Präsident Prof. Thomas F. Hofmann im Interview
„Gemeinsam am Puls der Zukunft“
Herr Prof. Hofmann, vor einem Jahr haben Sie das Amt des Präsidenten übernommen. Wie war das für Sie?
Gerne erinnere ich mich an die gelungene Festveranstaltung der Amtsübergabe, bei der ich von Prof. Wolfgang A. Herrmann das Steuer der TUM übernommen habe. Neugierige Studierende, engagierte Mitglieder, tatkräftige Unterstützer und Mäzene der TUM, und zahlreiche Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft haben mir eine glückliche Hand und „unserer TUM“ eine blühende Zukunft gewünscht. Es gab mir ein gutes Gefühl zu wissen, dass mir bei dieser herausfordernden Aufgabe viele Menschen mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Wie würden Sie Ihr erstes Jahr als Präsident beschreiben?
Spannend, intensiv und mit Überraschungen versehen, wie sie zum Beispiel die Corona-Pandemie mit sich brachte. Und dieses erste Jahr war geprägt vom Austausch mit den Mitgliedern unserer TUM-Familie. Diese Menschen sind die DNA unserer Universität. Als Präsident ist es mir deshalb wichtig, ihnen zuzuhören und Wertschätzung entgegenzubringen. Von ihnen zu erfahren, was sie bewegt, was sie antreibt und was ihre Ziele sind. Dies hilft mir, meinen eigenen Horizont zu erweitern. Und auch die Mitglieder unserer Universitätsgemeinschaft darin zu unterstützen, Scheuklappen abzulegen, kreativ zu handeln und interessanten Entfaltungsmöglichkeiten nachzugehen.
„Fortschritt entspringt dem offenen Austausch von Ideen, Wissen, Arbeitsweisen und Erfahrungen, über fachliche oder institutionelle Grenzen hinweg.”
Kernpunkt Ihrer Antrittsrede war Ihre Vision von der Universität als „globalem Tauschplatz des Wissens“. Wie hat sich dieser Tauschplatz im letzten Jahr entwickelt?
Ich bin überzeugt: Fortschritt entspringt dem offenen Austausch von Ideen, Wissen, Arbeitsweisen und Erfahrungen, über fachliche oder institutionelle Grenzen hinweg. Deshalb wollen wir die TUM zu einem Ort weiterentwickeln, an dem sich Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit unseren Studierenden, Wissenschaftstalenten, Alumnae und Alumni intensiv austauschen können. Ich sehe die TUM als einen Ort, der Menschen mit ihren individuellen Begabungen zusammenführt und sie inspiriert. Menschen, die sich gegenseitig fördern und die sich dem Ziel verschrieben haben, innovative Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu entwickeln, etwa für die Folgen des Klimawandels. Ich würde das Leitmotiv unserer neuen Initiative „TUM.The Open University“ so zusammenfassen: Gemeinsam am Puls der Zukunft. Alumnae und Alumni unserer Universität können als lebenslang Studierende immer wieder an ihre Alma Mater zurückkommen, um ihr Kompetenzprofil aufzufrischen und zu erweitern. So können sie sich vor dem Hintergrund sich wandelnder Arbeitsmärkte fortbilden und beruflich wettbewerbsfähig bleiben.
Haben Sie ein Beispiel für ein konkretes Format, das diese Form von Wissensaustausch ermöglicht?
Wir haben unsere internen Weiterentwicklungsprogramme für unsere Mitarbeitenden mit allen unseren Fortbildungsangeboten unter dem Dach des neuen TUM Institute for LifeLong Learning (TUM IL3) gebündelt und damit begonnen, Kompetenzen aus Wissenschaft, Technologie, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in einzigartiger Weise zu verknüpfen. Ein weiteres Beispiel ist der im März dieses Jahres eingerichtete TUM THINK TANK: Damit wollen wir in Post-Corona- Zeiten neue Impulse in der prospektiven Forschung, effektiven Netzwerkbildung, modernen Politikberatung und einer zukunftsorientierten Governance für eine resiliente Wirtschaft und Gesellschaft setzen.
Sie haben den Klimawandel angesprochen. Wo steht die TUM im Bereich Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist eines unserer zentralen Leitthemen. Wir verfügen über führende Forschungs- und Lehraktivitäten in den modernen Agrar- und Pflanzenwissenschaften am Campus Weihenstephan, der Bioökonomie und der Biotechnologien am Campus Straubing, der Energie-, Mobilitäts- und Klima-Forschung am Campus Garching. Am Münchner Stammgelände erforschen wir innovative Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung unseres Planeten. Seit dem letzten Jahr zeichnen wir mit dem „TUM Sustainability Award“ vorbildliche Wissenschaftstalente aus, deren umweltschonende und ökonomisch interessante Technologieinnovationen einen Beitrag zu ökologischen Transformationen leisten.
Wie nachhaltig ist die Organisation der TUM selbst?
Wir müssen Nachhaltigkeit stärker in unsere eigene Organisations- und Campusentwicklung integrieren. Deshalb haben wir mit dem TUM Sustainability Office den Themenkomplex Nachhaltigkeit nun erstmals auf hochschulzentraler Ebene verankert. Zum Beispiel wollen wir unseren Status quo bei der Emission von Treibhausgasen oder beim Gesamtenergieverbrauch selbstkritisch reflektieren. Wir wollen Handlungsbedarfe aufzeigen und durch konkrete Projekte und Maßnahmen die Entwicklung unserer TUM nachhaltiger gestalten.
Sie sind mit der Aufgabe angetreten, das Zukunftskonzept umzusetzen, mit dem die TUM 2019 zum dritten Mal als Exzellenzuniversität erfolgreich war. Was war bisher die wichtigste Etappe?
Ein Kernelement der TUM Agenda 2030 ist sicherlich die Umstellung der historisch gewachsenen Fakultätsstruktur auf eine innovationsfördernde School-Struktur. Damit etablieren wir ein System, mit dem es uns besser gelingt, Forschende und Lehrende über Fächergrenzen hinweg in dynamischen Kooperationsverbünden zusammenzubringen. Die Schools beschreiben über Departments das Gesamtportfolio der großen Wissenschaftsdomänen. Sie dienen der Identitätsbildung und Kalibrierung innerhalb der internationalen fachwissenschaftlichen Gemeinschaften. An den Schnittstellen der Schools adressieren Integrative Research Centers systemweite Herausforderungen und weitreichende Zukunftsfragen mit transdisziplinären Forschungs- und Lehransätzen. In einer School bauen wir beispielsweise die technikorientierten Geistes- und Sozial- sowie die Bildungswissenschaften aus. Damit ermöglichen wir diesen Forschungsdomänen die eigene Profilbildung im Fach. Gleichzeitig geben wir ihnen hinreichende Schnittstellen in die Natur-, Ingenieur-, Lebens- und Wirtschaftswissenschaften sowie in die Medizin. Sie sind damit in den gesamtstrategischen Kontext an der TUM eingebunden – ganz im Sinne unseres Leitmotivs des „Human-Centered Engineering“. Dieser integrative Ansatz greift die großen Herausforderungen unserer Zeit disziplinär fundiert auf. Dabei ist er aber interdisziplinär so flexibel, dass ökonomische, ökologische, gestalterischfunktionale, gesellschaftliche und politische Implikationen berücksichtigt werden. Zum ersten Oktober hat unsere erste School volle Fahrt aufgenommen: Die neue TUM SCHOOL OF LIFE SCIENCES.
Wie wird es mit den anderen Schools weitergehen?
Die nächsten Schools bereiten wir gerade gemeinsam mit den Mitgliedern der Fakultäten vor. Im Oktober ist die TUM SCHOOL OF ENGINEERING AND DESIGN in die Gründungsphase eingetreten, um die Fakultäten Maschinenwesen, Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie, Bau Geo Umwelt und Architektur sowie den Bereich Power Engineering Elektrotechnik und Informationstechnik zusammenzuführen. In einem Jahr wird die neue School dann voll funktionsfähig sein und die Fakultäten ablösen. Auch die TUM SCHOOL OF COMPUTATION, INFORMATION AND TECHNOLOGY ist in Vorbereitung. Sie wird im kommenden Jahr in die Gründungsphase eintreten. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen, mich mit den Dekaninnen und Dekanen auszutauschen und dass auch die unterschiedlichen Personalgruppen der Universität an Round Tables mit uns zusammensitzen und sich in die Gestaltung einbringen. Denn diese Veränderung können wir nur gemeinsam erfolgreich umsetzen. Und bislang habe ich alle Beteiligten als sehr engagiert und zielorientiert erlebt. Soweit heute absehbar, wollen wir den Transformationsprozess in drei Jahren erfolgreich beendet haben.
„Ein Kernelement der TUM Agenda 2030 ist sicherlich die Umstellung der historisch gewachsenen Fakultätsstruktur auf eine innovationsfördernde School-Struktur.”
Über Fachgrenzen hinweg wird auch in den neuen TUM Innovation Networks geforscht werden …
… damit fördern wir ganz gezielt den Pioniergeist und die kollektive Kreativität von transdisziplinären Wissenschaftsteams, die neue Forschungsansätze auf wichtigen Innovationsfeldern verfolgen wollen. Mit den TUM Innovation Networks nutzen wir die Chance, neue wissenschaftliche Interaktivitäten zwischen den Schools zu erproben. Wir wollen mit den TUM Innovation Networks risikoreiche aber vielversprechende Forschungsthemen aufgreifen, die heute noch in den Kinderschuhen stecken. Diese entwickeln wir, bis sie eine kritische Masse erreichen und damit eine Basis legen für neue Verbundprojekte wie Exzellenzcluster oder Sonderforschungsbereiche. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten sich bis September mit Projektvorschlägen bewerben, aus denen wir nun die besten auswählen. Die ersten beiden, für jeweils vier Jahre geförderten TUM Innovation Networks werden im Januar 2021 ihre Forschungsarbeiten beginnen.
Welche Etappenziele haben wir darüber hinaus erreicht?
Mit der ONE MUNICH-Strategie haben wir einen Strategiebildungsprozess in Gang gesetzt, um konsequenter Interaktionspotenziale auf Zukunftsfeldern zwischen den Münchner Wissenschaftseinrichtungen zu erschließen. Damit werden wir die Zusammenarbeit auf ein neues Niveau heben. Denn die Leistungsschau wird künftig nicht mehr unter einzelnen Universitäten, sondern zwischen Standorten und regionalen Innovationsökosystemen stattfinden. Im Wettbewerb mit der Ludwig- Maximilians-Universität haben wir uns über Jahre hinweg gegenseitig zu Höchstleistungen angespornt. Das war und bleibt unser Antrieb. Aber unsere gemeinsame Strategie heißt jetzt, die Chancen der Zusammenarbeit effizienter zu nutzen. Das Staatsministerium unterstützt die ONE MUNICH-Strategie mit bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr. So sollen über Institutionen hinweg Innovationsschwerpunkte aufgebaut werden, die das Potenzial haben, sich zu neuen Exzellenzclustern weiterzuentwickeln.
Wie sieht es mit internationalen Partnerschaften aus?
Wir haben zum Beispiel auch unsere Flagship-Partnerschaft mit dem Imperial College London scharf gestellt: In der neuen Joint Academy of Doctoral Studies starten wir gerade sechs gemeinsame Forschungsprojekte rund um den Themenkomplex Healthcare – AI – Robotics. Damit verbinden wir die Stärken von Imperial und TUM zu einer internationalen Wirkungskraft, die weit über die der einzelnen Universitäten hinausgeht.
Bevor Sie Präsident der TUM wurden, waren Sie zehn Jahre lang Vizepräsident für Forschung und Innovation. In dieser Zeit ist die TUM zur gründungsfreundlichsten Universität Deutschlands geworden. Wie lässt sich das überhaupt noch ausbauen?
Heute entstehen an der TUM jedes Jahr 70 bis 80 Start-ups. Ich glaube, wir haben das Potenzial, diese Zahl nochmal um den Faktor zehn zu steigern. Damit können wir uns im unterstützenden Umfeld der Metropolregion München zum führenden Sprungbrett für Startups in Europa entwickeln. Gemeinsam mit unserem An-Institut UnternehmerTUM, dem Zentrum für Gründung und Innovation an der TUM, werden wir uns künftig nicht mehr nur auf die Förderung einzelner technologiebasierter Start-ups konzentrieren. Wir schaffen ein Netzwerk an TUM Venture Labs, die sich jeweils auf ein themengebundenes Innovationsfeld konzentrieren. Zum Beispiel die Gesundheitsforschung, Quantenforschung, Software-Engineering, Künstliche Intelligenz, Robotik, oder Lebensmittel- und Agrarforschung. Die TUM Venture Labs sollen ganze Familien von Deeptech-Start-ups hervorbringen, die sich gegenseitig befruchten, unternehmerischen Nachwuchs inspirieren und sich wirksamen Zugang zu internationalen Märkten eröffnen. Etwa durch unsere Netzwerke mit globalen Unternehmen im Rahmen der TUM Partners of Excellence und der „Industry on Campus“-Partnerschaften. Die TUM Venture Labs bieten Start-ups die erforderlichen Entwicklungsumgebungen, von der technischen und sozialen Infrastruktur über die Entrepreneurship- Fortbildung bis hin zur Unterstützung durch Unternehmens- und Investorennetzwerke.
Welches Ziel verfolgen Sie noch mit den „Industry on Campus“-Partnerschaften?
Die klassische Vorstellung von Technologietransfer ist, dass Hochschulen Forschungsergebnisse produzieren und Unternehmen diese verwerten. Das ist längst überholt. Um im neuen Jahrzehnt erfolgreich zu sein, bedarf es einer gemeinsamen Innovationskultur und einer gelebten Symbiose von Universitäten, Wirtschaft und Gesellschaft. Dafür braucht es eine längerfristige, strategische und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Universität und Unternehmen. Diese ist gemeinsames Ziel unserer „Industry on Campus“-Strategie. Dazu haben wir bereits mehrere solcher langjährigen Partnerschaften abgeschlossen: Die DRÄXLMAIER Group, GE Additive und SAP SE sind bereits auf dem Campus Garching angesiedelt, Siemens und Oerlikon folgen in Kürze. Dabei profitieren wir von der ständigen Wechselwirkung mit den komplexen Herausforderungen und Fragestellungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Durch die Zusammenarbeit mit externen Praxispartnern entwickeln wir uns in Forschung und Lehre zukunftsorientiert fort. Und unsere Studierenden lernen neue praktische Zusammenhänge zu verstehen, können ihr Wissen wertgebend anwenden und vertiefen, während Unternehmen von den jungen Talenten und deren Kreativität profitieren und sich dadurch für den internationalen Wettbewerb stärken. Auch das ist Teil meiner Vorstellung von „Life Long Learning“.
„Um im neuen Jahrzehnt erfolgreich zu sein, bedarf es einer gemeinsamen Innovationskultur und einer gelebten Symbiose von Universitäten, Wirtschaft und Gesellschaft.”
Was macht die SAP SE als Partner für die TUM interessant?
Die neuste Partnerschaft mit SAP wird durch einen Neubau auf dem Campus Garching verankert. Insgesamt 700 Mitarbeitende von SAP und TUM werden darin gemeinsam unter einem Dach Zukunftsthemen erforschen: KI, Cloudcomputing, Robotik, Internet der Dinge. Mit dem Neubau für die Elektrotechnik und Informationstechnik, dem neuen TUM Zentrum für Quantentechnik, dem Munich Data Science Institute und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit entsteht damit in Garching ein führendes Innovationskraftfeld für die digitale Transformation.
Von Anfang an war es Ihnen ein Anliegen, sich persönlich intensiv mit den Studierenden auszutauschen ...
… denn die TUM wäre nichts ohne ihre neugierigen und weltoffenen Studierenden; sie definieren den Puls der Universität und gestalten unsere Zukunft. Deshalb halte ich es für wichtig, dass sich Lehrende und Studierende austauschen und miteinander kommunizieren. Eine gelebte Kultur der Wertschätzung und des offenen Meinungs- und Ideenaustauschs mit der jungen Generation ist enorm wichtig. Damit wir uns unkompliziert und direkt mit den Studierenden austauschen können, haben wir neue Formate geschaffen. Zum Beispiel den TUM Presidential Student Lunch. In diesem Rahmen habe ich mich im Juli erstmals mit Studierenden der Fakultäten Architektur, Bau Geo Umwelt und Elektrotechnik beim Mittagessen ausgetauscht. Das war für mich wirklich bereichernd. Schon nach wenigen Minuten hat sich eine sehr offene Diskussion entwickelt. Dabei haben mich die gedankliche Frische und die innovativen Ideen der Studierenden begeistert. Sie haben mir gezeigt, dass wir die Impulskraft, die von der jungen Generation ausgeht, stärker nutzen sollten, wenn wir die Lehre an der TUM Schritt für Schritt fit für die Zukunft machen. Ich freue mich schon auf den nächsten Lunch mit den Studierenden anderer Fakultäten.
„Kurzfristig auf Unvorhergesehenes zu reagieren – das macht meiner Meinung nach eine wahrhaft exzellente Universität aus.”
Können auch Studierende, die nicht die Gelegenheit zum Mittagessen mit Präsidenten haben, ihre Ideen einbringen?
Auf jeden Fall! Neben dem TUM Presidential Student Lunch haben wir im Frühjahr die TUM Future Learning Initiative gestartet. Hier hatten alle Studierenden die Möglichkeit, über eine digitale Plattform ihre Ideen zur zukünftigen Lehrreform einzubringen. Sei es zu neuen und vernetzten Lehrinhalten, zu unkonventionellen Lehrmethoden oder zu digitalen Lehrprojekten. Von den zahlreichen eingegangenen Vorschlägen wurden die besten ausgewählt. Diese konnten die Studierenden dann gemeinsam mit unseren Expertinnen und Experten für Lehre und Hochschuldidaktik ausarbeiten und vor der ganzen Universität in Form von Videos zu pitchen. Die besten Konzepte werden nun in Form von Pilotprojekten implementiert und bei Erfolg einen festen Platz in der Lehrreform der TUM finden.
Wie sieht es im Bereich Gender Equality an der TUM aus?
In den letzten Jahren hat sich an der TUM sehr viel bei der Gleichstellung der Geschlechter getan – vor allem durch die Einführung des Tenure Track. Den so berufenen Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern bieten wir von Anfang an die realistische Aussicht, auf eine unbefristete W3-Professur aufzusteigen. Fast 40 Prozent der 140 Tenure- Track-Professuren an der TUM sind mit Frauen besetzt, davor waren es nur 20 Prozent der Professuren. Und wenn man die Gehälter der letzten acht Jahre betrachtet, wird deutlich, dass es bei den Tenure Track Professuren an der TUM keinen Gender Pay Gap gibt.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen dabei, die TUM für die Zukunft zu rüsten?
Die Trägheit unserer Gedanken zu überwinden – und den Mangel an freier Zeit, die es braucht, um Neues zu entwickeln. Dies haben wir in der durch die Covid-19-Pandemie bedingten Drucksituation geschafft; sie hat von uns allen Flexibilität und rasche Reaktionsfähigkeit abverlangt. Aber mit größtem Einsatz und dem Ideenreichtum aller Dozentinnen und Dozenten, Mitarbeitenden, der Hochschuldidaktik-Expertinnen und –Experten der TUM, der studentischen Hilfskräfte als eScouts haben wir die digitale Lehre in nur drei Wochen universitätsweit umgesetzt. Wir haben neue kreative Formate entwickelt und die TUM zur Vorreiterin für elektronische Prüfungen in Deutschland gemacht. An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten nochmal ein herzliches Dankeschön für ihr enormes Engagement und ihre große Flexibilität aussprechen! Und auch in der Forschung haben wir Grenzen überwunden: Mit über 275 Forschungsprojekten zu Themen, die mit Covid-19 zusammenhängen, wurden in kürzester Zeit neue interdisziplinäre Brücken gebaut. Forschende, die sich vorher nicht einmal kannten, haben angefangen, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Zum Beispiel haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Infektionsforschung und der Finanzmathematik zusammengefunden, um die Bettenauslastung bayerischer Krankenhäuser vorherzusagen. Kurzfristig auf Unvorhergesehenes zu reagieren – das macht meiner Meinung nach eine wahrhaft exzellente Universität aus. Nur wer die Trägheit der Gedanken überwindet und neue Zeitressourcen schafft, kann sich schnell und ausreichend agil auf die Herausforderungen in einer sich rasch wandelnden Welt einstellen.
„Erst der persönliche Austausch von Wissen, Ideen, Erfahrungen und Werten der vielfältigen Menschen unserer TUM-Familie und ihres Partnernetzwerks macht ‘Universitas’ erlebbar und spürbar.”
Hat die Pandemie Ihrer Einschätzung nach den Stellenwert der Universitäten und der Wissenschaft verändert?
Ja, denn in der Krise haben sich viele Augen auf die Wissenschaft gerichtet. Auch die Wertschätzung einer guten Ausbildung ist wieder ins Bewusstsein gerückt. Denn keine politische Entscheidung fällt ohne die Einschätzung von Fachexpertinnen und -experten. Daraus ergibt sich eine historische Chance für den Stellenwert von Wissenschaft und von Universitäten. Es bleibt zu hoffen, dass die Erinnerung an diese Krisensituation einen positiven Einfluss darauf hat, wie nachhaltig die Wissenschaft mit ihrem Streben nach Wahrheitsfindung und evidenzbasiertem Wissen jenseits von Einzelinteressen in der Gesellschaft und Politik wahrgenommen wird. Im günstigsten Fall könnte ich mir einen positiven Impuls für den Umgang mit anderen globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel vorstellen.
Was wünschen Sie sich am meisten für Ihr zweites Jahr als Präsident?
Allem voran wünsche ich mir trotz der anhaltenden Pandemie wieder eine Präsenzlehre an den TUM-Standorten zurück. Als Präsident ist es für mich jeden Morgen aufs Neue ein seltsames Gefühl, nur wenige unserer 44.000 Studierenden auf dem Campus zu sehen. Natürlich haben wir alle die Vorteile digitaler Lehrformate erfahren und diese werden auch künftig ein integrales Element unserer hybriden Lehre werden. Allerdings schöpft die Universität als Bildungsstätte neuer Generationen mit Wertebewusstsein ihre wahre Leistungskraft nicht alleine aus der digitalen Vernetzung. Erst der persönliche Austausch von Wissen, Ideen, Erfahrungen und Werten der vielfältigen Menschen unserer TUM-Familie und ihres Partnernetzwerks macht „Universitas“ erlebbar und spürbar.
Prof. Thomas F. Hofmann studierte Lebensmittelchemie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Thomas F. Hofmann promovierte (1995) und habilitierte sich (1998) an der Fakultät Chemie der TUM. 2002 wurde er an die Universität Münster berufen und kehrte 2007 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Lebensmittelchemie und Molekulare Sensorik an die TUM zurück. Im Jahr 2017 wurde er zum Direktor des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie bestellt. Vor seiner Wahl zum Präsidenten der TUM war er zehn Jahre lang Geschäftsführender Vizepräsident für Forschung und Innovation und prägte die Exzellenzstrategien 2012 und 2019 maßgeblich mit.
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