im Prinzregententheater.

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. Christoph Spinner, MBA
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Klinikum rechts der Isar
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II
IZARspam prevention@mri.tum.de

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