Studie zeigt große Bedeutung des Gefühls für Zahlen
Grundschüler lernen Rechnen durch Schätzen
Der Mathematikunterricht ist zu Beginn der Grundschule in erster Linie darauf ausgerichtet, Ergebnisse für Aufgaben wie 4+6 zu ermitteln. „In der Mathematikdidaktik steht meist das richtige Ergebnis im Mittelpunkt“, sagt Dr. Andreas Obersteiner vom Heinz Nixdorf-Stiftungslehrstuhl für Didaktik der Mathematik. „Eine gute Zahlenvorstellung hat aber nur, wer Größenordnungen auch ohne exakte Berechnung einordnen kann.“ Dass etwa die Differenz von 85 zu 100 geringer ist als die zu 25, ist ohne nachzurechnen nur für diejenigen Kinder selbstverständlich, die eine solche Vorstellung entwickelt haben. Diese Vorstellung hilft wiederum dabei, Strategien für das exakte Rechnen zu entwickeln – etwa dass es leichter sein kann, statt +19 im Kopf +20-1 zu rechnen. Frühere Studien haben ergeben, dass ein wesentlicher Teil der Dritt- und Viertklässler in diesem Bereich große Defizite hat.
Schon Säuglinge können Mengen unterscheiden
Neuropsychologen gehen davon aus, dass die Fähigkeit Zahlen zu schätzen schon bei der Geburt angelegt ist, weil Säuglinge bereits gewisse Mengen unterscheiden können. „Die Frage ist deshalb, ob nicht die Förderung dieses Zahlgefühls die Basis des Mathematikunterrichts sein sollte“, sagt Obersteiner. Die Bildungswissenschaftler der TUM haben nun 200 Erstklässler mehrerer Schulen vier bis fünf Wochen lang unter die Lupe genommen. Mit einem Computerlernprogramm übte eine zufällig gebildete Gruppe zusätzlich zum üblichen Unterricht den sogenannten approximativen Umgang mit Zahlen, also Überschlagsrechnen, Schätzen und Zahlenvergleiche. Eine zweite Gruppe übte das exakte Rechnen. Vor und nach der Förderperiode testeten die Wissenschaftler die Kompetenz der Schüler im Umgang mit Zahlen. Die Kinder mussten etwa fehlende Stellen in einem Zahlenstrahl ersetzen, aber auch Rechenaufgaben mit exakten Ergebnissen lösen. Zu ihrer Überraschung stellten die Didaktiker fest: Beide Gruppen hatten einen gleich großen Lernfortschritt erzielt.
„Diese Erkenntnis untermauert die These, dass das Gefühl für Größenordnungen fundamental für das mathematische Verständnis ist“, sagt Projektleiterin Prof. Kristina Reiss. „Die Kinder lernen gewissermaßen Rechnen, indem sie Schätzen üben. Wir sollten deshalb den approximativen Umgang mit Zahlen in der Grundschule gezielt fördern, statt darauf zu setzen, dass sich ein Zahlgefühl beim exakten Rechnen von selbst einstellt.“
Das Projekt „MenZa – Mentale Repräsentation von Zahlen und arithmetische Kompetenz im frühen Grundschulalter“ wird vom Rahmenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Förderung der empirischen Bildungsforschung im Schwerpunktbereich „Empirische Fundierung der Fachdidaktiken“ gefördert.
Ansprechpartner:
Dr. Andreas Obersteiner
Technische Universität München
Heinz Nixdorf-Stiftungslehrstuhl für Didaktik der Mathematik
Telefon: 089 289 25396
E-Mail: andreas.obersteiner@tum.de
Weiterführende Informationen:
Projekt „MenZa“:
http://www.ma.edu.tum.de/forschung/menza/