• 26.7.2024
  • Lesezeit: 3 Min.

Studie untersucht Daten von mehr als 1.500 Betroffenen mit seltenen Erkrankungen

34 neue genetische Erkrankungen identifiziert

Unterstützt durch Künstliche Intelligenz (KI) hat ein Forschungskonsortium die genetischen Hintergründe zahlreicher seltener Erkrankungen aufgeklärt. Bei knapp 500 Patientinnen und Patienten ist es gelungen, die genetische Ursache der Erkrankung zu identifizieren. Bei 34 Betroffenen wurden sogar bislang unbekannte Erkrankungen identifiziert.

Eine Zentrifuge in einem Labor Juli Eberle / TUM
Bei 499 Patientinnen und Patienten, davon 425 Kinder, konnte eine genetische Ursache der seltenen Erkrankung festgestellt werden. Insgesamt fanden die Forschenden Veränderungen in 370 verschiedenen Genen.

Seltene Krankheiten erfordern für die optimale Betreuung sowohl multidisziplinäres klinisches Fachwissen als auch eine umfassende genetische Diagnostik. Um die Versorgung Betroffener mittels moderner Diagnosekonzepte zu verbessern, begann Ende 2017 das dreijährige Innovationsfonds-Projekt TRANSLATE NAMSE. Die Forschenden von 16 Unikliniken setzten bei ihren Untersuchungen auf Exom-Sequenzierung (ES), ein Verfahren, das alle Abschnitte unserer DNA kodiert. 

Untersucht wurden die ES-Daten von 1.577 Patientinnen und Patienten, davon 1.309 Kinder, die im Rahmen von TRANSLATE NAMSE an Zentren für Seltene Erkrankungen vorgestellt wurden. Ziel des Projektes war es, mittels innovativer Untersuchungsmethoden bei möglichst vielen Patientinnen und Patienten eine Erkrankungsursache zu finden.  

Veränderungen in 370 Genen entdeckt

Bei 499 Patientinnen und Patienten, davon 425 Kinder, konnte eine genetische Ursache der seltenen Erkrankung festgestellt werden. Insgesamt fanden die Forschenden Veränderungen in 370 verschiedenen Genen. „Besonders stolz sind wir auf die Entdeckung von 34 neuen molekularen Erkrankungen, die ein schönes Beispiel für die wissensgenerierende Krankenversorgung an Unikliniken sind“, sagt Dr. Theresa Brunet vom Institut für Humangenetik des Klinikums rechts der Isar der TUM, eine der Erstautorinnen und -autoren. 

“Die Betroffenen, für die wir bisher keine Diagnose finden konnten, werden wir im Rahmen des Modellvorhabens GenomSequenzierung, kurz MVGenomSeq, untersuchen”, sagt Dr. Tobias Haack, Stellvertretender Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik am Universitätsklinikum Tübingen. Das MVGenomSeq baut auf den Erfolgen des TRANSLATE NAMSE Projektes auf und ermöglicht deutschlandweit die Analyse klinischer Genome an Unikliniken. Ungelöste Fälle können außerdem in Folgestudien mittels neuer Methoden, wie der sogenannten long-read Sequenzierung, die eine Analyse von viel längeren DNA-Fragmenten erlaubt, untersucht werden. „Die long-read-Sequenzierung ermöglicht es uns, schwer erkennbare genetische Veränderungen zu finden und wir gehen davon aus, dass wir mit diesem Verfahren weitere Diagnosen stellen können“, sagt Dr. Nadja Ehmke, Leiterin der Genomdiagnostik am Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité und eine der Letztautorinnen und -autoren. 

Standardisierte Abläufe etabliert

Im Rahmen des TRANSLATE-NAMSE-Projektes wurden auch standardisierte Abläufe zur erweiterten genetischen Diagnostik bei Verdacht auf seltene Erkrankungen etabliert, die auf interdisziplinären Fallkonferenzen beruhen. Diese wurden nach Projektabschluss in die Regelversorgung übernommen. “Die interdisziplinären Fallkonferenzen spielen für Betroffene eine wichtige Rolle. Dadurch wird eine umfassende klinische Charakterisierung ermöglicht, die für die Phänotyp-basierte Auswertung der genetischen Daten relevant ist. Darüber hinaus können so die nachgewiesenen Varianten im Kontext der Fragestellung interdisziplinär diskutiert werden”, sagt Dr. Magdalena Danyel, ebenfalls Erstautorin, die als Fachärztin des Instituts für Medizinische Genetik und Humangenetik und Fellow des Clinician Scientist Programm des Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité – Universitätsmedizin arbeitet.

KI erkennt seltene Erkrankungen am Gesicht

Des Weiteren gingen die Forschenden der Frage nach, ob der ergänzende Einsatz von Werkzeugen des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz (KI) die diagnostische Effektivität und Effizienz verbessert. Hierzu wurde die Software „GestaltMatcher“, die mittels computergestützter Gesichtsanalyse die anwendende Person bei der Diagnosestellung Seltener Erkrankungen unterstützt, erstmals in der Breite ausgetestet. In der Studie wurden die Sequenz- und Bilddaten von 224 Personen genutzt, die auch der computergestützten Analyse ihrer Gesichtsbilder zugestimmt hatten, und es konnte gezeigt werden, dass die KI-gestützte Technik einen klinischen Nutzen erbringt.

„GestaltMatcher ist wie eine Expertenmeinung, die wir jeder ärztlich tätigen Person in Sekundenschnelle zur Verfügung stellen können. Der frühe Zeitpunkt der Diagnosestellung ist für die Betroffenen seltener Erkrankungen und deren Familien von essenzieller Bedeutung. Ein unterstützender Einsatz der Software durch Kinderärztinnen und -ärzten könnte bereits bei Auffälligkeiten während der Kindervorsorgeuntersuchungen U7 mit 21 bis 24 Monaten oder U7a mit 34 bis 36 Monaten sinnvoll sein“, sagt Korrespondenzautor Prof. Peter Krawitz, Direktor des Instituts für Genomische Statistik und Bioinformatik (IGSB) am Universitätsklinikum Bonn (UKB), an dem die KI GestaltMatcher entwickelt wird. Die Software und App kann durch die gemeinnützige Arbeitsgemeinschaft für Gen-Diagnostik e.V. (AGD) allen Ärztinnen und Ärzten bereitgestellt werden. 

Publikationen
Weitere Informationen und Links
  • Neben dem Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) waren Charité-Universitätsmedizin Berlin, Universitätsklinikum Bonn (UKB) und Universität Bonn, Universitätsklinikum Düsseldorf, Ruhr Universität Bochum, Universitätsklinikum Dresden, Universitätsklinikum Essen, Universitätsklinikum Halle, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Universitätsklinikum Heidelberg, Universitätsklinikum Schleswig Holstein, LMU Klinikum München, Uniklinik RWTH Aachen, Universitätsklinikum Leipzig, Universitätsklinikum Tübingen und Stellenbosch University, Kapstadt, Südafrika beteiligt. 

  • Die Studie wurde durch den Innovationsfonds gefördert.

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Dr. Matias Wagner
Klinikum rechts der Isar
der Technischen Universität München
Institut für Humangenetik
Tel. +49 4140 6381
matias.wagnerspam prevention@mri.tum.de 

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