• 3.5.2022
  • Lesezeit: 3 Min.

Beschäftigte mit AR-Brillen arbeiten schneller, verinnerlichen aber weniger

Augmented Reality kann Optimierung der Produktion hemmen

Beschäftigte in der Industrie können deutlich schneller produzieren, wenn sie über Augmented-Reality-Brillen angeleitet werden. Allerdings verinnerlichen sie ihre Aufgaben weniger als Arbeiterinnen und Arbeiter, die analog eingearbeitet werden. Entsprechend können sie weniger zur Verbesserung der Produktionsprozesse beitragen, zeigt eine internationale Studie. Die Erkenntnisse können Unternehmen helfen, Augmented-Reality-Anwendungen auf ihre Bedürfnisse zuzuschneiden sowie zwischen Produktivität und Prozessoptimierung abzuwägen.

Fotoatelier M
Prof. David Wuttke forscht am TUM Campus Heilbronn zu digitalen Innovationen entlang der Lieferketten.

Immer mehr Unternehmen setzen in der Produktion auf Augmented Reality (AR), weil sie sich eine höhere Produktivität und die Verbesserung von Produktionsabläufen erhoffen. Augmented Reality kombiniert die reale Wirklichkeit mit einer computergenerierten. AR-Brillen leiten die Beschäftigten zum Beispiel beim Zusammenbau eines Elektrogeräts sukzessive an, indem die Brille die Einzelteile erkennt und den nächsten Montageschritt anzeigt. Bislang war jedoch wenig darüber bekannt, ob sich die Investition der Unternehmen in AR-Geräte lohnt und welche Stärken und Schwächen die Technologie im Bereich der Produktion hat.

Um diese Lücke zu schließen, hat ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM), der University of Wisconsin-Madison und des Mainzer Zentrums für psychische Gesundheit im Alter mit Feldversuchen in einem Technologieunternehmen untersucht, wie schnell Beschäftigte neue Aufgaben mit und ohne AR-Unterstützung ausführen, ob die Komplexität der Aufgaben dabei eine Rolle spielt und wie der AR-Einsatz die Fähigkeit der Nutzerinnen und Nutzer beeinflusst, Prozessoptimierungen vorzuschlagen. 50 Probanden und Probandinnen wurden in zwei neue, unterschiedlich schwierige Aufgaben bei der Produktion von Elektronikgeräten eingewiesen. Die Hälfte erhielt die Anleitung auf Papier, die andere Gruppe über eine AR-Brille. Anschließend mussten beide Gruppen die Aufgaben zuerst mit und dann ohne Anleitung bewältigen. In einem zweiten Schritt waren alle Teilnehmenden aufgefordert, Verbesserungsvorschläge zu machen, um die Produktionsprozesse zu optimieren. Anschließend wurden diese Vorschläge von Experten des Unternehmens bewertet.

Produktivität kann deutlich erhöht werden

Die Studie zeigt, dass die Produktivität in der produzierenden Industrie durch den Einsatz von Augmented Reality deutlich erhöht werden kann. Beschäftigte, die die schwierige Aufgabe mit AR-Brillen meisterten, benötigten dafür im Vergleich zur Kontrollgruppe fast 44 Prozent weniger Zeit. Bei der einfachen Aufgabe betrug der Zeitunterschied immer noch gut 15 Prozent. Allerdings zeigte sich auch, dass die Probanden und Probandinnen der AR-Gruppe die Aufgabe offenbar weniger durchdrungen hatten als ihre analog angeleiteten Kolleginnen und Kollegen. Bei der Wiederholung der komplexen Aufgabe ohne Hilfsmittel waren sie langsamer und brauchten 23 Prozent mehr Zeit als die andere Gruppe.

„Wer sich zu sehr auf die Technik verlässt, verarbeitet die Informationen nicht so tiefgreifend und erzielt geringere Lerneffekte“, sagt Studienleiter David Wuttke, Professor für Supply Chain Management an der TUM. „Das ist bei Augmented-Reality-Geräten ganz ähnlich wie bei Navigationsgeräten im Auto. Wer mit Navi durch eine fremde Stadt fährt, kann sich dort ohne dieses Gerät beim nächsten Mal kaum orientieren.“

Weniger Vorteile für Firmen, die auf Weiterentwicklung setzen

Der zweite Teil der Analyse zeigt, dass sich der Einsatz von Augmented-Reality-Brillen entsprechend negativ auf das Innovationspotenzial auswirkt. Die Beschäftigten, die mit Papieranleitungen produzierten, machten anschließend deutlich hilfreichere Verbesserungsvorschläge als die AR-Gruppe. „Die Ergebnisse legen nahe, dass das Augmented-Reality-Gerät als Krücke diente, aber bei den Menschen zu keinem tieferen Verständnis der Aufgabe führte und sie infolgedessen auch wenig zur Prozessoptimierung beitragen konnten“, sagt Wuttke.

Den größten Nutzen aus der Augmented-Reality-Technologie, so schlussfolgern die Forschenden, ziehen derzeit Branchen mit einer hohen Taktfrequenz in der Produktion, in der die Prozessoptimierung abgeschlossen ist oder keine große Rolle spielt. Firmen, die auf eine ständige Weiterentwicklung ihrer Produkte setzen, profitieren dagegen weniger von AR. „Für diese Branchen könnten eine hybride Form oder eine intelligente Gestaltung der Augmented Reality die Lösung sein“, sagt David Wuttke. „Beispielsweise könnten die Anwendungen so programmiert werden, dass sie gezielte Fragen stellen – oder dass die Anleitungen sogar absichtlich unperfekt sind, um zum Nachdenken anzuregen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass ein Teil der Beschäftigten mit AR-Brillen für eine hohe Produktivität sorgt, während ein anderer Teil analog angeleitet produziert und so weiter an besseren Produktionsabläufen arbeitet.“ Wie diese Ansätze tatsächlich in der Produktion funktionieren, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter erforschen. Wuttke betont: „Augmented Reality kann Unternehmen enorm voranbringen – wenn man weiß, was man mit der Technologie bewirkt.“

Publikationen

David Wuttke, Ankit Upadhyay, Enno Siemsen, Alexandra Wuttke-Linnemann: Seeing the Bigger Picture? Ramping up Production with the Use of Augmented Reality. Manufacturing & Service Operations Management 2022.

Weitere Informationen und Links

Das Team von Prof. David Wuttke forscht am Center for Digital Transformation auf dem TUM Campus Heilbronn.

Technische Universität München

Corporate Communications Center

Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. David Wuttke
Technische Universität München (TUM)
Professur für Supply Chain Management
Tel.: +49 7131 264 18 804
david.wuttkespam prevention@tum.de

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